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Wenn der ­Wertstoff erzählt

Jan Körbes vereint Recycling, Kunst und Baupraxis fern der üblichen Architektur. Porträt eines radikalen Wiederverwerters.

28.04.20157 Min. Kommentar schreiben
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Tief im Stoff: Andere definieren die Bauaufgabe und suchen das passende Material. Jan Körbes macht es umgekehrt und sucht zum Stoff das Projekt.

Text: Roland Stimpel

Ein Neubau mag noch so perfekt geplant, aus feinstem Material sorgsam montiert und scheinbar zeitlos gestaltet sein. Trotzdem veraltet er oft viel rascher, als Architekt und Investor anfangs vermuten. Umgekehrt erlebt es Jan Körbes: Seine Werke sind improvisiert, spontan und oft für eine kurze Lebensdauer geplant – halten aber oft viel länger als gedacht. Eine zwiebelförmige Großskulptur aus alten Holzpaletten, als wochenkurzes Saison-Ereignis im polnischen Breslau gedacht, stand nach drei Jahren immer noch da. Eine Mauer aus 800 alten Kühlschränken sollte für ein paar Monate eine Recyclingfirma in Litauen zieren, doch sie überlebte vier Jahre. Auch der frühere Futtersilo, den er sich zum Wohnen in Berlin umgebaut hat, wirkt nicht nach Dauerlösung. Doch Körbes’ Leben darin auf drei Etagen à 4,2 Quadratmeter geht ins dritte Jahr – und scheint sich eher zu verfestigen.

Nicht nur in Sachen Dauerhaftigkeit bürstet Körbes gegen den Strich der Architektur, was immer man da bürsten kann. Er hält zum Beispiel nichts von frühzeitigem Ausarbeiten. Will jemand von ihm ein Kunstwerk, ein Raummöbel oder ein Gebäude, dann heißt sein erstes Prinzip: „Entworfen wird so wenig wie möglich.“ Seine „Bauherren“ können Ausstellungsmacher und Kultureinrichtungen sein, Läden, Privatleute mit starker Recycling-Neigung oder Unternehmen, die auf diesem Sektor arbeiten.

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Kühlkreislauf: Ausrangierte Kühlschränke bildeten eine gigantische Mauer an einer Recycling-Fabrik in Litauen.

Die Kundschaft bekommt zunächst eine Skizze, „aber die ist nur eine Diskussionsgrundlage“. Die aber möge der Kunde nicht schlucken, sondern bitte anzweifeln und weiterdenken. Körbes selbst tut das auch und fragt: „Was ist eigentlich die Idee hinter dem Raumwunsch?“ Von dieser speziellen Grundlagenermittlung führt der Weg keinesfalls direkt zum Entwurf inklusive Auswahl der zur Idee passenden Materialien. Im Gegenteil: Der Recycling-Entwerfer Körbes guckt in Werkstätten und Industriehöfen, auf Schrottplätzen und Rohstoff-Sammelplätzen, was für Material gerade da verfügbar ist und irgendwie wiederverwendet werden will. Der jeweilige Materialfund entscheidet dann, was und wie gebaut wird.

Dabei bleiben die scheinbar toten Stoffe keineswegs stumm. „Die Objekte erzählen dir, was sie können und wollen.“ Liegen gerade viele Autoreifen da, kommt eben keine glatte Fassade heraus. Stapeln sich bei einem Altstoffsammler alte Futtersilos, dann führt das zu einem Wohnen nach Diogenes, nur in einer hochgekippten Tonne. Der Diskussions- und Entwurfsprozess auf der Basis von Altstoff und Inspiration kennt keine zeitliche und inhaltliche Grenze: „Es wird so lange gespielt, bis ein ordentliches Niveau erreicht ist.“ Und bei neuer Material-Lage wird ganz neu gedacht: „Wenn plötzlich der Nachbar etwas wegschmeißt, das viel besser taugt, dann fangen wir eben von vorn an.“

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Gezwiebelt: Skulptur auf einem Ausstellungsgelände in Breslau – Spielgerät, Wahrzeichen und Bastel-Objekt

Hat ein Material erstmal sein Projekt gefunden, dann spart Körbes sich eine mühsame Kerntätigkeit von Architekten: „Zeichnungen sind doch eine sehr komplizierte Schnittstelle zwischen Entwurf und Ausführung. Wenn ich plane und es dann selbst ausführe, spare ich mir das.“ Also realisiert er selbst oder teilt Ausführenden seine Idee mit, die sie dann nach eigenem Gusto realisieren.

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So agiert die Gruppe „refunc“, die er zusammen mit dem gelernten Architekten Denis Oudendijk in Holland gegründet hat. Die operiert nach eigenen Worten „im Grenzbereich von Architektur, Kunst und Design“, aber stets auf Recycling-Basis. Sie macht Esstische aus alten Windrädern („Neupreis 30.000 Euro, Abfallwert 200 Euro“). Klobrillen kommen als Arm- und Rückstützen an die Parkbank. Alte Rettungsbojen von Öl-Bohrinseln werden zu schwimmenden Kleinsthotels. Jedes Werk ist eine Demonstration gegen den Wegwerf-Wahn. Jedes will die herkömmliche Idee ad absurdum führen, dass am Anfang der Raum- oder Objektwunsch steht, dann die Planung kommt und mit ihr das passende Material. Refunc will nicht die Welt immer wieder nach einer Kopfgeburt ummodeln. Stattdessen soll der Stoff, der längst da ist, den Kopf anregen.

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