Es gibt viel zu tun in unseren Städten, aber auch in den ländlichen Regionen. Die Bundesstiftung Baukultur hat deshalb mit dem neuen Baukulturbericht 2016/17 unter dem Titel „Stadt und Land“ einen Statusbericht zur Baukultur in ganz Deutschland erstellt – hat bilanziert, sich positioniert und Handlungsempfehlungen gegeben. Der Baukulturbericht setzt den Fokus dabei auf Mittel- und Kleinstädte sowie ländliche Räume. Hier sind die erkennbaren Defizite der baulichen Umwelt häufig gravierender als in den Großstädten, und gleichzeitig kann eine gute Baukultur entscheidend für eine gelingende oder scheiternde Zukunft dieser Gemeinden sein.
Zu den Kernthemen „Vitale Gemeinden“, „Infrastruktur und Landschaft“ sowie „Planungskultur und Prozessqualität“ werden deshalb nicht nur aktuelle Beispiele und Umfrageergebnisse vorgestellt, sondern auch konkrete Maßnahmen vorgeschlagen: für lebendige Ortskerne, für gut gestaltete und integrierte Infrastruktur ebenso wie für kooperative und effektive Planungsprozesse. Dabei wird nicht zuletzt die besondere Bedeutung hervorgehoben, die Architekten in all diesen Aufgabenfeldern schon haben oder in Zukunft haben sollten.
In Deutschland lebt die deutliche Mehrheit der Menschen in über 11.000 Orten mit weniger als 50.000 Einwohnern. Obwohl nur 200 Städte größer sind, stehen eben diese seit Jahren im Fokus von Stadtentwicklungs-, Planungs- und Baukulturstrategien und erfahren damit eine überproportionale Wahrnehmung. Dabei sind – auch angesichts des Wohnungsmangels in großen Städten – vor einigen Wochen zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder mehr Menschen von der Stadt aufs Land gezogen als umgekehrt. Gerade aber auf dem Land und in kleineren Städten hat die Qualität der gebauten Umwelt enorme Bedeutung für Identität, Charakter und Perspektive der Gemeinden. Hier gilt es, die Bürger und alle Planungsbeteiligten für Baukultur zu begeistern und mutige Entscheidungen zu treffen. Im Baukulturbericht werden dazu Empfehlungen gegeben, wie beispielsweise dem Donut-Effekt (leere Mitte, voller Rand) mit aussterbenden Ortskernen aktiv nach dem Beispiel Blaibachs oder Wettstettens entgegengetreten werden kann. Vorrang also für den Bestand statt für flächenintensive Neubaugebiete!
Zehn Jahre nach dem Gesetzesbeschluss 2006 zur Gründung der Bundesstiftung Baukultur wird damit langsam ein Ding daraus. Manche werden sich noch an den engagierten und mühsamen Gründungsprozess erinnern: etwa an die zu kurz gesprungene 100-Euro-Aktion potenzieller Unterstützer und den anfänglichen Platz am „Katzentisch“ im Kreis von Baukulturentscheidern. Das hat sich zuletzt glücklicherweise geändert. Der erste Baukulturbericht konnte mit seinen Erkenntnissen und Hinweisen zunehmend Wirkung entfalten.
Der Weitsicht der Stiftungsgründer, die dieses Vorlagerecht für Baukultur gegenüber der Bundesregierung und dem Bundestag in Gesetz und Satzung verankert haben, ist es zu danken, dass Baukultur nicht nur in der Politik, sondern auch bei Entscheidern in der Immobilien-, Wohnungs- und Bauwirtschaft inzwischen Gehör findet. Gut so, weil es uns allen hilft: den Planern, den Bauschaffenden und den Nutzern.
Den zweiten Baukulturbericht können Sie erstmals auf dem Konvent der Baukultur vom 3. bis 5. November in Potsdam mit uns diskutieren. Ich freue mich, wenn Sie dabei sind.
Reiner Nagel ist Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: