Die Energiewende ist zu wichtig, um sie allein den Energie-Experten zu überlassen. Denn sie hat gravierende Auswirkungen auf die Architektur unserer Städte und Dörfer, auf das Landschaftsbild und den Charakter ganzer Regionen. Das beginnt – oder endet, je nach Standpunkt – bei der bekannten Dämm-Problematik an den Fassaden. Es setzt sich fort mit Photovoltaik und Energiespeichern in oder an Gebäuden. Im ländlichen Raum treten Gebäudekomplexe, die einst als Bauernhöfe zu erkennen waren, inzwischen als multifunktionale Kraftwerke mit Biogastanks, Windrädern und Photovoltaik-Flächen auf. Und umfassendste Eingriffe in Landschaften geschehen durch Überlandleitungen, Konverter und Pumpspeicherwerke, Windparks und Solarfelder.
Energie-Bauten jeder Größenordnung sind meist eindimensional wirtschaftlich-technisch. Vernachlässigt werden darüber ihr Erscheinungsbild, ihr Einfluss auf den Charakter und die Identität von Gebäuden, Orten und Regionen, oft auch ihr Einfluss auf andere Nutzungen und besondere Qualitäten des bebauten und unbebauten Raums.
All das kann nicht heißen, gegen die Energiewende fundamental zu opponieren. Sie ist nötig im Interesse des Klimas und einer nachhaltigen Energieversorgung. Auf die Veränderungen müssen wir Architekten und Planer aber dringend stärkeren Einfluss gewinnen. Die Energiewende braucht Baukultur! Damit ist dieses Thema ganz dicht bei den Architekten der unterschiedlichsten Fachrichtungen.
In Mecklenburg-Vorpommern haben wir als Architektenkammer deshalb gegenüber der Landesregierung stark auf die Mitwirkung im kürzlich eingerichteten Landesenergierat gedrängt. Das war erfolgreich und hat dem Autor dieser Zeilen den Vorsitz in der Arbeitsgruppe Energieeffizienz eingebracht. Hier geht es uns darum, dass in die Politik nicht nur eindimensional die technische Seite eingebracht wird, sondern auch Landschaft und Städtebau, Gestaltung und Nutzung, Denkmalschutz, Raumklima und die wirtschaftliche Tragfähigkeit für Eigentümer und Mieter. Wenn nicht wir all das ansprechen – wer dann? Bei der Aktivität im Energierat kommt uns zugute, dass wir zeitgleich in der Kammer eine Arbeitsgruppe Energie gegründet haben, von deren Kompetenz und Vernetzung wir nunmehr profitieren.
Unser Berufsstand kann beim Energiethema aber nicht nur seine inhaltliche Kompetenz ausspielen, sondern auch seine ganzheitliche und an Nachhaltigkeit orientierte Denkweise. Und nicht zuletzt unsere Erfahrung in Kommunikations- und Beteiligungsprozessen: Wir sind es gewohnt, zwischen verschiedenen Belangen zu vermitteln und nicht faule Kompromisse zu erarbeiten, sondern bestmögliche Gesamtlösungen. Jede und jeder von uns sollte die Herausforderungen der Energiewende aktiv und beherzt anpacken. Mit ihren vielen Themen, die weit über die Gebäudeenergieeffizienz hinausgehen, mag sie manchem von uns als
eine Art bedrohlicher Tiger erscheinen. Aber wir sollten und können diesen Tiger reiten. Das ist eine wirkliche gute Chance für die fachübergreifende künftige Berufsausübung
von Architekten.
Joachim Brenncke, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer.