Die Bundesarchitektenkammer (BAK) legte kürzlich einen Vorschlag zur Überarbeitung der Musterbauordnung des Bundes vor. Dieser Novellierungsvorschlag macht sich für den Erhalt des Bestands stark. „Ziel ist eine kompakte Stadt- und Siedlungsstruktur mit qualitätvollen Freiräumen bei möglichst geringem Einsatz neu erstellter Bausubstanz“, heißt es darin. Die BAK folgt hiermit dem Tenor des Baukulturbericht 2022/23 „Neue Umbaukultur“ der Bundesstiftung Baukultur und seinem Motto: „Umbau zum neuen Leitbild machen.“
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Derzeitige Bauordnungen bevorzugen den Neubau
Die Bauordnungen begünstigen im Moment den klimaschädlichen Neubau. Knapp ein Drittel der Abrisse geht auf Vorgaben der Bauordnungen oder des Bauenergiegesetzes zurück. Robert Marlow, Präsident der Architektenkammer Niedersachsen und Leiter der BAK-Projektgruppe zur Musterbauordnung, sieht in dem BAK-Vorschlag einen entscheidenden Schritt zur Trendwende: „Wir wollen mit unseren Änderungsvorschlägen die immanente Benachteiligung des Bestandes aufheben und ihn gegenüber dem Neubau sogar privilegieren.“
Werden am Bestand Veränderungen vorgenommen, müssen Gebäude bislang an die Anforderungen von Neubauten angepasst werden. Das heißt zum Beispiel:
- Schallschutz anpassen
- Abstandsgrenzen einhalten
- Parkplatzschlüssel einhalten
Bestandserhalt soll begünstigt werden
Um Sanierung und Bestandserhalt zu erleichtern, fordert die BAK einen Paradigmenwechsel, diese Regelungen im Bestand nicht mehr erfüllen zu müssen. Dafür würde der neu geschaffene Paragraf „Bestehende bauliche Anlagen“ sorgen. Für den Bestand gibt es bis dato in der Musterbauordnung keine Regelung, die bundesweite explizite Bestandsnennung wäre also ein Novum.
Der BAK-Entwurf sieht zudem vor, die Hürden für Nachverdichtung zu senken, damit
- der Versiegelung von Boden entgegengewirkt wird,
- Aufstockungen sich künftig nicht mehr auf die Gebäudeklasse ihres Bestandsgebäudes auswirken und
- geringfügige Erweiterungen nur die ursprünglichen Anforderungen des Bestands erfüllen, also nicht besser sein müssen (außer beim Klimaschutz).
Qualifizierter Freiflächenplan
Die Einführung eines qualifizierten Freiflächenplans wiederum könnte Nachweise zur Regenwasserretention, Förderung der Artenvielfalt und der Vermeidung von Hitzeinseln bündeln. „Neben einer im Sinne der Bestandsprivilegierung novellierten Musterbauordnung müsste bald vom Bundesbauministerium auch ein Gebäuderessourcengesetz auf den Weg gebracht werden“, so Robert Marlow. Bundesweit solle darin die Wiederverwendung von Materialien gefördert werden, wenn es zum Rückbau kommt oder neu gebaut wird.
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Nachhaltiges Bauen ermöglichen oder dazu verpflichten?
Die Musterbauordnung öffnet Räume für nachhaltigeres Bauen. Sie setzt also darauf, dass Bauende und Planende sich bald eigenständig von klimaschädlichen Bauweisen distanzieren – weil sie es können. Die Architects for Future (A4F) forderten bereits vor zwei Jahren eine Umbauordnung. Anders als die BAK drängten Sie stärker auf Regelungen, die zum nachhaltigen Bauen verpflichten. „Wir denken, dass die Leitplanken, die den Bausektor begrenzen, enger gezogen werden sollten – dabei gilt als Referenz das Pariser Abkommen“, erklärt Michael Wicke, Koautor der Umbauordnung. „Alles, was dieses Abkommen potenziell bricht, sollte erschwert werden. So lange man Kosten auf die Natur und zukünftige Generationen auslagern kann, wird es schwer sein, die Bauwende zu stemmen.“
Abriss muss genehmigt werden
Mit einer Genehmigungspflicht würde man jedoch in den Eigentumsschutz eingreifen. Diesem verfassungsrechtlichen Konflikt möchte die BAK aus dem Weg gehen. „Deswegen stellen wir den Abriss unter einen Zustimmungsvorbehalt, es müssen Konzepte zu Rückbau, Entsorgung und Wiederverwertung vorgelegt werden und die zu vernichtende Graue Energie ermittelt und als Treibhausgas-Verbrauchsgebühr abgegolten werden“, führt Robert Marlow aus. „Der Slogan der Architects for Future ‚hinterfragt Abriss kritisch‘ ist so in der Musterbauordnung verankert.“ Die Idee: Legen Bauleute Konzepte zum Abriss vor, lassen sie auch automatisch Alternativen durchspielen. Anders als beispielsweise beim Denkmalschutz würde der Abriss aber nicht verboten, wäre aber thematisiert und erschwert.
Bei den A4F ist man froh, dass der Vorschlag einer Umbauordnung aufgenommen und weiterentwickelt wurde: „Es ist wichtig, dass alle Akteure sich dafür einsetzen, dass das Bauen im Bestand das neue Normal wird. Deutschland ist gebaut!“ Nun sind die Bauministerien von Bund und Ländern an der Reihe, sich einzusetzen. Sie sind gefordert, den Entwurf der Musterbauordnung zügig in geltendes Recht umwandeln, denn wie Andrea Gebhard, Präsidentin der BAK festhält: „Die Zeiten, in denen erhaltenswerter Bestand abgerissen wird, müssen endlich vorbei sein.“
Der Baukulturbericht: Umbau muss zur Regel werden
Der Baukulturbericht 2022/23 verbindet die sozialen und infrastrukturellen Anforderungen an Stadt und Land mit dem notwendigen Umschwung zum klimafreundlichen Bauen. Im Zuge der Transformation zu einer klimaneutralen Welt, deren Wohngebiete an das heißere Klima angepasst sind, gelte es, im Bestand baukulturelle Werte zu erkennen. Diese müssen fortgetragen werden, um der Gesellschaft über Veränderung aus reiner Notwendigkeit hinaus einen echten Mehrwert zu bieten.
Begreift man den Bestand als Schlüssel zum Klimaschutz, muss Umbau zur Regel werden und Neubau so entworfen werden, dass er zukünftig leicht umzubauen ist. Die Bundesstiftung Baukultur hebt in dieser Entwicklung die Anpassung der Rahmenbedingungen hervor. Neben der Musterbauordnung müssten auch Landesbauordnungen und -gesetze auf das Bauen im Bestand ausgerichtet werden, heißt es in den Handlungsempfehlungen.
Lorenz Hahnheiser hat sein Bachelor-Architektur Studium an der Leibniz Universität Hannover abgeschlossen, nutzt die Zeit vor dem Master für erste Bauerfahrungen und engagiert sich bei der Nachwuchsorganisation nexture+.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten und Luisa Richter.
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