Zu den faszinierenden Seiten des Architektenberufs gehört die umfassende Verantwortlichkeit für einen schönen, praktischen und möglichst schadensfreien Bau. All das zugleich zu bewerkstelligen, ist häufig anstrengend, aber immer wieder aufs Neue belebend und spannend. Bauherren und Allgemeinheit erhalten so eine zugleich lebenspraktische, wirtschaftliche und nicht zuletzt kulturelle Leistung. Doch mit der Verantwortung steigt das Risiko. Es ist deshalb richtig, dass man sich an ein teures Bauprojekt nur mit einer angemessenen Haftpflichtversicherung wagen darf. Das dient dem Schutz des Bauherrn – und dem Selbstschutz. Nicht richtig ist jedoch, wie manche privaten, aber auch öffentliche Bauherren die Situation missbrauchen: Sie überstrapazieren die Verantwortlichkeit der Architekten. Diese sollen haften, wann immer etwas auf der Baustelle schiefläuft – auch wenn es im ureigensten Verantwortungsbereich einer ausführenden Firma liegt. Das ist ungefähr so, als wollte man einen Komponisten zur Verantwortung ziehen, wenn sich ein Musiker auf seinem Instrument verspielt.
Immer höhere Ansprüche bedeuten immer höhere Versicherungsprämien. Bei kleineren Büros sind sie manchmal schon der größte Kostenfaktor nach dem Personal. Aber nicht nur die drückende Finanzlast ist das Problem, sondern auch das immer schwerer kalkulierbare Risiko, das noch Jahre später auf den Büroinhabern und sogar ihren Nachfolgern lastet. Doch wieder einmal stimmt der berühmte Satz des Dichters Friedrich Hölderlin: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. In unserem Kampf gegen die überhöhte Haftung gewinnen wir mehr und mehr Verbündete. Vielen Juristen ist immer unbehaglicher angesichts der Klageflut, ja geradezu der Manie eines Teils der Bauherren, für jeden schief eingeschlagenen Nagel einen Prozess gegen den Architekten anzustrengen. Für systematische Ungerechtigkeit haben Juristen ein sehr feines Gespür, sodass der jüngste Baugerichtstag, eine Versammlung hochkarätiger Richter, Anwälte und weiterer Experten, sich einstimmig für eine Reform des Haftungsrechts aussprach. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger arbeitet ebenfalls in diese Richtung.
Auch bei Verbraucher- und Bauherrenschützern deutet sich ein Sinneswandel an. Bisher erschien vielen von ihnen der Architekt als praktischer Watschenmann, rechtlich ziemlich wehrlos und dank der Versicherung stets zahlungsfähig. Aber von einem System der völlig schief verteilten Verantwortlichkeiten haben auch Bauherren nichts. Denn wo einem zu viel aufgebürdet wird, da muss der andere zu wenig für seine eventuellen Fehler geradestehen. Unzufrieden mit der Situation sind schließlich – das mag manchen überraschen – auch die Versicherer. Immer öfter und immer mehr müssen sie in Haftungsfällen zahlen. Sie kennen die Wirtschaftslage der Architekten und wissen, dass schon heute viele von ihnen Prämien jenseits des Zumutbaren zahlen.
Also bessert sich die Aussicht, dass Risiken und finanzielle Belastungen der Versicherung künftig gerechter zwischen Bauplanern und Ausführenden verteilt werden – Gesamtversicherung heißt das Stichwort. Natürlich freut das Baufirmen nicht, die bisher oft buchstäblich zu billig wegkamen. Aber auch für sie kann Qualitätsdruck letztlich ein Segen sein; sie können neues Vertrauen gewinnen. Und wenn Architekten weniger für den Pfusch Dritter einstehen müssen, können sie sich wieder stärker auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Letztlich wäre das ein Gewinn für Bauherren und Baukultur. Das ist mindestens so wichtig wie sinkende Prämien.