Nach monatelangen Demonstrationen gegen das Großprojekt Stuttgart 21 will die nun grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg auf mehr direkte Demokratie setzen und dazu neue Formate der Bürgerbeteiligung schaffen. Künftig soll die Bürgerschaft auf Augenhöhe mit den Institutionen sein – nach einem noch zu erarbeitenden Leitfaden für eine neue Planungs- und Beteiligungskultur, der auch für private Vorhabenträger gelten soll.
Das erscheint sinnvoll, denn die Bürgerproteste zu Bauvorhaben nehmen zu und bringen so manches Projekt ins Wanken oder gar zu Fall – wie allein drei Beispiele aus dem Südwesten zeigen: Ob der Stuttgarter Durchgangsbahnhof nach dem Entwurf des Kollegen Christoph Ingenhoven gebaut wird, ist noch immer ungewiss. Das projektierte Konzert- und Kongresszentrum in Konstanz (Wettbewerbssieger nach einem dreistufigen Verfahren war das Vorarlberger Architekturbüro Dietrich|Untertrifaller) wurde im vergangenen Jahr durch einen Bürgerentscheid gekippt. Das gleiche Schicksal ereilte die geplante Erweiterung der Stadthalle in Heidelberg (Wettbewerbssieger waren hier die Münchner Kollegen Karl & Probst). Bei beiden Bürgerentscheiden wurde das erforderliche Quorum von 25 Prozent überschritten; die Verwaltungen sind somit drei Jahre an das Votum ihrer Bürgerschaft gebunden. Ähnlich erging es der Ulmer Verwaltung 1990, als ein Bürgerentscheid die geplante Untertunnelung der Neuen Straße verhinderte. Dem folgte ein 13-jähriger, auf Dialog mit der Bürgerschaft ausgelegter Planungsprozess mit teils leidvollen Sequenzen, der aber letztlich zur viel bestaunten und gelobten Neuen Mitte in Ulm geführt hat.
Wie können Architekten und Stadtplaner ihre Kompetenz in diesen Prozess besser einbringen? Wo und wann ist der richtige Zeitpunkt, sich einzumischen? Was kann der Berufsstand tun, um die meist sehr emotional geführten Debatten zu versachlichen? Wie die oben genannten Beispiele zeigen, reichen heute in der Stadtentwicklungspolitik die öffentlichen Diskussionen im Nachgang von Wettbewerben nicht mehr aus. Damit die Bürgerschaft Bauprojekte akzeptiert, müssen Verwaltung und Planer frühzeitig mit der Stadtgesellschaft im Gespräch sein. Und unser Berufsstand muss sich mehr auf offene, veränderbare Planungen einstellen. Dazu ist es mitunter erforderlich, zunächst in den eigenen Reihen konträre Positionen mit fachlichem Input wieder zu versachlichen; so geschehen bei der Z-21-Veranstaltungsreihe der Architektenkammer Baden-Württemberg für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung in Stuttgart.
Für gute Architektur zu sorgen, reicht offensichtlich nicht aus. Denn Architektur erklärt sich (leider) nicht immer von selbst. Wir müssen mehr denn je unsere Planungen erläutern, unsere Architektur vermitteln, und zwar auf Augenhöhe mit den Bauherren – vor allem bei öffentlichen Bauvorhaben, aber auch mit der Bürgerschaft. Architekturvermittlung ist langfristig ein wichtiges Thema für die Kammern und für den Berufsstand. Widmen wir uns daher gemeinsam dieser Aufgabe, zum Beispiel beim bundesweiten Tag der Architektur oder beim Deutschen Architektentag am 14. Oktober in Dresden, an dem Partizipation, Bürgerbeteiligung und ihr Verhältnis zur Experten-Kompetenz wichtige Themen sein werden. Denn die Architektenschaft trägt Verantwortung für die Gesellschaft und in der Gesellschaft.
Wolfgang Riehle ist Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg.
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Architektur – Zeichen für direkte Demokratie?
Direkte Demokratie in Form von Bürgerentscheiden kann die Sinnigkeit von erhoffter moderner Architektur durchaus in Frage stellen, sie muss es sogar. Besonders der öffentliche Bauherr steht dabei im Fokus, sind die Entscheidungsträger für die zukunftsausgerichteten Bauten doch gewählte Bürger/Innen eben jener Stadtgesellschaft oder Bürgerschaft, der man zukünftig auf Augenhöhe Baukultur vermitteln will. Und zwar nicht zum Selbstzweck, sondern eher in Form eines neuen Dialoges, der durch Stuttgart 21 zum Inbegriff einer sanften Revolte geworden ist. Baugesetzbuch und Landesbauordnungen regeln zwar weiterhin den Bauprozess, sind aber anscheinend zur sekundären Randerscheinung herabgestuft. Öffentliche Architektur ist nie ein Zeichen für direkte Demokratie. In den Kommunalparlamenten, wo bisher vornehmlich durch fachfremde Mandatsträger Bauvorhaben entwickelt wurden, steht die Gesellschaft und die Transparenz diesbezüglich in letzter Reihe. Die Nichtöffentlichkeit wird erst dann aufgehoben, wenn die Beschlussfassung zur Auslobung eines Wettbewerbs oder der eigentliches Baubeschluss aufgrund geltender Gemeindeordnungen unumgänglich erscheint. Die finanziellen Auswirkungen sind bis dahin nur grob geschätzt, was allein zählt ist das Prestige. Den Bürger/Innen die unabdingbare Notwendigkeit eines solchen Vorhabens an diesem Punkt beizubringen, ist zum Scheitern verurteilt, wenn gleichzeitig über Einsparungen im sozialen oder kulturellen Sektor laut nachgedacht wird oder die nächste Gebührenerhöhung den Bürger zum Wutbürger macht. Architekten und Stadtplaner müssen dieses Dilemma frühzeitig erkennen und darauf hinweisen. Die Spur der Selbstverwirklichung muss zur Spur der Teilhabe werden. Nur dann wird Architektur das vermitteln wofür sie bestimmt ist: Ästhetik.