Von Prof. Heiko Lukas
Regionale Baukultur ist ein Standortfaktor im besten Sinn – nicht nur im ökonomischen. Sie stärkt die Identität eines Ortes und die Identifizierung der Menschen mit dem Ort. Sie schärft die Sinne für Baugestaltung und Bauqualität und hebt die Messlatte für Projekte jeder Art. Sie bietet den Kontext, auf den sich neue Architektur beziehen kann. Dabei meint regionale Baukultur nicht den engherzigen Versuch, in der Vergangenheit zu verharren, sie wiederherzustellen oder Neues alt wirken zu lassen. Doch die Vergangenheit gibt Leitlinien oder zumindest Hinweise für das verantwortungsvolle Bauen in der Gegenwart und Zukunft. Hierfür gibt es international beachtete Vorbilder wie Vorarlberg oder Tirol in Österreich oder Graubünden in der Schweiz.
Auch in Deutschland gewinnt das Thema große Aufmerksamkeit – zum Beispiel im Saarland mit seiner reichen Bautradition und seinen oft sehr heimatverbundenen Bewohnern. In diesem Land analysieren und vermitteln die Architektenkammer und die Stiftung Baukultur-Saar typische Erscheinungsformen hiesigen Bauens, die gemeinsam den Begriff „Regionale Kultur“ verdienen. Es sind für sich genommen einfache Phänomene wie weiße Putzfassaden, klar begrenzte Gebäudekuben, stehende Fensterformate, geneigte Dächer ohne Überstand sowie die Konzentration auf wenige heimische Materialien. Schon bei ersten Präsentationen und in Gesprächen fand das Thema großen Anklang bei Architektenkollegen, Baubehörden, Kommunalpolitikern und der Landesregierung. Jetzt soll es zu einem unverbindlichen, aber durchaus als Qualitätsmaßstab gedachten regionalen Gestaltungshandbuch weiterentwickelt werden. Auch die Einrichtung einer Bauberatungsstelle ist geplant.
Im Saarland und anderswo ist die regionale Baukultur ein Thema für Städte wie für Dörfer. Wichtig ist sie nicht zuletzt gerade für Orte mit stagnierender oder schrumpfender Einwohnerzahl und leer stehenden Gebäuden. Hier soll und kann gute Gestaltung die Probleme nicht verdecken und beschönigen. Regionale Baukultur kann aber Zeichen dafür setzen, dass ein Ort seine Zukunft im Blick hat und sich auch bei sinkenden Quantitäten für seine bauliche Qualität engagiert. Dabei geht es auch um funktionelle Qualitäten, wenn zum Beispiel in einem Ortskern mit vielen älteren Bewohnern Häuser barrierefrei um- oder neu gebaut werden. Ergänzende Neubauten zeigen, dass ein Kern nicht aufgegeben wird. In historischer Umgebung fordern gerade sie die Kunst des rücksichtsvollen und kontextorientierten, zugleich aber zeitgenössischen Bauens besonders heraus. Hier wollen Architektenkammer und Stiftung Baukultur-Saar mit Rat und Orientierungshilfe den Bauherren und Gemeinden zur Seite stehen. Häufig stellen wir dabei erfreut fest, dass die Denkmalpflege unterstützend den Weg einer behutsamen Weiterentwicklung und Erneuerung mitgeht – damit ein bedeutsames Ensemble insgesamt gestärkt wird. Regionale Baukultur ist ein Konsens-Thema, bei dem Architekten eine zentrale Position einnehmen. Damit ist es nicht nur für die Identität von Städten und Dörfern eine Chance, sondern auch für die Stärkung unseres Berufsstands.