Stadtentwicklung muss langfristig geplant und angelegt werden. Diese Wahrheit gerät gerade in Vergessenheit, weil unsere Großstädte vollauf damit beschäftigt sind, Zuwanderung und Wohnraummangel zu bewältigen. Aktuell bestimmen Zahlen, Statistiken und Effizienzdenken die Diskussion über unsere Städte. Wichtige gesellschaftspolitische, soziale und räumliche Themen werden ausgeklammert. Dabei drängt die Zeit: Die steigende Dichte setzt Menschen und Freiräumen zu, der zunehmende Autoverkehr raubt uns Gesundheit, Zeit und Platz. Der technologische Fortschritt verändert das (räumliche) Verhältnis von Arbeit und Privatleben.
Es liegt in der gesellschaftlichen Verantwortung unseres Berufsstands, hier vorauszudenken und Ideen für lebenswerte und qualitätsvolle Gebäude und Stadträume der Zukunft zu entwickeln. Deshalb hat die Hamburgische Architektenkammer einen Workshop „Hamburg 2050“ zu den Zukunftsfragen der Stadtentwicklung ausgerichtet. Frei von allen Vorgaben konnten Planer aller Disziplinen, Forscher und Behördenvertreter ihre Ideen und Visionen für die Stadt im Jahre 2050 entwickeln.
Wie sähe zum Beispiel eine „Stadt ohne Arbeit“ aus? Neue Erwerbs- und Beschäftigungsformen benötigen neue Räume, zum Arbeiten, Vernetzen, Co-worken. Privat- und Arbeitsleben mischen sich immer mehr; Wohnquartiere müssen somit zu komplexen Lebensräumen entwickelt werden. Die Zukunft der Städte liegt in diesen Quartieren – mit neuen flexiblen Wohn-/Arbeitsformen und Angeboten für sich selbst organisierende Quartiersgemeinschaften. Gemeinschaftlich betriebenes Gewerbe schafft Arbeitsplätze und kann Gelder für die Gemeinschaft generieren; zentrale Einrichtungen für Bildung, Soziales, Freizeit und Kultur bilden Fixpunkte und erzeugen Stabilität in bewegten Zeiten. Neue Wohnformen führen zu neuen Wohnhaustypen wie Quartiershäusern, Clusterwohnen oder Wohndiscountern.
Verdichtung ist unumgänglich. Das Team „Stadt und Weite“ betonte dazu die Notwendigkeit neuer Freiflächen. Bestehende Grün- und Freizeitflächen müssen durch ganz neue Freiräume mit urbaner Qualität ergänzt werden: Blickachsen und Luftkorridore, öffentliche Dachflächen, nutzungsoffene Stadträume. Die Arbeitsgruppe fordert deshalb unter anderem ein gesetzlich verbrieftes „Recht auf Weite“ – Orte der Kontemplation und des Austauschs, frei von allen ökonomischen Zwängen, mit „Jokerflächen“ zur individuellen Aneignung.
Zu selten wird dabei immer noch die „Stadt zu Fuß“ (so das dritte Team) gedacht. Digitalisierung, Elektroautos und Carsharing lösen nicht die Verkehrsprobleme. Die Stadt muss vom Fußgänger und Radfahrer her neu aufgestellt werden. Ihre radiale (Verkehrs-)Struktur wird sich zu einer polyzentralen wandeln. Der Wirtschaftsverkehr muss umstrukturiert, PKWs aus Quartieren verbannt werden. So können sich Radfahrer und Fußgänger wieder frei bewegen und Quartiere reurbanisieren. Notwendige Magistralen werden, mit Trassen für ÖPNV und Fahrrad, zu grünen, urbanen Bändern – aus Verkehrsschneisen werden szenische Bewegungsräume mit neuen Themen und Funktionen. Immer muss künftig gelten: Verkehrsplanung ist Stadtplanung. Und: Lokale und gesamtstädtische Ebene bedingen sich und müssen zusammen gedacht werden, genauso wie (Frei-)Raumentwicklung, Mobilität, Ökonomie und soziale Entwicklung. Zukunft ist eine Gemeinschaftsaufgabe und braucht strategische Stadtentwicklung. Dabei wird Prozessgestaltung zunehmend zu einer entwerfenden Disziplin.
Karin Loosen, Präsidentin der Hamburgischen Architektenkammer
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