Von Vladimir Jovanović
BIM ist eine Methode für das Planen, Bauen und Betreiben von Bauwerken, die auf der Nutzung digitaler Gebäudemodelle basiert. Diese Gebäudemodelle sind planerische „digitale Zwillinge“ des Bauwerks und haben zwei Facetten: erstens eine strukturierte 3D-Geometrie und zweitens eine alphanumerische Datenbank. Ein BIM-Modell entsteht in virtueller Umgebung, in der Regel, bevor das Bauwerk gebaut wird. Dieser Zeitversatz ermöglicht verschiedene Vorabsimulationen, mit denen der Entwurf optimiert werden kann, um eine bestimmte Performance des Gebäudes im Gesamtlebenszyklus zu erzielen.
BIM-Anwendungen sind immer projektspezifisch. Dabei können sie mehrere sogenannte „Dimensionen“ haben: Neben den bereits bekannten 3D für die dreidimensionale Geometrie, 4D für die Zeit und 5D für die Kosten etablieren sich in der Fachwelt zunehmend die Dimensionen 6D für die Nachhaltigkeit und 7D für das Facility-Management.
Nachhaltigkeit möglichst früh untersuchen
Das Thema Nachhaltigkeit wird in einem Projekt am besten möglichst früh betrachtet, seien es ökologische Aspekte wie eine CO₂-Neutralität, ökonomische wie eine Energie- und Kosteneffizienz oder soziale wie der thermische Komfort für Nutzer. Die oft zitierte MacLeamy-Kurve zeigt, dass der Mehraufwand für ein BIM-Projekt (und der Mehrwert aus den Modellen) in den Leistungsphasen 2 und 3 liegt. Das ist erstens vor dem Design-Freeze, also dem Ende des Entwerfens, und zweitens vor der Baueingabe. Diese zwei Meilensteine sind für nachhaltiges Bauen als „Point of no Return“ zu verstehen, weil danach weitere Optimierungen der Gebäudekubatur mit hohem Aufwand verbunden sind.
6D-BIM für die Ortsanalyse
6D-BIM muss nicht kompliziert sein. Auf dem Markt vorhandene BIM-Werkzeuge sind mittlerweile benutzerfreundlich und intuitiv; gleichzeitig bieten sie eine hohe Zuverlässigkeit. Zwei beispielhafte Anwendungsfälle sind die Ortsanalyse sowie die Bemessung und Nachweisführung. Einsatzmöglichkeiten für eine Ortsanalyse sind zum Beispiel Sonnen- und Schattenstudien, Windsimulationen oder Verkehrsanalysen. Als Input zur Prognose des Verhaltens von Gebäuden, Freiräumen und Quartieren werden unter anderem eine vereinfachte Gebäudekubatur, Bebauungseckdaten, Georeferenzierung, lokale Topografie und Klimadaten benutzt. Mit Variationen dieser Anwendung können Planer bereits mit einem überschaubaren Aufwand schnelle Ergebnisse erzielen (teilweise auch ohne Spezial-Software oder Add-ons, zum Beispiel mit Revit, Archicad, Dynamo). Das Ergebnis ist ein für lokale Bedingungen klimagerechtes Design.
6D-BIM für Nachweisführung und Bemessung
Für die Bemessung und Nachweisführung ist 6D im Rahmen einer Ökobilanzierung wichtig: Ein wesentliches Potenzial liegt darin, dass Geometriedaten, Bauteilausrichtungen und Bauteileigenschaften aus dem BIM-Modell in die Bilanzierungsprogramme exportiert werden können. Dies spart Zeit und minimiert Fehlerquellen bei getrennter Eingabe. Berücksichtigt werden dabei auch detaillierte bauphysikalische Simulationen zur Prognose des Verhaltens von Bauteilen, Räumen und Gebäuden. Das sind beispielsweise umfangreiche Gesamtenergiesimulationen für die LEED-Zertifizierung sowie Tageslichtsimulation, Simulation sommerlichen Wärmeschutzes, Fassadenstudien, Wärmebrückenberechnung, thermische Komfortsimulation für die BNB- oder DGNB-Zertifizierung, Strömungssimulation etc. Viele dieser Anwendungen erfordern allerdings spezielle Software (etwa EQUA IDA ICE, IES VE, Autodesk Green Building Studio).
Wichtig für Zertifizierungen und Investments
6D-BIM wird immer häufiger eingesetzt werden. Auch weil das nachhaltige Bauen außerhalb der Architekturwelt Beachtung findet, etwa bei Zertifizierungssystemen wie LEED, BREEAM, DGNB und dem noch nicht so bekannten Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) des Bundes sowie in den ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) für die Evaluierung nachhaltiger Investments. Nachhaltigkeit wird keine Zusatzanforderung an den Gebäudeentwurf mehr sein, sondern als Grundprinzip eine der wesentlichen Beschaffenheitsanforderungen werden.
BIM auch politisch gewollt
BIM ist bereits seit 2020 für alle Infrastrukturprojekte des Bundes verpflichtend. Für den Hochbau sieht der ,,Masterplan BIM‘‘ die verpflichtende Verwendung bei allen öffentlichen Bauten des Bundes vor (mit einer geplanten Umsetzung in mehreren Einführungsstufen ab 2022). Vorreiterprojekte im Bereich Hochbau nutzen BIM bereits umfassend und durchgängig über den kompletten Lebenszyklus des Gebäudes (Planen, Bauen, Betreiben). Dadurch können auch sehr hohe Nachhaltigkeits- und Energieeffizienzanforderungen in frühen Leistungsphasen untersucht, simuliert und planerisch optimiert werden.
Aber auch in kleinerem Maßstab ist 6D durch verfügbare Tools und vorhandenes Know-how für viele Planer bereits heute möglich. Architekten sollten an dieser Entwicklung partizipieren, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu sichern und um das auch kommerziell immer wichtiger werdende Thema Nachhaltigkeit weiterhin mitzubestimmen – vor allem auch gestalterisch.
Dr. Vladimir Jovanović ist Architekt bei Schüßler-Plan in Frankfurt am Main
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