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Rechenzentren: Auch unsere Daten brauchen Architektur

Die Digitalisierung wird oft als Entmaterialisierung empfunden. Ist doch alles nur digital! Doch die enorme Menge an Daten, die wir täglich produzieren und konsumieren, hat handfeste räum­liche und energetische Auswirkungen. Auch hierzulande – wo der größte Internetknotenpunkt weltweit liegt

Von: Rosa Grewe
Rosa Grewe begeistert sich besonders für Ideen, die in dichten...

30.08.20198 Min. 1 Kommentar schreiben
World Wide Web: Die Global Internet Map beinhaltet Statistiken zu den Kapazitäten der Knotenpunkte, zur Versorgung mit Breitbandanschlüssen und zu den größten Providern (Klicken zum Vergrößern), Illustration: TeleGeography/TeleGeography.com

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Alles nur digital?“ im Deutschen Archietktenblatt 09.2019 erschienen.

Von Rosa Grewe

Wir sind Internet. Wir streamen, surfen und networken. Und wir produzieren, nutzen und senden Informationen – digital, pausenlos und überall. 98,2 Prozent der Deutschen werden sich bis 2022 online vernetzt haben, jeder wird durchschnittlich zehn internetfähige Geräte nutzen, von Smartphone bis PC, vom Kühlschrank bis Alexa. Die Geschwindigkeit der Internetverbindungen wird sich in nur fünf Jahren fast verdoppelt, der Datenverkehr pro Kopf fast verdreifacht haben (1). Allein im vergangenen Jahr produzierten wir weltweit eine Datenmenge, die sich, würde man sie auf herkömmlichen CDs speichern, 1340-mal um die Erde winden könnte (2). Tatsächlich materialisiert sich die Digitalisierung in Servern und Fläche für Rechenzentren. Die wird in Deutschland im kommenden Jahr ungefähr 315 Fußballfeldern entsprechen.

Das ist nicht nur ein Platzproblem, sondern ein ökologisches, ökonomisches und infrastrukturelles Problem: Schon 2017 verbrauchten die Rechenzentren mit 13,2 Terawattstunden etwa 2,5 Prozent des durchschnittlichen Stromverbrauchs in Deutschland (3+4), Tendenz steigend. Der lokale Strombedarf für die Hotspots Europas – London, Amsterdam, Dublin und Frankfurt – ist enorm und wird zu einem großen Teil mit fossilen Brennstoffen gedeckt (5).

Zusätzlich verstärkt die Abluft der Server den Treibhauseffekt. Die Digitalisierung brachte eine räumliche Mammutaufgabe: die städtebauliche und infrastrukturelle Anbindung von immer größeren Rechenzentren in Ballungsräumen. Aber bisher findet diese Aufgabe bei Stadtplanern und Politikern kaum Beachtung. Absolut unverständlich findet das Christian Krauthammel, Partner, Geschäftsführer und Architekt im Büro TTSP HWP. Das Büro baut seit etwa 15 Jahren Rechenzentren am Top-Internetstandort Deutschlands, in Frankfurt.

Am Knoten der Welt

In Frankfurt liegt der größte Internetknoten der Welt und daher befinden sich hier die meisten und größten Rechenzentren Deutschlands. Einzig, man sieht sie nicht. Krauthammel sagt: „Rechenzentren sind eine Schattenwirtschaft.“ Viele Betreiber vermeiden öffentliche Informationen, um die hochsensiblen Datenlager zu schützen. Unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung, steigt die Nachfrage nach großen, zusammenhängenden Serverflächen in Frankfurt weiter und weiter. Denn die Nähe zum Internetknoten garantiert die schnellste Datengeschwindigkeit, Millisekunden sind standortentscheidend. „Aber die Grundstücke sind rar geworden, und auch die Stromkapazität der Stadt ist endlich“, sagt Krauthammel. Zudem ist die Integration der Rechenzentren in einem mischgenutzten Stadtraum schwierig.

Denn Rechenzentren sind große, fensterlose Kisten, die hochgesichert in den Stadtraum wachsen, viel Wärme und Lärm abgeben. Krauthammel beobachtet immer häufiger die explizite Ausklammerung von Rechenzentren bei neu ausgewiesenen Gewerbegrundstücken. Konzepte für alternative Standorte gibt es nicht. Es ist ein Paradoxon: Die scheinbare Auflösung des Dinglichen ins Virtuelle erfordert neue Dinge, Bauten und Infrastruktur. Das zu ignorieren, kann Wirtschaftsstandorte gefährden. Krauthammel sagt: „Wir sollten zu einer vernünftigen Auseinandersetzung kommen, wo und wie welche Art von Rechenzentren in der Stadt gebaut werden können.“

Das SAP-Rechenzentrum: sieht gar nicht wie eines aus

Keine Kiste, feine Kiste

Dem unsichtbaren Digitalen einen architektonischen Ausdruck zu geben, war die Idee von Franken Architekten aus Frankfurt am Main. Sie bauten für SAP in Walldorf ein 6.000 Quadratmeter großes Rechenzentrum, das gar nicht wie eines aussieht (oben). Auf einen Sockel mit Eternitplatten setzten die Architekten ein halbtransparentes, gefaltetes Dach aus dunklem Streckmetall, hinter dem sich die Anlagentechnik versteckt. Die Auffaltung bricht mit der üblichen Gestaltung und Maßstäblichkeit von Rechenzentren, nimmt ihm die Wucht und Klobigkeit, wertet die industrielle Umgebung auf und räumt mit dem negativen Klischee einer Serverbox auf.

Das neue Rechenzentrum der Uni Göttingen: Fassade und Volumen harmonieren mit dem Bürogebäude

Ebenfalls kein Problem mit Nachbarn wird das neue Rechenzentrum der Uni Göttingen haben (unten): Hier setzen die Planer von agn aus Ibbenbüren auf eine Einheitlichkeit der Fassade, um die Volumen eines Bürogebäudes und eines Rechenzentrums harmonisch zusammen-  und in die Landschaft einzubinden. So bleibt zwar die Kiste, die profitiert aber im Gebäudeensemble von der belebten Nutzung und dem menschlichen Maßstab ihres Nachbarn. Und sie schafft darüber hinaus sogar noch räumliche Qualität, indem sie den Eingang des Ensembles seitlich einfasst.

Sparwunder: Der Green Cube spart dank Wasserkühlung und Wärmetauscher 30 Prozent Energie

Server kühlen, Kosten sparen

Nicht allein städtebaulich, auch gebäudetechnisch sind Rechenzentren kniffelig. Denn die Server verbrauchen nicht nur viel Strom, sie geben diesen Strom auch zu fast 100 Prozent als Wärmeenergie wieder ab. Die Optimierung der Kühltechnik ist daher der bauliche Faktor für mehr Energie- und Flächeneffizienz. Meist werden Rechenzentren in Deutschland durch eine Luft-Wasser-Zirkulation gekühlt. Die braucht viel Luftvolumen in den Geschossen. Aber es geht auch anders: Für das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt erarbeiteten TTSP HWP zusammen mit dem Frankfurter Informatikprofessor Volker Lindenstruth den Green Cube.

Lindenstruth entwickelte ein Patent für in Hochregallager gestapelte und mit Wärmetauschertüren ausgestattete Racks, die eine sichere Kühlung der Server mit Wasser ermöglichen. Wasser kann Temperatur besser aufnehmen und abtransportieren und ermöglicht so eine sehr effiziente Kühlung. Die Architekten reduzierten den Green Cube technisch und konstruktiv auf ein Minimum: Das ersparte dem Cube die übliche Kälteanlage, je zwei Meter Geschosshöhe und rund 70 Prozent der Baukosten. Krauthammel sagt: „Die Energieersparnis der Green Cubes liegt bei durchschnittlich 30 Prozent.“ 35 Prozent sind derzeit durch bauliche Maßnahmen maximal erreichbar (6). Mehr geht nicht, denn das Hauptproblem bleibt der hohe Stromverbrauch der Server selbst.

Heiße Daten, keine Konzepte

Ein anderes Problem ist die Abwärme, die meist ungenutzt verpufft. Ein kleines Rechenzentrum mit einer Leistung von einem Megawatt gibt etwa 3.700 Megawattstunden pro Jahr Wärmeenergie frei (7), das würde für Heizung und Warmwassererzeugung für 250 bis 300 Haushalte reichen (8). Ein Rechenzentrum als Heizkraftwerk? Das 2018 fertiggestellte Rechenzentrum „Elementica“ im Herzen Stockholms hat eine Leistung von 21 Megawatt und speist voraussichtlich 112 Gigawattstunden pro Jahr in das lokale Fernwärmenetz ein, genug Wärme für 8.000 bis 9.000 Haushalte. Der Clou: Der Strom für das Rechenzentrum kommt komplett aus erneuerbaren Energien.

Was nach Mehrwert klingt, ist für Betreiber in Deutschland schwierig. Denn die Temperatur der Abwärme ist zu niedrig für die mindestens 80 °C Vorlauftemperatur der hiesigen Fernwärmesysteme. Eine Wärmepumpe müsste also die Abwärme erhitzen. Das bedeutet für die Betreiber zusätzliche Kosten für die Installation, Wartung und den Strom der Pumpen und, für den Fall einer Nichtabnahme der Abwärme, die Installation einer Back-up-Technik. Krauthammel sagt: „Das wäre eine Doppelinvestition. Hier sind die Städte gefragt, die nötigen Infrastrukturen aufzubauen.“ Besonders sinnvoll wäre, nach Krauthammel, ein konstanter, vertraglich gebundener Wärmeabnehmer in direkter Nachbarschaft, wie ein Schwimmbad. Nach diesem Prinzip heizt und kühlt das GSI mit einem kleinen Teil der Abwärme des Rechenzentrums sein benachbartes Bürogebäude. Und so soll auch die Abwärme des Göttinger Rechenzentrums ein benachbartes Gewächshaus heizen. Aber für die Nutzung der Abwärme auf kommunaler Ebene fehlt hier, im Gegensatz zu Schweden, ein Konzept für die Ausweisung von synergetischen Standorten und für die Umverteilung von Kosten.

Ein Rechenzentrum wie ein Herz

Das norwegische Büro Snøhetta geht mit einer Rechenzentrums-Utopie noch weiter und plant „The Spark“ als Herz und Zentrum einer norwegischen Stadt: ein Multi-Use-Rechenzentrum mit Schwimmbad, Nutzgartenflächen, einer Plusenergiewohnsiedlung und Industrie- und Sportflächen. Die Abwärme des Rechenzentrums durchläuft dabei nacheinander die verschiedenen Nutzungen, sortiert nach ihrem Wärmebedarf. Die Stadt als Organismus und das Rechenzentrum als Energie pumpendes Herz – was für eine Zukunft. Auf eine ganz andere Entwicklung hofft derweil Krauthammel: „Ich glaube, die Computer- und Kühltechnik wird sich noch weiterentwickeln, dann gibt es vielleicht diesen Flächenbedarf oder die Menge an Abwärme gar nicht mehr.“ Bis dahin aber braucht es dringend auch hierzulande ein Konzept, denn der Datenberg wächst immer schneller, immer höher.

 

Fußnoten

1: Cisco Studie von 2018, „2022 VNI Forecast Highlights“

2: IDC White Paper von 2018, „The Digitization of the World from Edge to Core“ + Rechnung: www.unitjuggler.com, weltweites Datenvolumen 2018 ergab 33 Zettabyte (Rechnung: 44.767.073.174.120 x 700 Megabyte CD80 à 1,2 mm Dicke = ein CD Stapel von 53.720.487,8 km Länge; bei einem Erdumfang von 40.074 km ergibt das 1340 Erdumrundungen)

3: Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit, 2018, „Boom führt zu deutlich steigendem Energiebedarf der Rechenzentren in Deutschland im Jahr 2017“. Voraussichtliche Quadratmeteranzahl für Rechenzentren in Deutschland: 2,25 Mio qm (2020), 13,2 x 100_520= 2,5

4:  Bundesumweltsamt: Gesamtstromverbrauch aller Sektoren in Deutschland: 520 TWh/a (2017)

5: planet e., ZDF, „Stromfresser Internet, Die Schattenseiten der Digitalisierung“, 23.09.2018

6: Energieagentur NRW, 2016, „Energieeffizienz in Rechenzentren“

7: www.reuseheat.eu/facts-figures-data-centres/

8: Bundesumweltsamt und statistisches Bundesamt: Gesamtwärmeenergieverbrauch Haushalte in Deutschland: 564 TWh/a (2017) und 41,3 Mio. Haushalte (2017), daraus ergibt sich pro Haushalt etwa 13,6 MWh/a und >bei 3700 MWh/a pro Rechenzentren eine Versorgung von 272 Haushalten

Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt Produktion

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1 Gedanke zu „Rechenzentren: Auch unsere Daten brauchen Architektur

  1. Wenn in nur 3,5 Jahren der Datenverkehr pro Kopf sich verdreifachen wird, geht das nicht ohne zusätzlichen physischen Ressourcenverbrauch, nicht ohne Vernichtung von CO-2 Speichern (Wald- und Grünflächen), nicht ohne zusätzlichen „grauen“ Energieverbrauch (Gebäude) und nicht ohne zusätzlichen Mobilfunk-Antennenstrom. Zugleich müsste Deutschland bis 2030 die fossile Stromproduktion um mahr als 50 % senken, was parallel ein enormes Stromsparen erfordert, um den CO-2-Ausstoß drastisch zu senken. Alle bisherigen Maßnahmen seit 20 Jahren in diese Richtung, reichten bei weitem nicht aus. Durch die weitere Digitalisierung produzieren wir nun einen (weiteren) Zielkonflikt in Sachen Klima.
    Weder Architekten, noch einzelne Kommunen sind in der Lage, diesen Konflikt zu lösen, solange ganz oben die Weichen nicht anders gestellt werden.

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