Von Manuel Pestalozzi
Die Forschungsinstallation NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) auf dem Areal der Eidgenössischen Materialprüfungs-Anstalt Empa (siehe DAB 06.2018, „Versuchsarchitektur“) in Dübendorf bei Zürich ist um eine „Unit“ reicher. Auf der obersten der drei frei auskragenden und mit verschiedenen Einheiten zu bebauenden Geschossplatten fand am 27. Februar die Einweihung des DFAB HOUSE statt (die Abkürzung steht für „digital fabrication“). In den dreigeschossigen Pavillon mit rund 200 Quadratmetern Nutzfläche sollen bald Gäste der Empa und des benachbarten Schwesterinstituts Eawag einziehen. Als „Versuchskaninchen“ werden sie ein „intelligentes Zuhause“ testen, das mit digitalen Verfahren realisiert wurde.
Das Konzept stammt von Konrad Graser und Professor Matthias Kohler, dem Ko-Leiter von Gramazio Kohler Research, einem Forschungsteam zur digitalen Fabrikation an der ETH Zürich. Verschiedene digitale Verfahren, wurden hier für ein nutzbares Demonstrationsobjekt zusammengeführt, um zu zeigen, wie digitale Fertigungsprozesse unsere Art des Entwerfens und Bauens revolutionieren können. Die Entwicklung erfolgte in langfristiger Zusammenarbeit zwischen acht Professuren der ETH Zürich sowie Industriepartnern und Planern aus mehr als 30 Unternehmen. Dabei wurden viele Verfahren bereits unter Laborbedingungen auf ihre Tauglichkeit getestet.
Mesh Mould
Die neue Bautechnologie Mesh Mould erlaubt die schalungsfreie Vor-Ort Fabrikation einer statisch optimierten Betonwand, indem sie die beiden konventionell separaten Funktionen Schalung und Bewehrung vereint: Ein digital generiertes Modell eines Stahldrahtgitters wird mittels eines Roboters in hoher Präzision gefertigt und danach mit Beton gefüllt. Dank der engen Maschen des Gitters und der spezifischen Betonmischung fließt der flüssige Beton nicht heraus. Mesh Mould ermöglicht es, sowohl Standard-Bauelemente als auch statisch optimierte, geschwungene und nichtstandardisierte Geometrien mit minimalem Abfall, weniger Material und Energie, sowie deutlich geringeren Produktionskosten herzustellen.
Der In situ Fabricator
Dieser mobile Roboter ist für die Vor-Ort-Fertigung von Bauelementen ausgelegt. Dank integriertem Navigations- und Sensorsystem findet er sich in veränderlichen Baustellenumgebungen zurecht und kann sich autonom positionieren und bewegen. Sein gelenkiger Arm kann mit unterschiedlichen Werkzeugen ausgerüstet werden. So kann der In situ Fabricator auf Baustellen auch Aufgaben auszuführen, die für den Menschen gefährlich, ungesund oder zu kompliziert sind. Im DFAB HOUSE durfte der Roboter die geschwungene Mesh Mould-Wand fabrizieren.
Smart Slab
Hierbei werden additive, funktional integrierte Deckenelemente von einem 3D-Sanddrucker hergestellt. Die Bauteile werden mit einer Füllung aus ultrahochfestem, faserverstärktem Beton ausgegossen und mit Ankern für die nachträgliche Vorspannung auf der Baustelle ausgestattet. Dank der hohen Auflösung des Druckers können verschiedene Funktionen wie Gebäudetechnik, Beleuchtung und Akustik in die Bauelemente integriert werden. Die Formfreiheit des Verfahrens ermöglicht es, die multifunktionalen Deckenelemente strukturell zu optimieren, sodass Material eingespart werden kann.
Smart Dynamic Casting
Eine kontinuierliche, robotische Gleitschalungsbauweise erlaubt die Vorfabrikation tragender Betonstrukturen mit variablem Querschnitt ohne Schalungsabfall. Im automatisierten Verfahren wird ein 40 Zentimeter langes Schalungssegment fortlaufend mit Beton befüllt und kontinuierlich in die Höhe gezogen. Spezifische Zusätze sorgen dafür, dass der Beton beim Austritt aus dem Schalungssegment nur soweit abgebunden ist, dass er sich selbst und das Gewicht des darüber liegenden Betons trägt, gleichzeitig aber noch eine definierte Nachformung zulässt. Im DFAB HOUSE kam das Verfahren für die Vorfabrikation der geschlossenen Wandflächen im Eingangsgeschoss zum Einsatz.
Spatial Timber Assemblies
Die beiden oberen Geschosse bestehen aus maßgeschneiderten, robotisch vorfabrizierten Holzbauteilen. Das Verfahren erweitert die geometrischen Gestaltungsmöglichkeiten der Vorfabrikation, minimiert den Montageaufwand von Einzelelementen und erleichtert die Integration von Technik. Für das DFAB HOUSE entstand eine beplankte Holzständerkonstruktion, in welche bereits während der robotischen Vorfabrikation technische Installationen der Gebäudehülle wie Photovoltaikelemente, thermische Kollektoren oder Beschattungssysteme integriert wurden.
Transluzente Leichtbaufassade
Spatial Timber Assemblies ermöglicht die Fabrikation von Strukturen mit einer hohen Steifigkeit in alle Richtungen, ohne dass dafür zusätzliche Bewehrungsplatten notwendig sind. Die sich daraus ergebende Freiheit in der Materialwahl wurde genutzt, um eine ganzheitliche Hightech-Fassadenlösung zu entwickeln. Das innovative lichtdurchlässige Fassadensystem kombiniert die ausgezeichnete Wärmedämmung und Lichtdurchlässigkeit von Aerogel-Granulat mit der Leichtigkeit und der geometrischen Flexibilität eines ETFE-Membransystems. Das Resultat dieser patentierten Technologie ist für die beiden oberen Geschosse eine schlanke Hochleistungsfassade mit neuartigen ästhetischen Qualitäten hinsichtlich seiner optischen Eigenschaften.
Manuel Pestalozzi ist Autor für Architektur und Bauwesen in Zürich
Digitales Testwohnen
Lesen Sie hier, wie sich digitale Anwendungen für Annehmlichkeit, Sicherheit und Energieeffizienz im DFAB House beweisen sollen:
– herstellerunabhängige Smart-Home-Plattform
– Sprachsteuerung für komplexe Abläufe und Szenarien
– Intelligenz bei Energiemanagement, Beschattung, Einbruchschutz und Haushaltsgeräten
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