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SimsalaBIM

Worin der Zauber von Building Information Modeling liegen kann

30.01.20158 Min. 1 Kommentar schreiben

Standpunkt: Andreas Schindler

Es entbehrt nicht einer gewissen Magie, dass die aus dem Angloamerikanischen eingeführte Abbreviation „BIM“ für Building Information Modeling Teil der allgemein bekannten Beschwörungsformel SimsalaBIM ist. So verheißt BIM doch Heilsbringer – oder zumindest Heilmittel – für all die Wewehchen zu sein, die uns im Architektenalltag das Leben schwer machen: blutdrucksteigernde Dialoge mit Bauherren, Fachplanern und Behörden, rückgratbeugende Kostenbudgets und den gesunden Menschenverstand ruinierende Terminpläne. All dies kann scheinbar mühelos und wundersam durch die Anwendung von BIM kuriert werden.

Andreas Schindler, BIM-Manager und Dipl.-Ing. Architekt (Foto: HWP Planungsgesellschaft mbH)
Andreas Schindler, BIM-Manager und Dipl.-Ing. Architekt (Foto: HWP Planungsgesellschaft mbH)

Der Begriff „Anwendung“ suggeriert schon einen Trank oder ein Sälbchen, vielleicht eine Tinktur, die, mehrmals täglich appliziert, letztlich zur Linderung, oder, oh Wunder!, zur Heilung führt. So sehr dies amüsieren mag, die Realität ist nicht allzu weit davon entfernt. In vielen, immer mühsamen und teilweise irritierenden Gesprächen mit nicht in die „Geheimnisse“ der BIM-Zunft Involvierten kristallisieren sich die meist erheblichen Wissensunterschiede stets stimmbandruinierend heraus. Denn manch einer glaubt, sich den kleinen BIM-Zauberkasten kaufend, durch das bloße Lesen der Gebrauchsanleitung, mühelos und mit SimsalaBIM zur Liga der „Wissenden“ gehörend präsentieren zu können.

Schon die vorangegangene Schilderung lässt erahnen, dass der Autor dieser Ansicht vehement widerspricht. Wissen und bestenfalls Anwendungskompetenz, welche auf konkretem, praktisch erworbenem Erfahrungsschatz beruhen, lassen sich weder per Pille oder Salbe, noch durch die Anrufung höherer Mächte erlangen. Auch vor Quacksalbern und Wunderheilern sei daher gewarnt, die anderes suggerieren. Wie das Leben eben selbst ein unablässiges Aufbrechen, Verwerfen und erneutes Beginnen ist, so stellen modellbasierte und datenbankbegleitete Planungsprozesse ebenso wie die daran angegliederten Abstimmungs- und Koordinationsprozeduren einen neuartigen Pfad dar, den zu beschreiten zuerst mühsam, aber letztlich erfolgversprechend ist.

Auch ich und meine Teams haben in annähernd zehn Jahren mit modellbasiert konzipierten und als solche zu planenden Projekten – nicht zu verwechseln mit 3D-CAD! – schmerzliche Erfahrungen machen und herbe Rückschläge verzeichnen müssen. Die Gründe sind vielfältig, warum Planungen trotz bester Voraussetzungen und unter Fanfarenklängen angetreten letztlich mit Pauken und Trompeten untergingen, um schließlich wieder „traditionell“ zu Ende gebracht zu werden. Es ist müßig darüber zu lamentieren. Letztlich aber haben sie zu dem geführt, was wir die „BIM-Reife“ nennen mögen. Es geht um Menschen, die als Planer und/oder Projektleiter Erfahrungen sammeln konnten, seien sie positiv oder negativ, ermutigend oder niederschmetternd, die sie jetzt in die Lage versetzen, zu verstehen und beurteilen zu können, welche Kraft und Macht – auch ohne SimsalaBIM – in BIM stecken kann und warum absolut kein Weg daran vorbei führt, ob man will, oder nicht.

Geradezu unverständlich mutet vor diesem Hintergrund die immer wieder eingenommene Schutzhaltung an, der Mittelstand müsse vor BIM geschützt werden. Nun, auch unser Büro gehört dem Mittelstand an und wir möchten nicht geschützt werden! Wir müssen und wollen uns den Anforderungen der Zeit und des Wettbewerbs jetzt stellen. Es ist traurig, aber zu befürchten, dass all jene, welche auf die trügerische Schutzwirkung vertrauen, diejenigen sein werden, welche zu spät zur Einsicht kommen und dann die Folgen äußerst schmerzlich zu spüren bekommen. Dann hilft auch kein SimsalaBIM mehr.

Risiken und Nebenwirkungen?

Wenn dann, nach Studium des Beipackzettels, die herstellerglorifizierende Wirkungsweise der jeweiligen BIM-fähigen Anwendung verinnerlicht wurde, sollte der geneigte Neuanwender sich jedoch immer noch der auf der Rückseite beschriebenen Nebenwirkungen gewahr sein. Denn niemals tritt Wirkung ohne Nebenwirkung auf, niemals ist Indikation ohne Kontraindikation gegeben. So kann das eine Projekt prädestiniert für die disziplinvereinigende Wirkung sein, während es das andere nur unnötig belastet.

Um die komplexen Beziehungen, Wechselwirkungen, ja die zugrundeliegende systemverändernde Chemie umfassend zu begreifen und beurteilen zu können, helfen nur der Aufbruch, stetiges Herantasten und empirisches Sammeln von Erfahrungen. Diese sind es denn auch, durch welche modellbasiertes Arbeiten und Entwerfen zum Erfolgsmodell werden kann. Modellieren avanciert, Lego-gleich, zum Motivator, zeugt vom Spaß am Tun und eröffnet kindliche Freude und Schöpferstolz am allgemein bestaunten Ergebnis.

Und immer wieder die Frage nach der kostenoptimierenden Effizienz? Beruhigend kann man entgegnen, diese sei systemimmanent garantiert, wenn man denn so weit ist. Letztlich sind es immer persönliche, ja menschliche Motive, die einen erfolgreichen Umstieg, ein Versuchen, ein Herantasten, durch das Sammeln von Erkenntnissen, ermöglichen oder zum Scheitern verurteilen. Wer erkannt hat, dass modellbasiertes Arbeiten die eigene Faulheit effektiviert, welche unmotivierende und ermüdend-langweilige Tätigkeiten in höchstem Grade ablehnt, weil diese zeit- und energieraubenden Unsinnigkeiten systembedingt durch BIM minimiert werden, der will nie mehr zurück. Die Aufbruchsstimmung wird noch potenziert, wenn man erkennt, dass man sich durch diese Art der Planung selbst höchste Sicherheit schaffen kann, in dem, was man tut und kommuniziert – sei es als Plan oder Liste, als Datensatz oder Kostenwert, als Farb- oder Materialkonzept. Da bleibt nicht die geringste Spur von Wehmut!

Diagnose und Kompetenz

Wo Licht den Schatten erzwingt und in Ansichten und Visualisierungen die Räumlichkeit stützt, beide aber immer grundlegend mit dem anderen einhergehen, da führt auch das Arbeiten in und mit Gebäudemodellen faktisch zwangsweise zu neuen Wegen, welche zugleich sowohl positiv als auch negativ sein können. Die im Modell plastisch gewordene Entwurfsidee, virtuell visualisiert und damit eine Simulation der Realität, ermöglicht einen nahezu ungeheuerlichen Zugriff auf das elektronisch-datenbasierte Verständnis des Gebäudes: Tageslichtanalysen, bauphysikalische Betrachtungen und grundlegende gebäudetechnische Konzeptionen sind bereits heute – on the fly – mit Hilfe entsprechender Tools, in Sekunden erstellt. Jede Entwurfsänderung wird quasi sofort analysiert, transferiert und mit neuen Ergebnissen präsentiert. Was früher Wochen benötigte und von Menschen erdacht werden musste, ist heute ein Ergebnis aus 1 und 0, analysiert durch 1 und 0. Doch immerhin können diese Tools noch bedient werden.

BIM – oder interdisziplinäres Planen – oder modellbasiertes Entwerfen, wird also mehr und mehr eine hohe bis höchste Qualifikation jedes einzelnen Mitarbeiters verlangen.

Entscheidend nicht nur für die Architektur, sondern auch für die Effizienz des Projekts in erheblichem Umfang maßgeblich, ist die Kompetenz des modellierend Planenden. Sie zeigt sich in seiner Fähigkeit, seinem Verständnis, die BIM-Modellierung unterstützende Programme wie auch viele weitere Applikationen problemlösungsorientiert und zielgerichtet in konkreten Projekten einsetzen zu können. Add-ons und Extensions, beispielsweise für Kosten, Bauphysik und Statik, bis hin zum Geländemodell aus Topografiedaten, ob aus Überfliegungen oder als Import aus Google Earth, müssen beherrscht werden. Die Grundlagenerarbeitung aus aufbereiteten Punktwolken und der Einsatz von Laserscans bieten völlig neue Perspektiven. Möglicherweise werden künftig weniger Architekten, Ingenieure und Fachplaner mehr Projekte umfassender bearbeiten, weil die Planung selbst zum Prozess wird – der Architekt/Planer zum „Smartphone“ der Architektur.

Die Ausführung des modelliert Gedachten ist schließlich ein weiterer Schritt. Auch die Bauindustrie und das Handwerk werden Lösungen finden müssen, um im neuen Umfeld zu bestehen. Der auch zeitweise Zusammenschluss, die projektbezogene Partnerschaft kleinerer Firmen, mag eine Lösung sein. Für alle am Bau Beteiligten kann BIM, kann modellbasiertes Planen und Ausführen eine Chance sein. Die Bereitschaft sich einzulassen, ist jedoch ein entscheidender Faktor für den Erfolg.

Ein Blick in die Kristallkugel

Die Hochschulausbildung, welche nicht nur modellbasiertes Entwerfen und Konstruieren lehrt, sondern die Chancen und Möglichkeiten des Disziplinen übergreifenden BIM im Team aufzeigt und vermittelt, ist dringend von Nöten. Die Hochschulen sind gefragt, Veranstaltungen zu offerieren, die es den Studenten ermöglichen, Entwürfe gemeinsam mit Studenten anderer Hochschulen und, wichtiger noch, aus anderen Disziplinen, zu entwickeln. Absolventen, welche in der Anwendung von BIM-Prozessen, Datenbankanwendungen, sowie analytischen wie dynamischen Eingriffsmöglichkeiten in datenbankbasierte Planungen geschult sind, werden dringend benötigt werden.

Die Planung könnte ebenfalls wieder stärker zum Ausdruck der Schaffenskraft des einzelnen Architekten werden, weil die Zukunft darin bestünde, die Idee, die Vision in einem Modell zu publizieren und nicht im täglichen Kampf mit Layern, Plottern und veralteten Planständen auf der Baustelle zu sein. Öffentliche, allgemein verfügbare, element-, raum- und/oder typenbasierte Kostendatenbanken, welche die Kosten jeder einzelnen Idee analysierten und fortwährend bewerteten, könnten entstehen, Kosten würden damit von Anfang an zu einem grundlegenden Bestandteil einer Idee. Ausschreibungsprozeduren würden obsolet, denn die meisten für die Ausführung notwendigen Informationen wären bereits im Modell enthalten. Termine ergäben sich aus dem Baustart und den durch die ausführenden Firmen vorgesehenen Kapazitäten. Auf Pläne könnte – endlich! – gänzlich verzichtet werden. Denn zum Beispiel datenbasierte Projektionssysteme, Fertigungsmethoden und Informationsportale sorgten dafür, dass alle Informationen am Bau, dem richtigen Ort, zur richtigen Zeit verfügbar wären. Bauteile und Elemente kommunizierten untereinander, weil sie „wüssten“, wann welches Teil wo zu sein hätte, und teilten mit, wenn Probleme im Ablauf erkennbar würden.

SimsalaBIM oder noch Science-Fiction?

Zum Autor: Andreas Schindler ist seit dem Jahr 2000 als Projektleiter und BIM-Manager bei der HWP Planungsgesellschaft mbH tätig. Seine Erfahrung mit modellbasierter Planung und BIM Prozeduren umfasst laut eigenen Angaben zahlreiche Projekte, u.a. das „Medical Center Replacement“ für die US-Army. Schindler ist in verschiedenen BIM-Fachgruppen  tätig und hält Vorträge zum Thema.

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1 Gedanke zu „SimsalaBIM

  1. Toller Artikel! Danke für die Ausführungen aus der Innensicht eines renommierten Büros heraus. Zwei Gedanken dazu:
    1. Bekräftigung
    Ja, wo können wir noch so nah an unserem späteren Projekt sein, als an einem vorher simulierten Modell: Geometrie, Materialien, Kosten, Energie udglm. Schon immer wurden Modelle gebaut, um die „folgende Wirklichkeit“ besser vorhersagen zu können und einen gemeinsamen Konsens über das Gedachte zu erreichen.
    Ja, der Architekt ist wieder deutliche näher an seinem Schaffen!
    2. Hinweis
    Gerne denke ich an die Diskussionen Anfang der 90er zurück:
    – Nie werden wir mit CAD komplett das Reissbrett ersetzen!
    – Wozu die immensen Investititonen?
    – bis ich das gelernt habe, habe ich meinen Plan am Reißbrett schon gezeichnet!
    Ersetzen Sie bitte mal BIM mit CAD und modelbasiertes Arbeiten mit Datenaustausch. Da hätte der Text auch in den 90ern Bestand gehabt. 😉

    Also dranbleiben, die Zeit ist reif! Wünsche weiterhin eine erfolgreiche BIM-Adaptionskurve!

    Antworten

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