Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Gebäude als Ressource“ im Deutschen Architektenblatt 11.2022 erschienen.
Von Fabian P. Dahinten
In Deutschland fallen jährlich rund 900 Millionen Tonnen Abfall an. Damit könnte man die Cheops-Pyramide, ungeachtet der wilden Materialmischung, 150 Mal mit Originalgewicht nachbauen. Mit knapp 55 Prozent der 900 Millionen Tonnen haben die Bau- und Abbruchabfälle daran den größten Anteil – nur knapp 34 Prozent davon werden in irgendeiner Form recycelt. Dass zum Teil noch funktionsfähige Materialien und Bauteile so häufig entsorgt statt weiterverwendet werden, liegt daran, dass es oftmals an Informationen über sie mangelt: Zusammensetzung, Lebensdauer und andere notwendige Angaben sind für einen erneuten Einbau unabdingbar.
Doch entweder wurden die Daten bei der Errichtung nicht gesammelt und aufbereitet oder es gab – wie damals beim Bau der Cheops-Pyramide – noch keinen Materialpass, in dem die Informationen hätten dokumentiert werden können. Ein späterer Scan, Materialuntersuchungen und das Erstellen von Katastern werden oft als zu zeitaufwendig und teuer eingeschätzt. Doch ist das wirklich so?
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Gebäude in getrennten Komponenten zehnmal wertvoller
Urban Mining führe nicht zwangsläufig zu höheren Kosten und verlängerten Bauzeiten, betonte Rebekka Ruppel, CEO von pom+ Deutschland, im Juli auf einem Wissens-Hackathon der Architektenkammer Rheinland-Pfalz und der DGNB in Mainz (siehe unten). Als Beweis führt Rebekka Ruppel eine Untersuchung aus Singapur an. Darin wurde ein zum Abriss vorgesehenes Gebäude samt den darin verfügbaren Komponenten, von Glühbirnen bis zu Fenstern und Türen, aufgenommen und vor dem Abbruch demontiert. „Im Vergleich zu herkömmlichem Abfall hatte das Material der ausgebauten Komponenten einen zehnmal höheren Wert“, so Ruppel. Außerdem habe die Entnahme nicht zu einer Verlängerung der Bau- beziehungsweise Abrisszeit geführt.
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Pilotprojekt in Heidelberg
Ein Pilotprojekt in Heidelberg setzt mit einem Gebäude-Materialkataster für eine ganze Siedlung schon früher an. Das Patrick-Henry- Village mit 325 Gebäuden wird in einem Modellversuch zunächst aufgenommen, um dann anschließend die Materialzusammensetzung zu schätzen. Ziel sei es, so Rebekka Ruppel, den Wert der Materialien in der Siedlung zu ermitteln. Auch wenn es zu Teilabbrüchen käme, ließe die Weiter- oder Wiederverwendung sich optimieren.
Abfall mit Identität
„Abfall ist Material ohne Identität“, wie es Architekt Thomas Rau, einer der Vordenker der Kreislaufwirtschaft, ausdrückt. Doch in einer Welt von wachsenden Vorschriften, in der es schlichtweg unmöglich ist, beispielsweise eine Tür einzubauen, deren Brandschutzqualität nicht definiert ist, muss das nicht so bleiben. Wenn die Klassifizierung, das Baujahr, der Hersteller und die technischen Maße bekannt sind, behält die Tür ihre Identität – so kann aus Altmetallschrott auch eine Recycling-Tür gewonnen werden.
Das Werkzeug, mit dem so eine zirkuläre Bauwirtschaft möglich wird, haben wir bereits: „BIM ist nicht nur ein 3D-Modell, es ist ein 3D-Modell, das mit Daten angereichert wird, die zu Informationen werden“, erklärt Architekt Steffen Feirabend, Professor für digitales Planen und Bauen an der HFT Stuttgart. Dies können Informationen zur Entstehung des Bauteils und zum ökologischen Fußabdruck sein, jedoch auch einfache beschreibende Daten, die eine Weiterverwendung eines Produktes ermöglichen, wenn der bisherige Einsatzort zurückgebaut wird.
BIM ist das Werkzeug für die Kreislaufwirtschaft
„Wenn Architektinnen und Architekten neue Gebäude mit BIM planen, können die Informationen der Materialien und Bauteile in einen digitalen Zwilling des Gebäudes überführt und für die weiteren Lebenszyklen gesammelt, aufbewahrt und vor allem bewertet werden“, sagt auch Rebekka Ruppel. Dafür brauche es einheitliche Schnittstellen und Verpflichtungen von zum Beispiel Herstellern, alle notwendigen Informationen für eine solche Wissensdatenbank zur Verfügung zu stellen. So kann BIM den Weg zur Kreislaufwirtschaft weisen.
Ziel ist die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten und ihrer Bestandteile bei gleich bleibender Qualität. Dies kann über eine intelligente Verwendung oder Konzeption sogar so weit gehen, dass recycelte oder upgecycelte Teile die Funktionen neu gebauter Produkte übernehmen, sodass diese künftig erst gar nicht hergestellt werden müssen.
Um in den urbanen Minen erfolgreich schürfen zu können, müssen wir aber zunächst unsere digitalen Werkzeuge schärfen. Dabei sind auch Daten eine Ressource, die oft vergessen wird. Sie bilden die Grundlage, auf der sich Baumaterialien, Bauteile und Produkte intelligent und zielgenau wieder- oder weiterverwenden lassen. Denn erst wenn wir wissen, woraus genau die 150 aus Abfall bestehenden Cheops-Pyramiden pro Jahr genau bestehen, kann daraus etwas anderes entstehen – ohne zusätzliche Kosten und ohne Qualitätsverlust.
Fabian P. Dahinten ist DAB-Nachwuchsautor und Sprecher der Nachwuchsmitglieder der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen
Weitere Infos zu den Wissens-Hackatons der Veranstaltungsreihe verANTWORTung.
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