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Virtuelle Brände

Numerische Strömungssimulationen können wichtige Brandschutz-Fragen im Vorfeld klären und von der Norm abweichende Brandschutzkonzepte absichern

05.07.20197 Min. Kommentar schreiben
Eine präzise Nachbildung der relevanten Raumgeometrie ist Voraussetzung für eine realistische Simulation der Temperaturverteilung und Rauchausbreitung. Foto: Coolplug B.V.

Von Marian Behaneck

Vor allem öffentliche Bauvorhaben mit ihren individuellen Architektur- und Nutzungskonzepten stimmen selten mit bauordnungsrechtlichen Regelanforderungen an den Brandschutz überein. Hinzu kommen Einschränkungen in der Anwendung von Regelwerken. So lassen sich beispielsweise Entrauchungsanlagen bei einfachen Gebäude- und Raumkonzepten zwar normenkonform auslegen, nicht aber bei Gebäuden mit komplexer Geometrie, weil die Auslegung auch von der gebäude­abhängigen Raumluftströmung, der Intensität der Zuluftströmung und anderen Faktoren abhängt.

Unsicherheiten entstehen auch, weil die Landesbauordnungen nur grobe Angaben enthalten. Bauordnungen sehen daher die Möglichkeit vor, von den Regelvorschriften abzuweichen, wenn durch geeignete Methoden nachgewiesen werden kann, dass die vom Gesetzgeber geforderten Schutzziele auch mit individuellen Lösungen realisierbar sind.

Die Ausbreitung und Geschwindigkeit, Rauchkonzentrationen und Temperaturen gehören zu den wichtigsten Ergebnissen der Numerischen Brandsimulation. Foto: Coolplug B.V.

Ingenieurmethoden für individuelle Nachweise

Geeignet sind Ingenieurmethoden wie die rechnergestützte Brand-, Entrauchungs- und Evakuierungs­simulation. Damit lassen sich auf der Grundlage mathematisch-physikalischer Modelle Brandschutznachweise erbringen, die Abweichungen von vorgeschriebenen Brandschutzvorgaben ermöglichen. Eingesetzt werden die Simulationsverfahren in der Bauentwurfsplanung, der Brandursachenforschung und Brandfolgen­ermittlung sowie bei der Untersuchung von Brandphänomenen.

In der Entwurfsplanung dienen Simulationsrechnungen vor allem der Lokalisierung von Problemzonen im Gebäude und der Entwicklung von Konzepten und Lösungen. Individuelle brandschutztechnische Konzepte, Gutachten oder Stellungnahmen lassen sich mit Simulationsrechnungen untermauern. Sie helfen bei der Dimensionierung und Optimierung brandschutztechnischer Einrichtungen, etwa von Rauchabzügen oder Anlagen für die maschinelle Entrauchung und ermöglichen Aussagen über deren Einfluss auf den Brandverlauf.

Da alle relevanten Daten wie Dichte, Temperatur oder Geschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt des Brandes berechenbar sind, lassen sich für jeden Punkt innerhalb eines Objektes zuverlässige Aussagen treffen, auch beispielsweise zur Ruß- oder Rauchgaskonzentration, zur Reduktion des Sauerstoffgehalts oder zur Sichtweite. Mit exakten Berechnungen der Wärmestrahlung von Flammen und Rauchgasen lassen sich thermische Belastungen für jeden Punkt der Tragwerkskonstruktion ermitteln.

Damit lassen sie sich sehr exakt dimensionieren – und damit häufig schlanker und filigraner, als mit konventionellen Rechenverfahren. Bei haustechnischen Anlagen kann man ermitteln, welche Bereiche und Bauteile einen zusätzlichen Brand- oder Sprinklerschutz benötigen. Die Einsatzmöglichkeiten von Brandsimulationsprogrammen reichen von einfachen Volumenbränden, über Flächenbrände bis hin zu komplexen Brandszenarien mit plötzlich sich ändernden Randbedingungen, wenn etwa eine Glasfassade durch Hitzeeinwirkung platzt. Mit Hilfe von Personenstrom-Simulationen können bauliche, technische und organisatorische Maßnahmen für die Evakuierung von Gebäuden entwickelt und optimiert werden.

Auch die Rauchausbreitung in neuralgischen Bereichen wie Treppenhäusern kann visualisiert werden. Foto: Autodesk

Für jedes Problem das passende Modell

Je nachdem, welche Brandszenarien und Randbedingungen vorherrschen oder welches Schutzziel angestrebt wird, kommen verschiedene Brandmodelle zum Einsatz, die sich durch die Komplexität der zu Grunde liegenden mathematischen, physikalischen und numerischen Verfahren und nach dem Umfang der verarbeiteten Datenmenge unterscheiden: Bei Zonenmodellen wird der Brandraum in mehr oder weniger große Zonen unterteilt und zu untersuchende Prozesse empirisch, dass heißt, durch aus Versuchsergebnissen abgeleitete Beziehungen, beschrieben. Das vereinfacht zwar die Berechnung, kann aber bei komplexen Problemstellungen zu Fehlern führen.

Feldmodelle beruhen, wie auch CFD-Modelle (Computational Fluid Dynamic), auf physikalischen Prinzipien der Energie-, Massen-, und Impulserhaltung. Auf der Basis eines digitalen 3D-Geometriemodells des Gebäudes, das in eine Vielzahl (bis zu einigen Millionen) kleiner, miteinander vernetzter Zellen unterteilt wird, lassen sich damit physikalische Größen wie Temperatur, Druck, Dichte, Rauchgaskonzentrationen etc. als Funktionen von Ort und Zeit präzise ermitteln – für jede Zelle und damit nahezu für jeden Raumpunkt. Da jede Zelle von ihren Nachbarzellen beeinflusst wird, ist der Rechenaufwand groß.

Von Feldmodellen unterscheiden sich CFD-Modelle in der geometrischen Flexibilität der Zellelemente, der Vernetzung von Zellen sowie in der Beschreibung besonderer Strömungseffekte wie etwa Turbulenzen. CFD-Modelle sind daher besonders geeignet für Objekte mit einer besonderen Form, Gestaltung, Struktur, vom Standard abweichende Randbedingungen, Voll- und Lokalbrände oder für spezielle Brandeffekte. Im Baubereich werden CFD-Modelle auch für die Simulation von Windlasten am Gebäude sowie von Luftströmungen im Gebäude eingesetzt.

Auch bautechnische Besonderheiten wie eine Gewebefassade und deren Auswirkung auf die Rauchableitung können simuliert werden. Foto: Halfkann + Kirchner

Vom 3D-Modell zur Simulation

Grundlage von Simulationen sind dreidimensionale Geometrien des zu untersuchenden Gebäudes beziehungsweise Raumensembles mit sämtlichen strömungstechnisch relevanten Details. Die mit einem (BIM-fähigen) CAD-Programm oder einem so genannten Präprozessor erstellten Raumvolumina werden anschließend in eine endliche Anzahl kleiner Zellen (so genannte „finite Volumen“) unterteilt und damit ein die Berechnung vereinfachendes kartesisches oder ungeordnetes „Rechengitter“ generiert. Die Wahl der Zellengröße ist abhängig von dem zu untersuchenden Brandszenario und den vorhandenen Rechenressourcen.

In der Praxis werden bei öffentlichen Gebäuden (Empfangshallen, Atrien, Säle etc.) Zellengrößen zwischen 10 und 20 Zentimeter verwendet, im Wohnungsbau sind diese etwas kleiner. Teilweise besteht die Möglichkeit, mehrere unterschiedliche Gitternetze zu definieren, beispielsweise an der Brandquelle ein feinmaschigeres Gitter, sodass der Verbrennungsprozess genauer simuliert werden kann. Die erforderliche Zellenanzahl hängt von der Gebäudegröße und ‑geometrie ab, umfasst aber in der Regel zwischen 20.000 bis einigen Millionen Zellen. Mit steigender Anzahl von Rechenzellen kann die zu untersuchende Geometrie immer genauer nachgebildet werden, zugleich steigt aber der Rechenaufwand. Nach der Vernetzung der Zellen werden ein geeignetes Modell für die relevanten physikalischen und chemischen Prozesse ausgewählt sowie die Randbedingungen für die Berechnung definiert. Die Qualität der Ergebnisse hängt ab von der Diskretisierungstiefe, das heißt, der Aufteilung des Raumes in Zellen, der Definition von Randbedingungen und so weiter.

Nach Abschluss der Simulation werden umfangreiche, in der Regel grafische Auswertungen ausgegeben, wobei Temperaturverläufe, Sichtweiten, Gaskonzentrationen etc. auch in Form von Tabellen und Diagrammen darstellbar sind. Grenzen setzt die Komplexität der Modelle und Rahmenbedingungen. Komplexe Probleme können in manchen Fällen selbst auf Großrechnern mehrere Wochen dauern, sodass auch die Simulation an wirtschaftliche Grenzen stößt. Für ein komplettes Simulationsprojekt, inklusive der Kosten für die Rechenzeit, muss man projektgrößenabhängig zwischen 5.000 und 25.000 Euro kalkulieren.

Mit speziellen Entfluchtungssimulationen lässt sich die Wirksamkeit von Evakuierungskonzepten überprüfen und optimieren. Foto: Siemens

Entfluchtungssimulationen

Mit speziellen Programmen zur Simulation zielgerichteter Personenbewegungen in räumlich komplexer Umgebung lässt sich die Wirksamkeit von Evakuierungskonzepten überprüfen. Simulationen ermitteln die Entfluchtungsdauer, lokalisieren problematische Stauzonen und helfen bei der Optimierung notwendiger Flucht- und Rettungswege. Ferner ermöglichen sie den Nachweis, dass geplante oder bestehende Flucht- und Rettungswege für eine bestimmte Personenzahl genügen und ausreichend flexibel sind. Die Evakuierungssimulation ist damit ein anerkanntes ingenieurmäßiges Nachweisverfahren für eine ausreichende Fluchtwegdimensionierung bei Abweichungen vom Bauordnungsrecht.

Simulationsgrundlage ist, neben der Raum-/Gebäudegeometrie mit allen für den Ablauf der Evakuierung wichtigen Details, eine Beschreibung der individuellen Bewegung der Personen, unter Berücksichtigung wichtiger Parameter wie Größe, Gewicht, Alter, Gehgeschwindigkeit, Reaktions- und Verzögerungszeiten, Fluchtwege-Wahl, Verhalten bei Staubildung etc. Die Wahl des Fluchtweges erfolgt unter Beachtung individueller und externer Einflussfaktoren wie Orientierung, Hinweiszeichen, Fluchtleitsysteme, Eingreifen von Ordnungs- oder Rettungskräften etc. Die Berechnung basiert auf elementaren Bewegungsabläufen (Aufschließen, Ausweichen, Überholen, Mindestabstand) und berücksichtigt auch raumgeometrisch bedingte Einschränkungen sowie äußere Einwirkungen wie Rauch und Hitze. Dadurch lassen sich auch bei einer Entfluchtung und Evakuierung auftretende Personenstrom-Dynamiken vorhersagen. Wichtigstes Ergebnis der Berechnungsdaten sind jedoch die Mittelwerte der Räumungszeiten sowie deren statistische Schwankungen.

CFD ersetzt kein Fachwissen

Mit Simulationsrechnungen lassen sich sowohl sicherheitstechnisch als auch wirtschaftlich optimale Brandschutzlösungen entwickeln. Vom Gesetzgeber oder Bauherr geforderte Sicherheitsstandards sind damit häufig kostengünstiger erzielbar, als mit konventionellen Methoden. Außerdem kosten rechnergestützte Nachweisverfahren weniger und belasten die Umwelt in geringerem Maße als reale Brandversuche.

Zum Erfolg führen Simulationsrechnungen jedoch nur durch eine exakte Wiedergabe der Raumgeometrie, die Verwendung hinreichend genauer Brandmodelle und die Berücksichtigung relevanter Phänomene wie Turbulenzen und Wärmeübertragungen. Durch ein zu grobes Rechengitter, ungenaue Randbedingungen, vernachlässigte Brandszenarien oder Gefahrenpotenziale können die Programme falsche Ergebnisse liefern, weshalb diese stets von erfahrenen Brandschutzexperten interpretiert und auf Plausibilität geprüft werden sollten.

Marian Behaneck ist freier Fachjournalist in Jockgrim (Pfalz).

 

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