Studieren ist in diesen Zeiten nicht leicht. Auch in unseren Fachrichtungen der Architektur und Stadtplanung. Voller Mitgefühl schaue ich in die müden Augen der Studierenden in ihren heimischen Dachkammern, seit Stunden schon vor dem Bildschirm, wie sie meinem Herumgekritzel in ihren Entwürfen auf dem Grafiktablett folgen müssen. Dabei ist der technische Fortschritt ein Segen. Vieles kann im digitalen Raum stattfinden. Auguren sehen als Folge der Pandemie bereits die Universitäten schrumpfen, weil nicht mehr so viele Lehrräume gebraucht würden. Lehre im Homeoffice? Hochschulen vermitteln nicht nur Wissen und Fertigkeiten, sondern Problemlösungskompetenz.
Architektur hat „wicked problems“
Die meisten Themen in Architektur und Städtebau sind sogenannte „wicked problems“. Den Begriff der „bösartigen Probleme“ prägten in den 1960er-Jahren Horst W. J. Rittel und Melvin Webber. Für solche Probleme gibt es keine eindeutige Lösung, kein Richtig oder Falsch, höchstens Gut oder Schlecht. Aber selbst diese Bewertung hängt davon ab, wie man das Problem formuliert und welche Erklärung man für die Lösung findet. Während energieeffizientes Bauen ein vergleichsweise „zahmes“ Problem zu sein scheint, ist echte Nachhaltigkeit im Planen und Bauen ein klassisches „wicked problem“. Effizienz ist ausrechenbar, die Herstellung räumlichen Wohlbefindens ist es nicht; Anpassungsfähigkeit an künftige Entwicklungen nur bedingt – von „Schönheit“ ganz zu schweigen.
Neues Europäisches Bauhaus als Antwort
Auch das Neue Europäische Bauhaus adressiert diese Zusammenhänge: Den „Green Deal“ sozial ausgewogen, ästhetisch anspruchsvoll, unter strenger Beachtung von Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft so zu gestalten, dass Bürgerinnen und Bürger am Umbau begeistert mittun, ist durchaus verzwickt, denn es bedeutet auch, Planungs- und Wirtschaftsprozesse, Vorschriften und Regularien umzukrempeln. Hochschulen müssen dafür vordenken, ihr Potenzial zu interdisziplinärer Arbeit nutzen, Studierende sollen frische Impulse geben. Dafür braucht es inspirierende Arbeitsräume für den Austausch untereinander und mit anderen Fachrichtungen, Werkstätten und Hightech-Labore, intensiven Diskurs und sinnliche Erfahrung.
BAK sieht Fernstudium kritisch
Deshalb sieht die Bundesarchitektenkammer Tendenzen kritisch, in unseren Fachrichtungen reine Fernstudiengänge anzubieten oder große Teile der Lehre in Büros zu verlegen. Ob solche Studiengänge überhaupt zur Eintragungsfähigkeit führen können, obliegt der Beurteilung der Eintragungsausschüsse in den Länderarchitektenkammern. Unbestritten sind Praktika wichtig, um Gelerntes erfahrbar zu machen und mit den Anforderungen der Berufsrealität abzugleichen. Das Know-how aus der Praxis bereichert Ausbildung ungemein. Die Möglichkeiten der digitalen Interaktion in der Lehre werden rasant zunehmen. Die Hochschule als realer Erfahrungsort bleibt aber unersetzlich. Selten waren sich berufliche Praxis und Hochschulen so nah. Die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts und die wachsende Komplexität unserer Aufgaben stellen beide gleichermaßen vor Herausforderungen.
Nachwuchs besser an die Architektenkammer anbinden
Der Nachwuchs wird dringend gebraucht. Die Länderkammern leisten wichtige Arbeit, den Übergang zwischen Hochschule und Beruf mitzugestalten. Fast alle streben die Einrichtung von besonderen Mitgliedschaften für Absolventinnen und Absolventen an (oder haben sie bereits), um eine enge Bindung und Begleitung schon vor der Eintragung zu ermöglichen. Umgekehrt freuen wir uns, dass bereits die Studierenden ihrerseits den Dialog suchen. So möchte das deutschlandweite Netzwerk der Fachschaften der Architektur, nexture+, die Adresse der Bundesarchitektenkammer als eigene Postadresse verwenden. Gern erlauben wir es, denn vertrauensvoller kann das Miteinander kaum sein!
Ralf Niebergall ist Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer