Die noch junge Ampelkoalition hat sich viel vorgenommen in der Bau- und Wohnungspolitik: 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich gefördert, ein eigenes Bauministerium. Erklärtes Ziel ist, das Bauen und Wohnen der Zukunft „bezahlbar, klimaneutral, nachhaltig, barrierearm, innovativ und mit lebendigen öffentlichen Räumen“ zu gestalten. Allein die Vielzahl der im Koalitionsvertrag genannten Adjektive macht die Komplexität der Aufgabe deutlich; und es ist unmöglich, beim Wohnungsbau die Mobilitätswende und entsprechende Infrastruktur, die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum und die aus Flächenverbrauch resultierenden Herausforderungen nicht mitzudenken.
Welche Fragen stellen wir unseren Bauherren?
Über einem Neuanfang schwebt immer auch ein Geist des Aufbruchs und der Wunsch, Dinge besser zu machen. Von Johann Wolfgang von Goethe ist das Zitat überliefert: „Wer neue Antworten will, muss neue Fragen stellen!“
Es gehört zu unserem beruflichen Selbstverständnis, themenübergreifend zu arbeiten und weit vorausschauend zu planen; wir können die im Koalitionsvertrag genannte Fülle der Adjektive in Einklang bringen. Doch im Alltag stehen uns immer wieder politische und rechtliche Rahmenbedingungen und ein letztlich nicht konsequentes Bekenntnis der privaten und vor allem öffentlichen Auftraggeber entgegen. Hilft Goethe an dieser Stelle weiter? Welche Fragen stellen wir unseren Bauherren, wenn wir mit ihnen erste Konzepte entwickeln? Wozu raten wir?
Bauleitplanung stellt die Weichen
Schon in der Bauleitplanung werden maßgebliche Weichen, die mittel- und langfristig über Erfolg oder Misserfolg eines Bauvorhabens entscheiden, gestellt. Mit dem Werkzeug der Förderung werden Projekte gezielt möglich gemacht, ihre Umsetzung kann vereinfacht werden. Um beim Beispiel des Wohnungsbaus zu bleiben: Innovative, flexible Grundrisse und alternative Wohnkonzepte schaffen Raum zum Leben, der den individuellen Bedürfnissen und Ansprüchen der Bewohner entspricht. Wo leben Menschen gern? Und wieso bevorzugen sie das eine Quartier und meiden das andere?
Ich blicke zuversichtlich in die Zukunft und möchte uns Mut machen, auch das eigene Denken und Kommunizieren regelmäßig weiterzuentwickeln. Unabhängig von Rahmenbedingungen können wir immer wieder aufzeigen, wie Klimawandel und Bauwende zusammenhängen, wie Energiewende und Stadtplanung harmonisiert, wie Wohnungsbau und Umbauordnung kombiniert werden können und was die Verkehrswende dazu beitragen kann.
Unabhängige Beratung als Kompetenz
Wir sollten nicht müde werden, dieses Merkmal unseres Berufsstandes, die unabhängige Beratungskompetenz, zu kultivieren. Sie ist Bestandteil eines Qualitätsbegriffs innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette Bau, der in Zukunft verstärkt in den Fokus rückt und den gesamten Lebenszyklus des Gebauten umfasst. Die planvolle Bearbeitung der entsprechenden Schnittstellen – auch unter den Gesichtspunkten der Digitalisierung und Nachhaltigkeit – verlangt nach der Expertise von Planerinnen und Planern.
Ich freue mich darauf, ab April 2022 das Amt des Präsidenten der Architekten- und Ingenieurkammer Schleswig-Holstein zu übernehmen und mit den Kolleginnen und Kollegen im Vorstand der Bundesarchitektenkammer die Arbeit der berufsständischen Vertretungen zu prägen. Ich bin überzeugt, dass die Gestaltungskraft der planenden Berufe auch in Zukunft Räume schafft – nicht nur im Sinne des Bauens, sondern auch im Sinne einer innovativen und mutigen Kultur des Fragens, Antwortens und entsprechenden Handelns.
Jens Uwe Pörksen, Präsident der Architekten- und Ingenieurkammer Schleswig-Holstein