Gut möchten wir leben. Doch was heißt das eigentlich? Jede und jeder von uns wird diese Frage individuell beantworten. Darin liegt eine große Errungenschaft unserer modernen Gesellschaft. Wir dürfen unterschiedlich sein, unsere Lebensentwürfe und -entscheidungen vielfältig. Doch unsere Alltagskultur und unsere Gewohnheiten werden auf den Prüfstand gestellt: Der dringende Schutz unseres Klimas und der unverhandelbare Erhalt unserer Umwelt prägen bereits unser Denken und müssen zwingend in unser Handeln eingehen.
Bauen hat das größte Nachhaltigkeits-Potenzial
Gut leben kann also eigentlich nur heißen: richtig leben. Ressourcen schonen, Energie sparen, Klima und Arten schützen, Wasser sorgfältig nutzen. Für uns Architektinnen, Landschaftsarchitekten, Innenarchitekten und Stadtplanerinnen steigt die Verantwortung, denn innerhalb der Wertschöpfungskette Bau liegt das größte Potenzial, Energie einzusparen sowie Treibhausgase und das Abfallaufkommen zu verringern. Wissenserlangung und Wissenstransfer sind für uns alle eine Herausforderung. Unsere Kompetenzen in Energieeffizienz im Gebäudebereich oder in klimaausgleichenden Maßnahmen durch Grünflächen wachsen stetig. Wir sensibilisieren unsere Bauherren für das Thema Nachhaltigkeit und sind gerade für die Priorisierung des Gebäude- und Grünflächenbestandes wichtige Vermittlerinnen und Multiplikatoren.
Umbauordnung, Innenentwicklung, Kreislaufwirtschaft
Doch um der großen Verantwortung für eine Bauwende gerecht werden zu können, sind finanzielle und rechtliche Grundlagen erforderlich. Wir werden uns bei der neuen Bauministerin Klara Geywitz dafür einsetzen, dass energetische Gebäudesanierung und Quartier zusammengedacht werden und die dreifache Innenentwicklung als Leitbild gestärkt werden muss. Jetzt ist auch die richtige Zeit, eine Änderung der Musterbauordnung in eine Umbauordnung umzusetzen. Auch die Beiträge Deutschlands zur COP 26 müssen bei den internationalen Anstrengungen vorbildlich sein.
Um den heutigen Bauaufgaben gerecht zu werden, muss außerdem jedes neu verbaute Material Teil der Kreislaufwirtschaft sein. Der Schlüssel auf dem Weg zu einem CO2-neutralen Gebäudebestand ist, die in den Baumaterialien gebundene Energie von Beginn an als Ressource zu nutzen. Wir brauchen integrative räumliche Konzepte für starke Quartiere und Verbünde, um den architektonischen, landschaftlichen und städtebaulichen Bestand weiterzuentwickeln.
Anpassung der HOAI-Leistungsbilder
Die gestiegenen Anforderungen an nachhaltiges und klimaschützendes Planen sowie die fortschreitende Digitalisierung erfordern längst eine Anpassung der Leistungsbilder, aber auch eine Überprüfung der Honorarsätze einschließlich einer Dynamisierung der statischen Honorartafeln. Wir sind zuversichtlich, mit Robert Habeck als zukünftigem Superminister für Wirtschaft und Klimaschutz einen guten Partner für die Novellierung der HOAI und die Verbesserung unserer Vergabeverfahren zu haben.
Bei jeder Entscheidung, die wir treffen, müssen wir die beste Lösung anstreben. Das gilt für uns als Planerinnen und Planer im besonderen Maße, da wir mit unserer Arbeit konkret an Emissionsreduktionen beteiligt sind. Sind wir „nur so gut wie unsere Auftraggeberinnen und Auftraggeber“ oder sind wir bereit, ausdauernder und umfassender zu argumentieren? Gegen den Abriss, für den Erhalt eines durchschnittlichen Gebäudes? Gegen Flächenverbrauch und umweltbelastende Materialien? Wo investieren wir in unsere persönliche Entwicklung als Gestaltende, wo übernehmen wir mit unseren Entwürfen Verantwortung für eine ferne Zukunft? Wie ergänzen sich ordnungsrechtliche Regelungen und persönliche Risikobereitschaft?
Ein Klimawunder brauchen wir, doch die Verantwortung für dieses Wunder liegt mit in unserer Hand. Wir sind Teil der Gleichung heute + morgen = übermorgen. Wir haben ein aufregendes Jahr vor uns. Möge es Ihnen Gesundheit, Erfolg und persönliche Weiterentwicklung schenken. Ich wünsche Ihnen alles Gute für 2022!
Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer
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