Die Zeichen stehen auf Veränderung. Nie haben wir das so deutlich und eindringlich gespürt wie heute: Der nicht mehr zu übersehende Klimawandel und die zutiefst erschütterte Sicherheitsarchitektur durch den russischen Invasionskrieg in Europa haben direkte und für jeden spürbare Auswirkungen, die den seit vielen Jahren notwendigen Paradigmenwechsel endlich in Gang setzen und beschleunigen. Die Realität ist plötzlich und im Eiltempo im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Und das nicht nur bei uns in Deutschland, sondern in ganz Europa. Das formulierte Ziel: Europa möchte bis 2050 der erste Kontinent sein, der nur noch unvermeidbare Treibhausgase ausstößt und diese wenigen vollständig ausgleicht.
Von der Straße in die Politik
Neben vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die seit Jahrzehnten eindringlich vor den verheerenden Folgen des Klimawandels warnen, waren und sind es vor allem die Jungen, die sich organisieren und uns sehr lautstark mit den Forderungen nach wirksamen Handlungen konfrontieren. Die Aktivitäten von „Fridays for Future“ und „Architects for Future“ sind unüberseh- und unüberhörbar. Aber auch unser Berufsstand hat sich seit Langem mit vielen Initiativen und Schwerpunktsetzungen zur Nachhaltigkeit im Planungs- und Bauprozess bekannt und sich seiner verantwortlichen Rolle gestellt. Erinnert sei unter anderem an das wegweisende Thesenpapier des BDA „Das Haus der Erde“, das vor über drei Jahren verabschiedet und vorgestellt wurde.
Mit der neuen Ampelkoalition und einem eigenen Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen ist nun der Weg frei für rasche gesetzliche Vorgaben, die nachhaltiges und klimaangepasstes Bauen in einen größeren Zusammenhang stellen und bindend vorsehen. Die Architektenkammern der Länder sowie die Bundesarchitektenkammer setzen sich hierbei für die erforderliche Kompetenzerwerbung und Zertifizierung ein und begleiten mit ihrem Fachwissen die Zielformulierungen der gesetzlichen Vorgaben.
Architektur-Nachwuchs denkt und handelt anders
Aber was passiert gerade innerhalb der Architektenschaft? Was die Etablierten gedanklich und gefühls- und überzeugungsmäßig neu erlernen müssen, ist bei den jungen Planerinnen und Planern vollkommen selbstverständlich und geradezu Voraussetzung für ihr grundsätzliches Überlegen und Handeln. Darin liegt die große Chance für eine schnelle und gelingende Wende im Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen, im Einsatz gesunder und nachhaltiger Baustoffe und im sparsamen Gebrauch von Boden und Flächen.
Vor allem aber sind es die jungen Kolleginnen und Kollegen, die unvoreingenommen mit dem neuen Planungsinstrument BIM umgehen und es derart voranbringen, dass es die so verheißungsvoll angekündigten Vorteile der schnelleren und strafferen Bearbeitung und Fehlervermeidung innerhalb des Planungs- und Bauprozesses auch im Berufsalltag der Planungsbüros entfalten kann.
Vergaberecht benachteiligt junge Büros
Im Wissen um das Potenzial der jungen Planerinnen und Planer sollten wir die Vergabesystematik überdenken und gerade für junge, talentierte Büros öffnen. Wir brauchen nicht nur Anpassungen beim Baurecht (Stichwort „Umbauordnung“), bei den Standards und Normungen. Wir brauchen sie auch beim Vergaberecht. Das alte Fokussieren auf Referenznachweise und Angebotspreis führt zu strukturellen Benachteiligungen kleiner und besonders junger Büros. Doch genau diese Talente und ihre frischen Ideen, ihre Entwurfskompetenz, Planungsqualität und Planungsmethodik brauchen wir! Ihnen mangels nachgewiesener Referenzen keine Chance auf dem Markt zu geben, können wir uns schon längst nicht mehr leisten. Junge an die Macht!
Joachim Rind, Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz
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