Die Frage „Wie werden wir in Zukunft in unseren Städten leben?“ ist omnipräsent. Doch ist sie nicht falsch gestellt? Müssen wir nicht fragen: Wie wollen wir zukünftig in unseren Städten leben? Die Fortentwicklung der Stadt ist ein gesamtgesellschaftlicher Aushandlungsprozess – Ziel- und Interessenkonflikte müssen also fair ausgetragen werden und in Richtungsentscheidungen münden. Auf dieser Grundlage ist es dann Aufgabe von Politik und Verwaltung, Leitbilder sowie konkrete gesetzliche und regulatorische Grundlagen für die kommende Bauwende zu entwickeln.
Sozialverträglich sanieren
Ein gutes Beispiel ist die notwendige energetische Sanierung und Nachverdichtung unseres Gebäudebestands, eine immense Aufgabe. Es macht wenig Sinn, schablonenhaft und rigoros vorzugehen: Bauten und Quartiere der Gründerzeit sind anders zu behandeln als solche der Nachkriegszeit.
Der Hamburger Senat hat das erkannt und eine sehr differenzierte Machbarkeitsstudie erstellen lassen. Weiterer zentraler Aspekt: Es muss uns gelingen, den Bestand sozialverträglich und möglichst ohne gestalterische Einbußen zu ertüchtigen, ansonsten sind immense gesellschaftliche Konflikte und architektonische Einbußen vorprogrammiert.
Wohnungsbau darf nicht noch teurer werden
Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen. Dies gilt auch für den Neubau: Es darf nicht sein, dass der ohnehin schon in einer Kosten-Preis-Spirale befindliche Wohnungsbau durch Auflagen weiter verteuert und erschwert wird. Wir brauchen nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraum.
In der von unserer Hamburgischen Architektenkammer kürzlich veranstalteten Reihe „Plan N“ zum nachhaltigen Bauen zog sich diese Erkenntnis wie ein roter Faden durch alle Vorträge: Nachhaltige Architektur darf nicht eine mit immensem Aufwand und hohen Kosten erzeugte Ausnahme bleiben, sie muss zur bezahlbaren, gut gestalteten Regel werden.
Die Vorträge machten Mut und zeigten: Konsequent und innovativ geplant, bedeutet Nachhaltigkeit keine Einschränkung unserer gestalterischen Optionen, sondern einen Zuwachs an Möglichkeiten.
Nachhaltiges Bauen muss günstiger und einfacher werden
Damit der Einsatz ökologischer Materialien, das Recycling und die Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen oder auch flexible Grundrisse zum Normalfall werden, müssen jedoch viele Stellschrauben neu justiert werden: Wir brauchen eine kritische Revision unserer Gesetze, Normen und Standards mit dem Ziel, fortschrittshemmende Überregulierungen und Bürokratie zu bekämpfen.
Um die Kreativität der Planerinnen und Planer zu entfesseln, wäre es ein guter Ansatz, künftig für den Gebäudebereich nur noch CO₂-Einsparungs- und Nachhaltigkeitsziele zu bestimmen und die Wege dorthin nicht mehr vorzugeben. Erfreulich ist: Die Dinge kommen in Bewegung. Der Vorstoß der deutschen Architektenkammern für einen „Gebäudetyp E“ ist zum Beispiel ein wichtiger Ansatz, dem noch viele folgen müssen. Dass die zu bohrenden Bretter dick sind, entbindet uns nicht von der Pflicht, es zu tun.
Interdisziplinär und multifunktional
Ebenso entscheidend ist es, nicht mehr isoliert und sektoral, sondern von Beginn an integriert und interdisziplinär zu planen: Bei den derzeit entstehenden neuen Hamburger Stadtteilen Grasbrook und Oberbillwerder werden in der Planung Funktionen und Ziele frühzeitig miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt: Eine Planung, die beispielsweise Straßenräume nicht mehr nur als Verkehrsräume definiert und Mobilitätsarten abseits des Autos fördert, führt so zu multifunktionalen, lebenswerteren öffentlichen Räumen.
Wir Planende sind es gewohnt, mit vielen Parteien zusammenzuarbeiten und sollten uns sehr dafür einsetzen, dass die vernetzte, integrierte Planung zum Standard wird. Gelingt es, können wir der Zukunft unserer Städte, bei allen derzeitigen Problemen, optimistisch entgegensehen.
Karin Loosen, Präsidentin der Hamburgischen Architektenkammer
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: