Corona, erst weit weg im asiatischen Raum, dann plötzlich ganz nah und allgegenwärtig, traf Innenarchitektinnen und Innenarchitekten im vergangenen halben Jahr wirtschaftlich besonders hart. Mit dem fast europaweiten Lockdown in Bereichen wie Messe, Gastronomie, Hotellerie, Retail und Tourismus, um nur einige Berufsfelder der Innenarchitektinnen und -architekten zu nennen, hatte der Berufszweig weder gerechnet, noch war er auf diesen Stillstand vorbereitet. Die Folge: Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz durch Stornierungen und Auftragsverschiebungen. Die sofort eingeleiteten Ersthilfen des Staates konnten zwar die ersten schwierigen Monate überbrücken – nun ist es aber an der Zeit, dass die Politik auch das von der BAK geforderte Innovationsprogramm Baukultur umsetzt. Viele baureife Planungen liegen in der Schublade und rufen nach Umsetzung. Die Realisierung des Klimaschutzes beim Bauen könnte vorangetrieben werden. Zusätzliche Mittel für Innovations- und Zukunftsprojekte sollten bereitgestellt werden, um eine solide wirtschaftliche Basis für wirksame Konjunkturpakete zu schaffen. Und sollte es zu weiteren, vom Gesetzgeber auferlegten Verzögerungen oder gar einem zweiten Lockdown kommen, muss zwingend über ein weiteres, schnell greifendes Hilfspaket für Innenarchitekturbüros nachgedacht werden!
Wir alle haben in den letzten Wochen Innenräume neu kennen- und schätzen gelernt: ihre Funktion und Gestaltung sowie ihren hohen Einfluss auf Gesundheit, Wohlbefinden, Arbeitsatmosphäre und Produktion. Es hat sich auch gezeigt, dass improvisierte Raumkonzepte mit „mehr Abstand“ in einigen wenigen Bereichen des Alltags funktionieren – aber dauerhaft? Zukünftig wird es neue Arbeitsgebiete für Innenarchitektinnen und -architekten geben, denn in vielen Bereichen müssen Grundrisse, Wegeführungen und Begegnungsräume neu gedacht und Vorschriften umgesetzt werden. Dies betrifft nicht nur Arztpraxen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, sondern auch Kinos, Theater, Restaurants, Hotels, Shoppingcenter, Messen, Schulen und Sportstätten – kurzum: öffentliche Innenräume, für die Innenarchitektinnen und -architekten unverwechselbare, benutzerorientierte Raumkonzepte entwickeln. Ein eilig aufgestellter Spender für Desinfektionslösung, Maske, eine halbherzig gezimmerte Plexiglaswand, aufgeklebte, sich vom Boden ablösende Abstandsstreifen, lange Warteschlangen vor Rezeptionen und Gebäuden: All das kann dauerhaft keine Lösung sein.
Und wie werden wir unsere Arbeitsplätze neu gestalten? Isolierte Büros oder doch mal wenigstens Blickkontakt zu den Kolleginnen und Kollegen? Was werden die neuen Haustechnikkonzepte: Ist die Klimaanlage noch das geeignete Medium? Und Konferenzräume? Medientechnik ist seit Corona mehr denn je gefragt, um beruflich korrespondieren zu können – was ist mit neuen, hygienischen und recycelfähigen Materialien für den Innenausbau?
Auch Wohnen und Arbeiten auf dem Lande – weiträumiger, mit mehr Distanz, medial vernetzt – wie auch das Nutzen regionaler Produktkreisläufe gewinnen eine ganz andere Bedeutung und könnten gesellschaftlich einen wichtigen Zukunftsbeitrag leisten. Denn gerade in ländlicher Region gibt es noch viele nutzbare Bestandsimmobilien mit Entwicklungspotenzial. Und Innenarchitektinnen und Innenarchitekten sind insbesondere beim Bauen im Bestand mit ihrem Fachwissen gefragte Partner vieler Bauherrinnen und -herren.
Neue Berufschancen müssen erkannt und genutzt werden als eine gemeinsame Aufgabe für Bauwillige und Innenarchitektinnen und -architekten, um zukünftig die Gesellschaft vor Pandemien zu schützen.
Frieder Kreß, Vertreter der Innenarchitektinnen und Innenarchitekten im BAK-Vorstand
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