Unsere Gesellschaft in Stadt und Land, in den Städten, den Dörfern und den Regionen steht nicht erst seit der Pandemie vor großen Herausforderungen. Wie sehen die Städte, unsere zukünftigen Lebensräume, Gebäude und Freiräume aus in Zeiten neuer Erfahrung durch die pandemische Krise? Wir wissen: Wohnungsnot bleibt, der Klimawandel schreitet rasant voran, der Flächenfraß in unsere Landschafts- und Kulturräume wächst, die Schaffung bezahlbaren und guten Wohnens bleibt drängend, die Innenstädte mit ihren von uns so geliebten Plätzen und Stadträumen befinden sich durch den wachsenden Onlinehandel in einer dramatischen Umstrukturierung und im schlechten Zustand.
Die Pandemie hat das bereits geschwächte System Stadt offengelegt. Jetzt müssen sich besonders unsere Handwerkszeuge aus Planungsinstrumenten, Gesetzen und Verordnungen bewähren.
Leipzig Charta für neue Stadtplanung
Die neue Leipzig Charta 2020 stellt mit ihrer Überschrift „Die transformative Kraft der Städte“ klar heraus, dass wir einen epochalen Wechsel in unseren Städten erleben werden. Und sie formuliert die Hoffnung, mit allen Akteuren in Stadt, Quartier und Land eine Art robuste Resilienz zu entfalten für ein nachhaltiges Stadtverständnis. Die Zukunft liegt in einer solidarischen Stadt: mehr Wir, weniger Ich.
Ende der funktionsgetrennten und autogerechten Stadt
Das Stadtmodell der Shopping-Malls, System-Gastronomien, Bürogebäude, Parkflächen, des Individualverkehrs und wenig Wohnraumnutzung scheint an sein Ende gekommen zu sein. Die Kommerzialisierung und Tertiärisierung war der größte Zerstörer der Kernbereiche unserer Städte. Innenstädte sind der Inbegriff des öffentlichen Raums, in dem sich eine Gesellschaft trifft, kommuniziert und sich ihrer selbst vergewissert. Innenstädte voller Leben, mit einer Vielfalt von Geschäften, Dienstleistungsangeboten, kulturellen Einrichtungen, Arbeitsplätzen und bezahlbaren Wohnangeboten sind das erstrebenswerte Ideal. Wenn wir diese Einsichten zum Programm machen, müssen wir auch nach der jetzigen Baurechtsnovelle unseren Instrumentenkasten schärfen und auf eine produktive, gemischte Stadt ausrichten.
Baulandmobilisierungsgesetz stimmt optimistisch
Einige Initiativen der Politik und der Gesetzgeber sorgen für einen verhaltenen Optimismus. So ist das Baulandmobilisierungsgesetz auf den Weg gebracht worden, das zur Bereitstellung von dringend benötigtem Wohnbauland einige richtige Veränderungen vornimmt. Allerdings geht die Novelle in vielen Punkten bezüglich sozialgerechter Bodenordnung und der Forderung nach neuen produktiven Mischstrukturen noch nicht weit genug.
Baunutzungsverordnung gehört auf den Prüfstand
Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) muss weiterhin auf den Prüfstand, denn deren sortenreine Trennung der Baugebiete ist für die komplexen Nachhaltigkeitsziele in Stadt und Land nicht mehr zukunftsweisend. Es ist offenkundig, dass ein soziales Auseinanderdriften unserer Gesellschaft nur verhindert werden kann und eine nachhaltige Klimaanpassung nur gelingen kann, wenn ein am Gemeinwohl orientierter Umgang mit Grund und Boden gelingt. Wir haben unsere Baufreiheit grundgesetzlich garantiert, doch wir benötigen auch die Sozialverpflichtung des Eigentums nach unserem Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet“ (Art. 14,2 GG).
Stadtplanung zwischen zu viel und zu wenig Dichte
Ich bin überzeugt, dass die kulturelle und solidarische Kraft der europäischen Stadt in ihren vielen Facetten ein gutes Fundament hat, um integrierend und identitätsstiftend die Zukunft mit ihren sichtbar gewordenen Herausforderungen zu gestalten. Wir als Stadtplanerinnen und Architekten wissen: Dichte ist nicht alles, aber ohne Dichte läuft nichts. Darin liegt ein klarer Arbeitsauftrag, der Politik und Bürgerschaft immer wieder aufs Neue inspiriert.
Rolf Westerheide, Vertreter der Stadtplaner im BAK-Vorstand
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