Dieser Kommentar ist unter dem Titel „Umbaukultur leben“ im Deutschen Architektenblatt 09.2024 erschienen.
Den Satz „Deutschland ist gebaut“ hört man immer wieder – seit bestimmt 30 Jahren. Er ist wahr und unwahr zugleich. Auf der einen Seite gibt es kaum freie Flächen, die bebaut werden können. Auf der anderen Seite müssen wir weiter bauen. Die Umbaukultur kann dieses Dilemma lösen.
Im Saarland leben wir diese seit Jahrzehnten. Denn Umbauen schont Fläche, Baustoffe, Energie und nicht zuletzt den Geldbeutel. So wird beim Bauen im Bestand aus der Not eine Tugend.
Fördermöglichkeiten verbessern
Ich kann Leerstand nutzen und wiederbeleben, indem ich zum Beispiel Gewerbebauten zu Wohnzwecken umnutze. Leerstandskataster sind dabei eine gute Idee. Sie können aber nur helfen, wenn die Hürden des Datenschutzes angepasst werden.
Um Leerstand vorzubeugen, führen bereits Kommunen im Rahmen ihrer Ortssatzungen eine Art Leerstandssteuer ein. Ich bezweifle, dass so mehr Wohnungen entstehen. Besser wäre es, wenn Förderlotsen Immobilieneigentümer beraten und die Fördermöglichkeiten für Umbauten verbessert und erleichtert würden.
Umbaukultur beste Art des Recyclings
Die öffentliche Hand muss Vorbild sein: Bestandsgebäude müssen besser gepflegt werden, um einem Sanierungsstau vorzubeugen. Bei denkmalgeschützten Gebäuden ist eine positive Begleitung durch den Denkmalschutz wichtig – und auch Zugeständnisse. Sonst haben wir jede Menge Gebäude, die wir nicht umbauen können.
Umbau ist definitiv die beste Art des Recyclings. Sollte es doch zu einem Abriss kommen, muss so viel wie möglich wiederverwendet werden. Für das Saarland fordern wir eine grenzüberschreitende Recyclingbörse. Neubauten müssen wir so bauen, dass Umbau möglich ist und die verwendeten Baumaterialien recycelt werden können. Das setzt natürlich eine entsprechende Planung voraus.
Daseinsvorsorge und Dorfkernentwicklung
Zurzeit findet eine Transformation der Industrielandschaft zur Naturlandschaft statt. Neben dem Klimawandel sorgen der demografische Wandel und der Strukturwandel vor allem im ländlichen Raum für Veränderungen. Der Wert der Gebäude, und damit eben auch der Bestandsgebäude, steigt, wenn die Dörfer saniert werden.
Ich denke dabei nicht nur an notwendige Dorfkernentwicklungen, sondern auch an die Sanierung der Infrastruktur. Es müssen Glasfaseranschlüsse her und eine flexible Anbindung der ländlichen Gebiete an die nächsten Zentren. Und der Bedarf für das tägliche Leben muss gesichert sein. Dann steht dem Vorhaben, Omas Häuschen für die eigene Familie umzubauen, nichts mehr im Weg. Das ist ein für alle Mal besser als weitere flächenfressende Neubaugebiete.
Entbürokratisierung und Umbauordnung
Städte müssen wir so umbauen, dass ihr Mikroklima gut funktioniert. Gerade das Schwammstadt-Prinzip und die Wasserrückhaltung sind bedeutende Bausteine einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung.
Diese Umbaukultur braucht keine neuen Gesetze, sondern eine ernst gemeinte Entbürokratisierung. Wir müssen die bestehenden Gesetze aufräumen und entrümpeln. Wir Architektenkammern setzen uns für umbaufreundliche Landesbauordnungen ein.
Alle Parteien müssen jetzt handeln
Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Bauaufsichtsbehörden sollen die Möglichkeit bekommen, Einzelfallentscheidungen zu treffen, um manchen gordischen Knoten zu durchschlagen. Dabei ist deren Fachkompetenz entscheidend. Wir benötigen auf den Ämtern keine Besetzung nach Parteibuch, sondern Fachpersonal. Gerade Führungskräfte sollten fachlich in der Lage sein, sich gegenüber der Politik zu behaupten.
Das Ergebnis der Europawahl hat deutlich gemacht: Die Zeit des ideologischen Debattierens und Phrasierens ist vorbei. Alle demokratischen Parteien müssen jetzt handeln, und zwar Regierung und Opposition gemeinsam. Sie sind verpflichtet, Lösungen zu erarbeiten und sie vor allem umzusetzen. Denn: Es geht um die Qualität unserer gebauten Umwelt und den Erhalt unseres Lebensraums.
Alexander Schwehm, Präsident der Architektenkammer des Saarlandes
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Hallo Alexander,
vielen Dank für deinen sehr gut durchdachten und inspirierenden Beitrag zur Umbaukultur! Du sprichst genau die Punkte an, die auch bei uns in Geesthacht zunehmend wichtig werden: nachhaltiger Umgang mit Flächen und Bestandsbauten sowie die dringend benötigte Entbürokratisierung. Besonders die Idee, Bestandsgebäude flexibler und mit weniger Auflagen zu nutzen, trifft hier auf großes Interesse. Dein Ansatz zur Dorfkernentwicklung und zur Wasserrückhaltung passt auch hervorragend zu unseren lokalen Herausforderungen. Ich hoffe, wir können diese Themen in der Praxis weiter vorantreiben.
Liebe Grüße,
Oskar von Geesthacht Aktuell