Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ im Deutschen Architektenblatt 11.2024 erschienen.
Was genau bedeutet eigentlich energieeffizientes Bauen? Geht es dabei zuvorderst um das Einsparen von Energie beziehungsweise der dafür aufzuwendenden Betriebskosten? Um das Bevorzugen regenerativer Energieträger? Um das Vermeiden von CO2-Emissionen?
Muss am Ende die Energieautarkie stehen? Und woran lässt sich feststellen, ob ein Neubau effizienter ist als ein Bestandsbau? Welchen Beitrag liefert die Gebäudetechnik, welchen die Architektur selbst? Wie groß müssen Planer dieses Thema denken? Allesamt Fragen, die zu beantworten nicht mit einem „Ja“ oder „Nein“ gelingt.
Energieeffizienz am Beispiel: Landratsamt Reutlingen
Versuchen wir es mit der Praxis und betrachten den Neubau eines schwäbischen Landratsamtes, der die auf verschiedene Altbauten verteilten Abteilungen an einem Ort zusammenführt. Allein das ist ja schon ein erster Schritt in Richtung Effizienz.
Der zweite ist die Entscheidung, einen Architektenentwurf zu favorisieren, der am Ende ein Effizienzgebäude 40 (EG 40) verspricht. Der ausgewählte Bürobau erfüllt sehr gut die Anforderungen des Kreises und erhielt daher in der europaweiten Ausschreibung den Zuschlag.
Energieeffizienter Neubau statt 25 Altbauten
Die lokale Presse lobt den Entwurf (Architektur: Riehle Koeth, Stuttgart) und hebt hervor, dass nur noch die Hälfte der Energie benötigt werden würde, die sich zuvor in den verschiedenen, meist unsanierten Altbauten zusammen pro Jahr aufaddiert hatte.
Das neue Landratsamt soll planmäßig im Herbst 2026 bezogen werden. Die insgesamt 25 Altbauten, in denen die Abteilungen bislang untergebracht sind, stammen überwiegend aus der Gründerzeit oder wurden in den 1930er Jahren errichtet. Also massiv gemauerte Gebäude, meist sanierungsbedürftig und mit Verbundfenstern.
Gleiche Nutzfläche bei mehr Kompaktheit
Den bisherigen regionalen Publikationen über das Projekt ist zu entnehmen, dass das Raumprogramm in dem Neubau den modernen Anforderungen an Arbeitsplätze und Homeoffice gerecht wird und damit ungefähr die gleiche beheizte Nutzfläche aufweist wie in Summe aller 25 Altbauten.
Vergleicht man die alten Gebäude mit dem Neubau, stellt man fest, dass das Verhältnis von Hüllflächen zu Nutzfläche beim Neubau nun wesentlich geringer ist. Ein erwartbares Ergebnis, werden doch die vielen, teils relativ kleinen Altbauten durch einen kompakten Neubau mit sechs Geschossen und drei Untergeschossen ersetzt.
Wie energieeffizient ist der Neubau?
Gehen wir nun der Frage nach, ob die versprochene Einsparung tatsächlich als „gut“ zu bewerten ist. Mit einem besseren Verhältnis von Hüllfläche zum Gebäudevolumen und aufgrund der Installation moderner Gebäudetechnik sollte man davon ausgehen, dass man im Vergleich zu solchen Altbauten am Ende mindestens 80 bis 90 Prozent Energie einspart. Schon allein das bessere Flächenverhältnis sollte einen Großteil der Einsparung ausmachen. Doch warum liegt sie dann nur bei 50 Prozent?
Kaum energetischer Vorteil durch neue Fenster
Fokussieren wir uns zunächst auf die U-Werte, die immer proportional zum Transmissionswärmeverlust stehen – also je kleiner die Zahl, desto geringer die Energieverluste.
Im Bestand weisen die alten Fenster einen U-Wert von etwa 2,8 W/(m²K) und die Wände dementsprechend U-Werte im Bereich von 0,8 bis 1,4 W/(m²K) auf. Bei Altbauten liegen die Fensterflächenanteile üblicherweise im Mittel bei rund 25 bis 30 Prozent. Dieses Verhältnis erhöht sich im realisierten Neubau auf über 50 Prozent.
Die U-Werte der neuen Fenster erzielen demnach hinsichtlich der Transmissionswärmeverluste mit ungefähr 0,9 W/(m²K) kaum Vorteile gegenüber einer Bestandsaußenwand.
Zwar ergeben sich deutliche Verbesserungen gegenüber den alten Fenstern, jedoch schwindet dieser „Vorsprung“ schnell wieder aufgrund des höheren Flächenanteils der neuen Fenster. Am Ende machen die Fenster beim Neubau gut 4/7 des gesamten Wärmeverlusts aus.
Tiefgarage vergrößert Hüllfläche
Die opaken Bauteile sind alle deutlich besser, jedoch ist unklar, wie die Dachgeschosse in den Altbauten genutzt wurden – im Fall eines Aktenlagers hätte quasi eine Zellulosedämmung vorgelegen.
Außerdem hat das neue Gebäude eine Tiefgarage (hier nicht als unterer Gebäudeabschluss), die die Hüllfläche deutlich vergrößert. Die Folge: Auch der Vorteil des guten Hüllen-zu-Nutzflächen-Verhältnisses schmilzt somit dahin. Dieses ungefähre Viertel(!) der Hüllflächen mit Wärmeverlust verursacht etwa 1/7 davon in der Energiebilanz.
Die in der regionalen Presse kommunizierte Energieeinsparung von 50 Prozent ist damit also realistisch. Überdies wird in der Tat ein Effizienzgebäudestandard 40 erreicht, also der Primärenergiebedarf des Referenzgebäudes um mehr als 60 Prozent unterschritten.
Warum aber ist die eingangs erwähnte Erwartung einer Effizienzverbesserung von mehr als 80 Prozent nicht eingetroffen?
Fragwürdig: Fenster im Referenzgebäudeverfahren des GEG
Beim Referenzgebäudeverfahren, das den Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) zugrunde liegt, wird das geplante Gebäude zweimal berechnet. Einmal, wie es geplant ist, und einmal mit gleicher Geometrie, aber mit Standardausstattung: einheitliche U-Werte und Haustechnik. Dabei hat eine Außenwand einen U-Wert von 0,28 W/(m²K), beim Fenster gelten 1,3 W/(m²K).
Mit einer effizienten Dreifach-Verglasung lassen sich leicht U-Werte von unter 0,8 W/(m²K) für Fenster und Glasfassaden erreichen, was einen großen Unterschied zum Referenzgebäude macht und damit eine hohe Unterschreitung der Referenzgebäude(vergleichs)werte ermöglicht. Der absolute Energiebedarf wird dabei aber außer Acht gelassen.
Fenster werden rechnerisch belohnt
Damit man Entwürfe mit vielen energetisch schlechter zu bewertenden Glasflächen (gegenüber besser dämmenden opaken Außenwänden) bilanziell nicht auch noch „belohnt“, sind in anderen Ländern wie zum Beispiel in Großbritannien die Fensterflächenanteile im Referenzgebäude festgelegt.
In so einem Fall haben Architekten einen größeren Einfluss auf die rechnerische Energieeffizienz; das GEG hingegen „entmachtet“ Energieeffizienz-Architekten, weil es den absoluten Energiebedarf bei den Anforderungen ignoriert.
Unterschätzt: der energetische Nachteil von Fenstern
Diese rechnerische Bevorzugung von Fenstern hat viele Nachteile: Vor allem beim Vergleich mit Holzbauten ist der Aufwand an Herstellungsenergie pro Flächeneinheit deutlich höher als der für eine Außenwand. Zudem sind Fenster auch gegenüber modernen, massiven Außenwänden deutlich teurer.
Dazu kommen die erhöhten Aufwendungen, um dem sommerlichen Wärmeschutz (siehe unten) bei hohen Fensterflächenanteilen zu genügen. Das heißt, hohe Fensterflächenanteile erschweren es,
- kostengünstig (in Bau und Unterhalt),
- mit geringer Heizlast und geringem Heizwärmebedarf,
- mit geringem grauen Energieaufwand und
- ohne hohen technischen Verschattungsaufwand
zu bauen. Das sollte man als Planer stets bedenken, wenn man energieeffiziente und nachhaltige Bauweisen anstrebt.
Fenster haben mehr Folgekosten als Wände
Im Gegenzug kommt man bei hohem Fensterflächenanteil leichter an Fördergelder, da die GEG- beziehungsweise EG-40-Anforderungen einfacher eingehalten werden können, oder leicht überspitzt formuliert: Man erhält Fördergelder für teure Fenster, die am Ende gegenüber opaken Wänden Folgekosten in ganz anderer Dimension haben, weil man eine leistungsfähigere Heizung benötigt, mehr Reinigungs- und Wartungsaufwand für Verglasung und Sonnenschutz hat und natürlich einen höheren Energieverbrauch.
Viele Einflüsse bestimmen den Energiebedarf
Betrachtet man den Energiebedarf in Zahlen, weist der Neubau einen Heizwärmebedarf von ungefähr 50 kWh/(m²a) auf. Bei einem Altbau kann man in der Regel 150 bis 250 kWh/(m²a) erwarten.
Insofern verwundert doch die Aussage, dass der Neubau (nur!) 50 Prozent der Energie einsparen wird. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Zwar benötigt der Neubau weniger Heizenergie, wird jedoch mithilfe von Gebäudetechnik belüftet und gekühlt. Bei den Altbauten wurde über die Fenster gelüftet und sie waren nicht klimatisiert.
Altbauten waren „Lowtech“
Die hohen Fensterflächenanteile und gestiegenen Anforderungen an das Raumklima, nicht zuletzt aufgrund der höheren Temperaturen infolge des Klimawandels, erfordern zusätzliche Aufwendungen, die im Altbau schlicht nicht bedient wurden.
Damals wurde (weil es nichts anderes gab) das heute wieder viel diskutierte „Lowtech“ gepflegt. Und der GEG-Vergleichswert ist der Primärenergiebedarf mit aller Technik, er benennt also nicht allein die Heizwärme.
Sonneneinstrahlung versus Heizlast
Nun kann man sagen, dass große Fensterflächen im Winter höhere solare Erträge bringen. Das stimmt, zumal der flachere Einstrahlwinkel die Reflexionsverluste reduziert. Aber man darf auch nicht vergessen, dass im Winter die Tage viel kürzer sind, die Sonne in der Regel weniger oft scheint und zudem spürbar an Strahlkraft verliert.
Dies relativiert den Vorteil der solaren Erträge, zumal gerade in Büros die ungefilterte Sonneneinstrahlung eine arbeitsrechtlich nicht hinnehmbare Blendwirkung auf dem PC-Bildschirm erzeugt, die nur durch eine Verschattung verhindern werden kann, was in vielen Fällen wiederum das Zuschalten von Kunstlicht bedingt.
Somit steht die höhere Heizlast durch die energetisch bis zu fünfmal schlechteren Fenster gegenüber einer opaken Wand (mit einem U-Wert von 0,15 W/(m²K) oder besser) mit Abstand im Vordergrund.
Die höhere Heizlast bedingt außerdem bei der Wärmepumpe eine deutlich höhere Leistung. Im Fall einer Geothermieanlage bedeutet das, wie bei dem schwäbischen Landratsamt, mehr Sonden und größere Heizflächen.
Planung echter Energieeffizienz und Kosteneffizienz
Ein wirklich hilfreiches Planungswerkzeug für energieeffizientes Bauen ist – anders als das Referenzgebäudeverfahren gemäß GEG – das Passivhaus-Projektierungspaket. Zur Erinnerung: Die Grundidee des „Passivhauses“ war, sich zu fragen, wie sich durch teure Dämmung auch die Kosten für die Heiztechnik reduzieren lassen.
Der „Arbeitskreis kostengünstige Passivhäuser“ hat somit die Idee einer „passiven“ kostenoptimalen Bauweise entwickelt, bei der es primär nicht (nur) um Energieeinsparung geht, sondern (auch) um bauphysikalische Funktionalität, Behaglichkeit und Kosteneffizienz. Und er hat eben diese Bauweise auch hinsichtlich Architektur und Nachhaltigkeit beständig angepasst und weiterentwickelt – einem Gebäude ist längst nicht mehr ohne weitere Kenntnis anzusehen, ob es ein Passivhaus ist.
Passivhäuser besonders effizient und günstig
Ein 2016 erstelltes Gutachten [1], das im geförderten sozialen Wohnungsbau die Kosten verschiedener Energiestandards verglichen hat, kam zu dem Ergebnis, dass im Median die Passivhäuser allein schon hinsichtlich der Baukosten am besten abgeschnitten haben (siehe auch Grafik oben). Da sie auch den geringsten Energiebedarf aufweisen, ist davon auszugehen, dass dies auch für die Betriebskosten gilt.
Und was bedeutet das nun für das Beispiel des Landratsamtes Reutlingen? Hätte man es im Passivhausstandard konzipiert, hätte sich der Energiebedarf für Heizwärme und Kühlung auf nur 15 kWh/(m²a) reduzieren lassen, was etwa einem Drittel des hier geplanten EG-40 entspricht. Das wäre dann im Vergleich zum Bestand immerhin eine Einsparung von 85 Prozent gewesen – genauso, wie eingangs vermutet wurde.
Epilog: der sommerliche Wärmeschutz
Zum Schluss noch ein Wort zum sommerlichen Wärmeschutz. Das GEG stellt diesbezüglich relativ geringe Anforderungen und verweist auf die DIN 4108-2, Kapitel 8 [2] – auch für den Fall, dass das Gebäude gekühlt wird. Andernfalls muss nachgewiesen werden, dass die Einhaltung unwirtschaftlich ist. Was jedoch umso schwieriger ist, je mehr teure Fenster man einbaut.
Es ist allerdings mitunter schwer bis unmöglich, diese geringen Anforderungen bei zur Sonne orientierten und stark verglasten Räumen oder Zonen einzuhalten – selbst mit optimalen Verschattungseinrichtungen. An diese besteht nämlich die Forderung, dass im (rechnerisch) geschlossenen Zustand noch ausreichend Tageslicht in die Räume gelangen kann und der Sichtbezug nach draußen im vorgegebenen Rahmen erhalten bleibt.
Somit gelangen bei geschlossener Verschattungsanlage in der Regel noch etwa 30 Prozent der solaren Wärmeenergie über die Fensterflächen in den Raum. Hier drohen also nicht nur Sorgenfalten auf der Stirn der Energieberatenden, sondern auch Haftungsprobleme.
Fazit
Der tatsächlich erreichte KfW-Effizienzgebäudestandard entspricht in Zahlen und Werten nicht unbedingt und zwingend den Vorstellungen eines energieeffizienten Gebäudes, sondern dieses ist jeweils individuell und im Detail zu bewerten.
Das Anwenden von Passivhaus-Prinzipien und -Berechnungsverfahren kann Planende dabei unterstützen, die angepeilten Ziele tatsächlich einzuhalten.
Gute Architektur entspringt nicht allein gestalterischen Überlegungen, sondern muss auch mit vielen weiteren Aspekten wie Behaglichkeit, Statik, Bauphysik, Haustechnik und Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden. Dafür braucht es eine sorgfältige und kompetente Planung.
- [1] Analyse des Einflusses der energetischen Standards auf die Baukosten im öffentlich geförderten Wohnungsbau in Hamburg, Forschung + Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH (Hrsg.), Hamburg, 2016
- [2] Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden – Teil 2: Mindestanforderungen an den Wärmeschutz, Beuth-Verlag, Berlin, Februar 2013
Dipl.-Ing. Friedemann Stelzer ist bundesweit tätiger Sachverständiger für Energieeffizienz von Gebäuden und Qualitätssicherung. Sein Büro Energiebuendel residiert in einem ökologisch sanierten EnerPHit-Gründerzeitgebäude in Reutlingen
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Vielen Dank für den aufschlussreichen Beitrag.
Sehr gut geschrieben und beschrieben, vielen Dank dafür!