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Zurück Nachwuchs-Kolumne #196

„Essbare Stadt“: nicht nur grün, sondern auch lecker

Für das Konzept „Essbare Stadt“ werden öffentliche Grünflächen genutzt: für mehr Biodiversität, gesunde Ernährung, Umweltbildung und sozialen Austausch. Und schöner werden sie dabei auch. Wo gibt es sie in Deutschland und wie funktionieren sie?

Von: Johanna Lentzkow
Johanna Lentzkows Lieblingsthemen sind das Bauen im Bestand, Entwürfe von...

27.03.20244 Min. Kommentar schreiben

 

Nachdem ich mich in meiner letzten Kolumne dem kanadischen Beispiel Victoria B.C. mit seiner innovativen Haltung zum Urban Gardening angenommen habe, bin ich auf der Suche nach deutschen Beispielen auf das Konzept „Essbare Stadt“ gestoßen. Laut der Plattform Ernährungswandel versteht man darunter den Ansatz, auf öffentlichen Flächen Obst, Gemüse und andere Nutzpflanzen anzubauen, die dann für alle Menschen frei zur Verfügung stehen.

Während das Konzept des Urban Gardening oft auf Selbstversorgung abzielt, steht bei der Essbaren Stadt die Gemeinschaft und die Zugänglichkeit der neuen Gemeingüter für alle im Vordergrund. Zusätzlich profitiert die Kommune aber natürlich auch ästhetisch, ökologisch und biodivers von den Bepflanzungsmaßnahmen.

Pflücken erlaubt: Vorreiterstadt Andernach

Die erste deutsche Initiative startete 2008 in Andernach in Rheinland-Pfalz. Seit 2010 trägt die Stadt am Mittelrhein mit 30.000 Einwohner:innen die Bezeichnung „Essbare Stadt“. Dort erkannte man früh das Problem, dass öffentliche Grünanlagen eigentlich für alle da sind, von den Bürger:innen aber als Fläche der Stadt gesehen werden. Die Kommunalverwaltung wiederum sieht ihre Aufgabe darin, mit möglichst kleinem ökonomischem Aufwand halbwegs gepflegte Bereiche herzurichten. Das schreit nach mehr Nutzung auf öffentlichen Grünflächen!

Das erste Projekt in Andernach hatte zum Ziel, auf die Bedeutung von Wildarten und auf die Gefahr der Gen-Erosion bei traditionellen Nutzpflanzen hinzuweisen. Am Schlossgraben im Stadtzentrum wurden so neben 101 Tomatensorten weitere Gemüsesorten wie Mangold, Obstsorten und Küchenkräuter angebaut und beschildert. Alles wurde für die Bürger:innen zur eigenverantwortlichen Ernte freigegeben.

Angstraum wird zur Anbaufläche

Dadurch stieg die Akzeptanz für das Projekt „Essbare Stadt“ extrem und auch der strategisch klug gewählte Standort, ein ehemals städteplanerischer „Angstraum“, gewann an Aufenthaltsqualität. Das angebaute Spektrum von Sorten sowie die Anbauflächen vergrößerten sich von Jahr zu Jahr. Sogar Schafe und Hühner zogen mitten in der Stadt ein. Rund 150 Exkursionen bietet die Kommune jährlich an, um ihre Erfahrung und ihr Wissen weiterzugeben.

Incredible edible: Kontakt mit der Erde auch in der Stadt

Die „Essbare Stadt“ wurde in Andernach als „top-down“-Projekt von der Verwaltung für die Bürger:innen initiiert und diese dann im Verlauf integriert. Solch ein Projekt kann sich aber auch „bottom-up“ etablieren, wie die englische Stadt Todmorden mit „incredible edible“ erfolgreich zeigt: Hier wurde zuerst die Bürgerschaft aktiv, die die Verschönerung der lieblosen städtischen Grünräume zum Ziel hatte sowie den Wunsch, die Menschen wieder mehr mit den Jahreszeiten, der Erde und dem Arbeiten mit ihr zu verbinden. Aus der Initiative wuchsen Aktionen wie die „Gardening Sundays“, Gärten und Obstplantagen für Schulen und der wohl schönste grüne Vorplatz für die örtliche Polizeistation.

Essbare Stadt: In Deutschland ein reichhaltiges Büffet

Das Konzept „Essbare Stadt“ umfasst mittlerweile rund 63 Gemeinden in Deutschland, darunter Köln, Darmstadt, Lübeck – Tendenz steigend: Assoziierte man früher den Lebensmittelanbau in der Stadt oft noch mit Not und Elend, so wird er heute eher mit den Begriffen der Autonomie und Identifikation mit der (Heimat-)Stadt in Verbindung gebracht. Für die Kommunen stehen neben dem Aufbau einer nachhaltigen Biodiversität vor allem die Umweltbildung ihrer Bürger:innen und das Gemeinschaftsgefühl im Vordergrund.

Mundraub: Online-Karte für die kostenlose Ernte

Eng verwandt mit der Idee „Essbare Stadt“ ist auch das Projekt Mundraub. Es ist eine kostenlose Online-Plattform, die mittels einer webbasierten Karte Standorte von Obst, Kräutern und Nüssen im öffentlichen Raum anzeigt, damit sie gefunden und geerntet werden können. Spannend, was sich an Essbarem sogar in der eigenen Nachbarschaft finden lässt!


Johanna Lentzkow absolvierte ihren Bachelor an der Hochschule Darmstadt und setzt nun ihr Architekturstudium an der Technischen Universität in München fort.

Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Fabian P. Dahinten, Luisa Richter und Lorenz Hahnheiser.

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