Die Kontaktbeschränkungen während der Pandemie haben den Trend zum Online-Handel weiter verstärkt und dem Einzelhandel an vielen Adressen das Ende bereitet. Es wird an solchen Orten Zeit für eine urbane Transformation. Denn Leerstand in Innenstädten ist angesichts der enormen anderweitigen Nachfrage pure Verschwendung.
Im Zuge eines freien Entwurfs unter der Leitung von Steffen de Rudder, wurde nach Ideen für die (aktuell noch geöffnete) Karstadt-Filiale Müllerstraße im Berliner Stadtteil Wedding gesucht: „Mit dem Projekt wollen wir zeigen, wie nachhaltiger Städtebau funktioniert“, so der Professor an der Bauhaus-Universität Weimar, „wie einem Ort mit sterbender Typologie zu neuer Lebendigkeit verholfen werden kann.“
Vom Kaufhaus zum Kiezhaus
Der Wedding ist von Kontrasten und dem unmittelbaren Nebeneinander verschiedener Nutzungen geprägt: Es findet sich Ein-Euro-Laden neben Feinkostgeschäft, Nagelstudio neben Szenecafé. Diese Beobachtung nahmen sich gleich mehrere Studierende als Basis für ihre These einer programmatischen Vielfalt her, darunter auch Marleen Elschen: „Wir wollen durch Multifunktionalität möglichst viele Interessen der Einwohner:innen des Weddings bedienen, damit das Gebäude als Treffpunkt für den Kiez funktioniert.“
Die Masterabsolventin betont auch, warum sie bewusst kein kulturelles Angebot wählt, etwa in Form einer Museumsnutzung: „Statt Tourist:innen anzulocken, sollen die Anwohner:innen den Ort nutzen.“ Auf sechs Bestandsgeschossen bietet das ehemalige Kaufhaus Platz für öffentlich zugänglichen Raum in Form von Märkten, Werkstätten und Bistros, außerdem beherbergt es Sporteinrichtungen, Grünraum für die Naherholung und Wohnraum auf dem Dach (hier seht ihr den Entwurf etwas ausführlicher). Die veraltete Monofunktion wird abgelöst von einem Stück vertikaler Stadt.
Bestandserhaltung statt Abriss
Oberste Priorität war es, das Kaufhaus in seiner Tragstruktur weitestgehend zu erhalten und somit möglichst wenig graue Energie zu verlieren. Das große Raster erlaubt auf den ersten Blick viele Nutzungen, eine Gebäudetiefe von 50 Metern allerdings nicht. Einschnitte gewährleisten die Belichtung der tiefen Gewerbeflächen, ermöglichen außerdem Blickbezüge und schaffen attraktive Stadträume, die das Gebäude auf allen Ebenen erlebbar machen
Mit einfachen Entwurfsprinzipien und der nötigen Kreativität ist es möglich, die historische Struktur einer Stadt zu erhalten und ein zeitgemäßes authentisches Erlebnis zu schaffen, was dem Bestand alles andere als einen Abbruch tut. Denn nachhaltig zu bauen, heißt nicht abreißen und neu bauen, sondern erhalten und umbauen. Für diese zukünftigen Bauaufgaben bringt unser unvoreingenommener studentischer Blick den nötigen frischen Wind für eine urbane Transformation, was die Entwürfe der Studierenden beweisen.
Johanna Lentzkow absolvierte ihren Bachelor an der Hochschule Darmstadt und setzt nun ihr Architekturstudium an der Technischen Universität in München fort.
Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Fabian P. Dahinten, Johanna Ziebart und Lorenz Hahnheiser.
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