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Zurück Nachwuchs-Kolumne #172

Intersektionalität im Architekturstudium: Antworten auf ein paar Fragen

Über queer-feministischen und anti-kolonialen Aktivismus an der Universität und wieso auch das Verlernen Teil der Architekturpraxis sein sollte: ein Interview mit Elena Spatz vom Kollektiv SOFT – School of Transformation

Von: Johanna Lentzkow
Johanna Lentzkows Lieblingsthemen sind das Bauen im Bestand, Entwürfe von...

27.09.20236 Min. Kommentar schreiben
Plakete dan der Uni mit der Aufschrift

Inwiefern Architektur diskriminiert, ist auch ein wichtiges Thema für die Lehre
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Nachdem ich das Thema Intersektionalität in meiner letzten Kolumne eingeführt habe, folgt hier ein Interview mit meiner Kommilitonin Elena Spatz. Sie hat sich mit zwei Kommilitoninnen in ihrer Bachelorarbeit der feministisch intersektionalen Raumpraxis gewidmet und mit dem „chair of unlearning“ den ersten studentischen Lehrstuhl an der TUM gegründet.

Intersektionalität war nie Thema in meiner Architekturausbildung. Was hat dich dazu bewegt, das Thema intensiver zu behandeln?

Auch in meinem Studium sind weder Begriffe wie Intersektionalität, Queer-Feminismus oder Neokolonialismus thematisiert worden, noch wurde ihre Verbindung mit unserer Architekturlehre und -praxis kritisch beleuchtet. Meine Kommilitoninnen und ich waren super unzufrieden, nach vier Jahren Studium keine konkreten Werkzeuge an die Hand bekommen zu haben, um den Krisen der Zeit zu begegnen: angefangen bei der Klimakrise bis hin zu verschiedenen Perspektiven von Menschen, die sich in unseren Räumen bewegen. Es spielt so eine große Rolle, das besser zu verstehen, auch aus einer soziologischen und nicht nur aus einer technischen Sicht. Diese Überschneidungen zwischen Diskriminierung, Architektur und der Universität wollten wir in unserer Bachelorarbeit über feministisch intersektionale Raumpraxis ansprechen.

Wie habt ihr das Thema Intersektionalität in den Diskurs der Universität gebracht?

Unserer Meinung nach ist es die Verantwortung der Universität, zukunftsfähige Inhalte zu lehren und deswegen diese Dinge in einen kritischen Diskurs zu bringen. Weil das nicht passiert und wir die Lehre nicht direkt beeinflussen konnten, haben wir angefangen, innerhalb des Unikontextes zu stören. Zum Beispiel haben wir Vorlesungen „gecrasht“ und selbst eine Grundlagenvorlesung zu feministischer Raumpraxis gehalten, um so Gespräche am Campus zu schüren. Architekturstudierende sind nun mal 24/7 am Campus und dadurch passiert auch viel durch Mundpropaganda. Politisierung findet durch genau solche persönlichen Gespräche statt.

Drei Frauen auf dem Podium einer Studierenden-Veranstaltung der TU Berlin

Input-Vortrag im Rahmen der „Urban Talks“ an der TU Berlin: Elena Spatz rechts, daneben ihre Mitstreiterinnen Marie Gnesda (mitte) und Lisa André.
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Was waren die Herausforderungen dabei?

Eine kritische Haltung wird an der Uni ja gerne gesehen. Aber sie sollte nicht zu sehr wehtun. Und sie soll bitte auch nicht zu sehr in die Strukturen eingreifen, sie anzweifeln, ja sogar unterwandern. Was dann kam, war Anzweifeln, dass unsere Interventionen überhaupt notwendig sind, sowohl von Professor:innen als auch von Studierenden. Das Kollektiv SOFT hat sich parallel zu unserer Bachelorarbeit gebildet. Wir wollten damit etwas Langfristiges und Semesterübergreifendes an der Uni etablieren, unsere Ressourcen bündeln und einen politischen Anspruch stellen, der sonst von keiner studentischen Institution vertreten war. Zwei SOFT-Mitglieder haben letztes Jahr im Sommer einen Code of Studio erarbeitet, eine Art Leitpapier mit Werten und Forderungen für unsere Arbeitskultur an der Uni. Den haben wir auch in die Department-Sitzungen getragen. Dort wurde er leider mehr als Konfrontation aufgenommen. Solche Eigeninitiativen werden oft als Belehrung verstanden. Auf der anderen Seite fällt dann aber auch oft der Satz: „Wir warten auf die revolutionäre Kraft der Studierenden.“ Das ist ein bisschen paradox.

Was müsste sich in der Lehre hinsichtlich Intersektionalität konkret ändern?

In Wien gab es bis vor paar Jahren ein verpflichtendes Gender-Studies-Seminar. Meiner Meinung nach wäre es so wichtig, in der Grundausbildung, parallel zu einem Entwurfsprojekt oder einer Baugeschichtsvorlesung, eine Art Reflexionsformat zu etablieren, ein gesellschaftlich einordnendes Fach. Bei Materialkunde etwa reden wir vielleicht gerne einfach erst mal über Stahlbeton. Dazu sollte aber auch erklärt werden, wo der Sand dafür abgebaut wird und warum das neokoloniale Strukturen fördert. Architektur trägt dazu bei, Normen und Machtstrukturen ins Physische zu übersetzen. Die Universität hat die Verantwortung, das offenzulegen und in eine kritische Lehre miteinzubinden. Lehre heißt nicht nur lernen, sondern auch verlernen. Der Prozess des Unlearnings bedeutet das Anerkennen intersektionaler Diskriminierungsformen und die aktive Auseinandersetzung damit in unserer Disziplin. Wir müssen sozusagen unsere inneren Vorurteile konfrontieren, sichtbar machen und dadurch aktiv verlernen.

Wie hat sich euer Engagement fortgesetzt?

Als Weiterführung unserer Bachelorarbeit haben wir unter anderem ein Seminar gehalten. Selbstorganisierte Lehre von Studierenden ist ein Format, über das wir in die Strukturen eingreifen können. Das Seminar hieß „Empowering Student Positions – wie könnte eine Lehre für alle aussehen?“ Am Anfang stand eine gesellschaftlich-kritische Einführung über Begriffe wie Klassismus oder Intersektionalität. Die haben wir in Zusammenhang gesetzt mit Diskriminierung in Räumen und Defiziten an der Universität. Dann haben wir den Studierenden die Aufgabe gegeben, Defizite an der Universität zu suchen, sei es institutionell, sei es räumlich, seien es die Zulassungsbedingungen fürs Studium. Zu diesen sollten sie eine Intervention in der Uni durchführen und dadurch die Kritik ins Räumliche übertragen und für alle Studierenden sichtbar machen. Daraus ist im April eine mehrtägige Ausstellung als Abschluss und Synthese aller Seminarabgaben entstanden.

Inwiefern siehst du Studierende in der Verantwortung, Veränderung anzustoßen und politisch aktiv zu werden?

Das ist super schwierig und hat zwei Seiten. Die Studiokultur etwa ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wir reproduzieren auch dort diesen Leistungsgedanken, der in unserem neoliberalen System verankert ist. In dieser Hinsicht kann jeder Mensch sich selbst hinterfragen, nicht zuletzt Studierende, die laut Umfragen zumindest in München in der Regel privilegiert sind. Es ist eine Gratwanderung: Wo tragen wir individuelle Verantwortung, wo ist es wichtig, Verantwortung abzugeben und von Menschen in höheren Verantwortungspositionen einzufordern. Denn deswegen haben wir ja auch Hierarchien, um Verantwortungen aufzuteilen. Grundsätzlich ist an Hierarchien auch nicht immer was falsch. Es ist essenziell wichtig, dass auch die Institution Uni Intersektionalität aktiv fördert.


Leseempfehlungen von Elena Spatz:


Johanna Lentzkow absolvierte ihren Bachelor an der Hochschule Darmstadt und setzt nun ihr Architekturstudium an der Technischen Universität in München fort.

Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team, weitere Autor:innen sind Fabian P. Dahinten, Luisa Richter und Lorenz Hahnheiser.

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