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Zurück Nachwuchs-Kolumne #225

Gemeinwohlzertifizierung für Architekturbüros

Nachhaltigkeit: check! Gemeinwohl auch? Inwiefern das eigene Büro im Sinne des Gemeinwohls handelt – unternehmensintern wie für die Gemeinschaft – kann eine Gemeinwohlzertifizierung sichtbar machen. Gemeinwohlökonomie-Beraterin Gerlinde Lamberty gab einen Einblick.

Von: Johanna Lentzkow
Johanna Lentzkows Lieblingsthemen sind das Bauen im Bestand, Entwürfe von...

16.10.20244 Min. Kommentar schreiben
Eine abgeblühter Löwenzahn, dessen Samen wegfliegen

Wirkt weit über sich hinaus: Die Pusteblume wird als symboliches Zeichen der Gemeinwohlzertifizierung genutzt
estersDesigns /stock.adobe.com

Nachhaltigkeit ist in Planungsbüros selbstverständlich geworden, nun hält Gemeinwohl dort Einzug. Man mag meinen, dass hierfür eher öffentliche Einrichtungen, politische Institutionen oder zivilgesellschaftliche Initiativen zuständig seien. Doch genauso können und müssen bis hin zu jeder und jedem Einzelnen alle ihren Beitrag leisten. So sehen es sogar das Grundgesetz und mehrere Landesverfassungen vor.

Wie steht es hinsichtlich der Gemeinwohlorientiertung im eigenen Planungsbüro und wie kann diese überhaupt gemessen werden? Im Rahmen eines vom BDA Hessen organisierten Vortrags in Frankfurt stellte Gerlinde Lamberty, zertifizierte Gemeinwohlökonomie-Beraterin, eine Gemeinwohlzertifizierung vor, wie sie genau funktioniert und welche Vorteile das bringt.

Gemeinwohl statt Bruttoinlandsprodukt

„Das Bruttoinlandsprodukt misst alles, außer dem, was das Leben lebenswert macht.“ Mit diesem Zitat von Robert Kennedy hinterfragte auch Lamberty das BiP und plädierte dafür, neue Maßstäbe anzulegen. Der Mensch muss zurück in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Handelns gestellt werden und Unternehmen nicht nur anhand ihres finanziellen Erfolgs, sondern auch nach ethischen Faktoren und ihrer gesamtheitlichen Verantwortung bewertet werden. Genau das tut die Gemeinwohlzertifizierung.

Mithilfe einer Gemeinwohl-Matrix kann man die Werte Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, Ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung in Beziehung setzen zu Lieferant:innen, Geldgeber:innen, Mitarbeiter:innen, Kund:innen und zum gesellschaftlichen Umfeld. Dabei stellen sich beispielsweise Fragen nach den Arbeitsbedingungen beim Zulieferbetrieb, dem Umgang mit Kund:innen und dem Beitrag für das Gemeinwesen.

So wird Gemeinwohl zertifiziert

Mithilfe einer Vorlage werden entsprechend der jeweiligen Antworten Punkte vergeben und so der Status Quo des eigenen Unternehmens ermittelt. Zusammen mit der/dem begleitenden Gemeinwohlökonom:in identifiziert man anschließend in fünf themenbezogenen Workshops kurz- und langfristige Ziele, um den Gemeinwohl-Kompass unternehmensspezifisch zu kalibrieren.

Durchschnittlich beträgt die Dauer des Verfahrens acht Monate, abhängig davon, ob der Prozess zusammen mit einer Peergroup aus anderen Unternehmen oder allein durchgeführt wird. Den Abschluss bildet eine Vollbilanz mit Testat und externem Audit, die alle zwei Jahre rebilanziert werden muss.

Gemeinwohlzertifizierung: mehr als nur ein „Nice-to-have“

Berichtspflichten wie CSRD/ESRS oder das Lieferkettensorgfaltspflichgesetz zeigen bereits das Gebot der Stunde, nämlich dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht mehr nur ein „Nice-to-have“ ist, sondern inzwischen gefordert wird. „Meine Wette: In zehn Jahren sind ohnehin nur noch nachhaltige Marken erfolgreiche Marken“, sagt die Geimeinwohlökonomin. Nach Gerlinde Lamberty bringt die Gemeinwohlzertifizierung eine Vielzahl an Vorteilen, sowohl in der Organisation als auch am Markt und in der Gesellschaft.

Zielkonflikt bei Planungsbüros

Bei allem Idealismus: Die Maximalpunktzahl in allen Bereichen zu erreichen, ist schlicht unrealistisch. „Ein Büro sollte konkrete Fokusbereiche festgelegen, in denen man sich in Zukunft bessern möchte“, betont Gerlinde Lamberty. Auch in Bezug auf die Arbeit in unserer Branche ist eine gewisse Diskrepanz wohl nicht zu überwinden.

Was wiegt in Bezug auf das Gemeinwohl zum Beispiel beim Entwerfen von Wohnraum schwerer: Die Bezahlbarkeit und deshalb der Einsatz von Beton und Plastikfenstern – oder die Nachhaltigkeit und damit einhergehende teurere Materialien? Was ist „am gemeinwohlsten“?

Es geht ums Geld – und um einen Wertewandel

Natürlich können wir im Dialog mit unseren Auftraggeber:innen so missionarisch wie möglich versuchen, Lösungen mit größter sozialer und ökologischer Richtigkeit umzusetzen. Doch eine Vielzahl an externen Faktoren beeinflusst die letztliche Entscheidung. Was wird dann bilanziert, wenn es um die Bewertung des Planungsbüros geht? In meiner nächsten Kolumne erfahrt ihr, wie das Büro Prosa all das in der Praxis umgesetzt hat.


Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter und Lorenz Hahnheiser.

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