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Zurück Nachwuchs-Kolumne #233

Braucht Architektur ein erweitertes Berufsbild?

Die Grenzen der Architektur sind fließend. Junge Architekturbüros setzen sich mit den Rändern auseinander, die teils nicht zum klassischen Berufsbild gezählt werden. Auf einem Symposium zur Ausstellung „und jetzt!“ stellten sie ihre Arbeiten vor – und warfen wichtige Fragen auf: Was ist Architektur heute und wer definiert sie?

Von: Lorenz Hahnheiser
Lorenz Hahnheiser schreibt über die Architekturlehre an den Unis, architekturpolitische...

11.12.20244 Min. Kommentar schreiben

„Architektur sollte nicht allein durch die neun Phasen der HOAI definiert werden, die aktuell den Zugang zur Architektenkammer bestimmen und somit das Berufsbild stark prägen.“ Mit dieser These macht sich Hanna Noller für ein erweitertes Berufsbild in der Architektur stark.

Ausstellung und Symposium „und jetzt!“ in Stuttgart

Zusammen mit Lena Engelfried und Christian Holl war Hanna Noller Kuratorin der Ausstellung „und jetzt“, samt begleitendem Symposium. In der Architekturgalerie am Weißenhof zeigten junge Büros, dass Architektur weit über ihre formalen Grenzen hinausgehen kann.

Mit Bestandsanalyse, Umnutzung, Beteiligungsverfahren und offen kommunizierter Haltung reagieren die Ausstellenden auf aktuelle soziale und ökologische Herausforderungen. „Sie eröffnen neue Perspektiven und Aufgabenfelder, die im traditionellen Verständnis des Berufs möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt werden“, so Lena Engelfried.

Berufsbild und Praxis: zu selten im Einklang

Das klassische Berufsbild der Architekt:innen ist eng verknüpft mit dem Kammerwesen. Diese Struktur bietet Rückhalt, politische Lobbyarbeit und Altersvorsorge. Die Kammern regulieren den Zugang zur Berufsbezeichnung, zur Bauvorlageberechtigung und darüber hinaus den Zugang zur Mitarbeit in den Kammergremien.

Wer die neun Leistungsphasen nicht nachweisen kann, hat wenig Möglichkeit mitzudiskutieren und die Kammern von innen heraus mitzugestalten. Das betrifft vor allem Gestalter:innen aus Stadtplanung, Innen- und Landschaftsarchitektur oder Mitarbeiter:innen von kleineren Büros, die nur einen Teil der Phasen abdecken. Diejenigen die sich durch die Kammer nicht vertreten fühlen, können deshalb häufig nicht mitreden. Sollten die Strukturen also geöffnet werden?

Architektur: Was gilt es zu schützen?

Zurecht ist die Berufsbezeichnung geschützt. „Wo werbewirksam ,Architektur draufsteht, soll Architektur drin sein“, schreibt Sinah Marx im DAB. Die gesellschaftliche Verantwortung die Architekturschaffende tragen, sollte nur gut ausgebildeten Personen zugesprochen werden.

Doch was genau schützen wir hier? Auch Projekte eingetragener Architekt:innen manifestieren nicht selten soziale Ungleichheit und schaden der Umwelt in unnötig hohem Maß. Gleichzeitig sind architektonisch wertvolle Arbeiten von hervorragend ausgebildeten Personen nicht vereinbar mit dem geschützten Architekturbegriff. Oder sie werden zu Wettbewerben nicht zugelassen, weil die Anforderungen keine Newcomer vorsehen – so zeigt es die Ausstellung.

„Ich denke nicht, dass der Titelschutz der Kammern per se ein Problem darstellt, das Kammersystem ist eine gute Sache“, sagt Alkistis Thomidou, von forty five degrees im Interview mit Marlowes. „Aber die Kammern müssen sich fragen, was ihr Zweck unter den heutigen Bedingungen ist. Wollen sie die Architekt:innen schützen, das Image des Berufsstandes verändern, oder geht es um den Schutz des Marktes, der bestehenden Ordnung?“

Gesprächsrunde auf der Ausstellung

„und jetzt!“ war eine Ausstellung in der Architekturgalerie am Weißenhof. Sie folgte der Frage, wie die Zukunft der Architekturpraxis aussieht und suchte Antworten in der gegenwärtigen Praxis fünf junger Büros.
Thomas Fütterer

Nachwuchs will mehr als nur bauen

Architekt:innen gestalten, verknüpfen, führen zusammen und geben Impulse. So wird es durch den Kanon und die Vorbilder der Architekturlehre vermittelt. Die Berufsrealität sieht oft anders aus. Hier heißt es „bauen, bauen, bauen“ und Dienstleistungen erbringen.

Der Nachwuchs hat damit ein wachsendes Unbehagen: Laut Nachwuchsreport erleben 22 Prozent der Berufseinsteiger:innen eine „Realitätsklatsche“, weil die geforderte Arbeit nicht den Versprechungen eines Traumberufs entspricht. Ganze 43 Prozent denken darüber nach, die Branche zu verlassen. Viele junge Gestalter:innen wollen vor allem lebenswerte Räume schaffen.

Das Berufsbild nach innen und außen öffnen

Eine Architektenkammer, die diese Talente halten will, braucht offene Zugangsregeln. „Sobald die Kammer den Zugang für Architekturschaffende öffnet, die sich außerhalb der neun HOAI-Phasen bewegen, würde sie automatisch ein erweitertes Berufsbild prägen“, so Christian Holl.

Der Diskurs auf dem Symposium geht noch einen Schritt weiter. Die Öffnung müsse in zwei Richtungen gehen: Nach innen, um interdisziplinäre Perspektiven in die Kammer zu holen, und nach außen, um architektonisches Wissen in neue Felder einzubringen. Auch das solle gemeinhin mit dem Berufsbild vereinbar werden, so der Tenor.

Lebensqualität schaffen: lieber mit als ohne Kammer

Die Realität zeigt, dass die formalen Zugangsvoraussetzungen ohnehin immer wieder unterlaufen werden. So ist es gängige Praxis, dass Büros ihre Mitarbeiter:innen unterstützen, indem sie ihre Namen auch bei Arbeitsleitungen anderer Leistungsphasen auflisten, um die Kammermitgliedschaft zu ermöglichen.

Es muss auch andere Wege geben, die nächste Generation in den Berufsstand einzubeziehen. Smarten und engagierten Gestalter:innen ist nicht der Titel wichtig, sondern das Ziel: Räume zu schaffen, die unser Leben bereichern. Wäre es nicht großartig, dieses Versprechen gemeinsam als Berufsstand einzulösen?


Die Nachwuchs-Kolumnen des DAB schreibt ein junges Team im wöchentlichen Wechsel. Unsere Autor:innen sind Johanna Lentzkow, Fabian P. Dahinten, Luisa Richter-Wolf und Lorenz Hahnheiser.

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