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DIN-Flut

Warum es immer mehr Normen gibt – und wie die Kammern im Interesse der Architekten gegenhalten

30.09.20107 Min. Kommentar schreiben

Von Barbara Chr. Schlesinger und Roland Stimpe

Die Normenflut schwillt immer stärker an. Allein die Zahl neuer Normen wird in diesem Jahr doppelt so hoch sein wie noch im Jahr 2000. Dabei sind für das Bauwesen schon heute fast 24 000 DIN-Normteile relevant, von denen etwa 2 500 die Kernaufgaben von Architekten betreffen. „Die Normenflut steigt aber nicht nur wegen der Entwicklung der Technik“, erläutert Klaus Hecker, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer. „Sondern es gibt da auch handfeste Interessen in der Politik wie in Teilen der Wirtschaft.“ Die Bundesregierung erhofft durch Normung Standort- und Qualitätsvorteile. Die Europäische Kommission sieht sie ebenfalls als Wirtschaftsfaktor; sie will darüber hinaus mit gemeinsamen Normen den internationalen Handel erleichtern und Standards garantieren. Schon heute werden rund 90 Prozent aller Normen auf internationaler Ebene verabschiedet, die meisten auf der europäischen.

Zudem werden staatliche Gesetze immer mehr durch Normen untersetzt. Klassisches Beispiel ist die HOAI-Vorschrift, nach der die Kostenschätzung auf Grundlage der DIN 276 zu erstellen ist. Landesbauordnungen verlangen Arbeit nach „eingeführten technischen Regeln“, die Baustellenverordnung beruft sich auf die nicht staatlichen Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen (RAB). Auch Gerichte und Sachverständige ziehen immer wieder Normen heran. Und zu den Normen kommen technische Regeln durch privatwirtschaftliche Gruppen und Verbände – genannt seien hier nur der Verein Deutscher Ingenieure (VDI), die Deutsche Gesellschaft für Akustik (DEGA), der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZVDH) und die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB).

Planung wird häufig erschwert

BAK-Vizepräsident Hecker weiß: „Architekten empfinden Normen oft mehr als Hemmnis denn als Hilfe.“ Die dauernden Änderungen und Ergänzungen sind nur schwer zu verfolgen, die Recherche ist aufwendig und teuer – was sich durch das neue Normenportal jetzt aber bessert. Doch die Planung wird durch Normen nicht unbedingt erleichtert und in sinnvolle Bahnen gelenkt, sondern häufiger beschränkt und erschwert. Klaus Hecker erläutert: „Aus all diesen Gründen engagieren sich die deutschen Architektenkammern für eine Normungspolitik, die den Bedürfnissen des Berufs entspricht. Die Regelungsdichte soll minimiert, technokratische Hemmnisse sollen abgebaut und nur das wirklich Sinnvolle soll normiert werden. Dabei muss möglichst weit­gehend die planerische Freiheit sichergestellt werden, denn bei jedem Projekt sieht die optimale Lösung anders aus.“

Eine Norm, bei der die Kammern mit dieser Strategie Erfolg hatten, ist die DIN 18040 für barrierefreies Bauen, deren Veröffentlichung im November ansteht. Hier lag zunächst ein Vorläuferentwurf mit dem Kürzel E DIN 18030 auf dem Tisch, der allzu starr vorschreiben wollte, wie Barrierefreiheit aussieht. Die BAK und Mitstreiter aus anderen Organisationen konnten ihn stoppen und für einen besseren sorgen. Dieser ist jetzt tauglicher für die Praxis, rechtlich sicherer und enthält vor allem allgemeingültige Anforderungen auf dem Niveau von Mindeststandards anstelle detaillierter Festschreibungen. Die Norm, die jetzt von den Bundesländern als technische Baubestimmung eingeführt werden kann, ist einfacher, überschaubarer, besser lesbar und logischer gegliedert als der Vorläuferentwurf. Auch bei den Regeln für Arbeitsstätten, die ein Ausschuss des Bundesarbeitsministeriums erstellt, gibt es eine Diskussion um die Barrierefreiheit. Die konkreten Anforderungen soll jetzt eine Arbeitsgruppe definieren, die von der BAK geleitet wird.

25 Kammervertreter in 50 Gremien

An weiteren Normen arbeiten in den DIN-Ausschüssen rund 25 Mitglieder und Beschäftigte von Kammern in etwa 50 Gremien mit. Ihr Engagement koordiniert die BAK. Zu den Schwerpunkten in jüngerer Zeit gehörte neben dem barrierefreien Bauen unter anderem die DIN V 18599 für die Berechnung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, die von den Kammern schon in der Entstehungsphase als viel zu kompliziert bewertet wurde. Hier erreichten sie die Einführung eines ­vereinfachten Verfahrens in die EnEV. Auf Antrag der BAK arbeiten zwischenzeitlich auch die Normungsgremien an Vereinfachungen. Bei den internationalen Nachhaltigkeitsnormen ISO/TC 59/SC 17 und CEN/TC 350 ging und geht es vor allem um den nötigen Wandel von einer stark wissenschaftlich geprägten zu einer praxisnahen Norm.

Daran besteht auch bei anderen Normen Bedarf, da in den Normungsgremien des DIN und anderswo Wissenschaftler relativ stark vertreten sind, dagegen Anwender vergleichsweise schwach. BAK-Vizepräsident Klaus Hecker fordert: „Normen sollen sich als ‚anerkannte Regeln der Technik‘ einführen, Normungsgegenstand darf nicht der Stand der Wissenschaft werden.“

Schon im Jahr 2004 startete die BAK mit 20 weiteren Verbänden eine nachhaltig erfolgreiche Initiative zum baulichen Schallschutz. Hier waren für eine Neuherausgabe der DIN 4109 allzu hohe Anforderungen vorgesehen; die Tätigkeit eines Bauakustikers drohte zur Norm auch bei einfacheren Vorhaben zu werden. Die Verbände konnten erreichen, dass die Norm nicht veröffentlicht wurde und neu bearbeitet wird. Das Ziel: Anforderungen an den Schallschutz sollen technisch einwandfrei und handwerklich zu bewältigen sein. Dabei drücken die Verbände aufs Tempo: Die neue DIN 4109 sollte bald verfügbar sein, da die Rechtsprechung derzeit häufig die konkurrierenden Anforderungen der VDI 4100 als Maßstäbe nimmt.

Wachsamkeit gebieten auch neue Normen für Dienstleistungen. Politiker, Verbraucher- und Wirtschaftsvertreter streben mehr und mehr Standardisierungen zu Leistungsbildern, Qualifikationen, Betriebsprozessen und Verfahren an. Architekten sind beispielsweise von entsprechenden Normen für das öffentliche Beschaffungswesen oder für Gutachterleistungen betroffen.

Hier hat die BAK frühzeitig Mitsprache gefordert, ist in zwei koordinierende Fachbeiräte aufgenommen worden und kann von dort auf die Normarbeit aus nächster Nähe einwirken. Die Kammern sehen Dienstleistungsnormen grundsätzlich kritisch, da es hier oft nicht den nötigen Konsens in Politik und Gesellschaft gibt. BAK-Vizepräsident Klaus Hecker setzt sich für einen solchen Konsens ein: „Normen sind primär technische Regeln und sollten das auch bleiben.“

Normen-Flatrate

Architekten erhalten seit Neuestem für einen günstigen Pauschalpreis Zugang zu 500 Normen

Der Zugang zu wichtigen Normen wurde für Architekten stark erleichtert: Seit September ist das Normen-Onlineportal „Architektur“ freigeschaltet, in dem Kammermitglieder zu einem günstigen Pauschalpreis Zugang zu 500 relevanten Normdokumenten erhalten. Hierauf haben sich die Architektenkammern und der Beuth-Verlag des Deutschen Instituts für Normung geeinigt.

Für den Zugang melden sich Kammermitglieder unter www.normenportal-architektur.de oder über den Link an, den die Kammern der Länder von ihren Seiten dorthin legen. Wer ­registriert ist, erhält Zugang zu ausgewählten Dokumenten. Claudia Mi­chalski, Geschäftsführerin des Beuth-Verlags: „Hier ist von berufener Stelle eine Auswahl der für Architekten wesentlichen 500 Normen ­getroffen worden – nämlich von den Architektenkammern selbst. Eingeschlossen sind auch einige historische, im Alltag noch sehr bedeutsame Dokumente.“ Alle drei Monate wird der ­Inhalt ­aktualisiert. Michalski: „So bleiben Nutzer automatisch auf dem Laufenden und müssen sich nicht um den Bezug neuer ­Dokumente kümmern.“

Der Zugang kostet für ein Jahr 198 Euro plus Mehrwertsteuer für ­einen Einzelplatz und 498 Euro plus Steuer in einem Netz mit bis zu fünf Arbeitsplätzen. Für Oktober bis Dezember 2010 wird das ­Normenportal „Architektur“ den Kammermitgliedern zu einem ­Einführungspreis von 49,50 Euro plus Steuer angeboten. Wer sich erst Ende Oktober entscheidet, zahlt für die letzten zwei Monate dieses Jahres nur 33 Euro netto.

Der von den Architektenkammern in langen Verhandlungen erreichte Preis ist günstiger als der Bezug weniger Einzelnormen und quasi eine Normen-Flat­rate: Für diesen Betrag kann im gebuchten Zeitraum beliebig oft und lange im Normenportal gesurft werden. Außerdem lassen sich Normen ausdrucken.

Aber warum kosten Normen überhaupt Geld und werden nicht wie Gesetzestexte kostenfrei angeboten? Claudia Michalski: „Für die ­Erarbeitung von Gesetzen kommen die Steuerzahler auf. Die ­Kosten für die Erarbeitung von DIN-Normen werden zum größten Teil von ihren Anwendern getragen. Jeder von ihnen trägt durch den Kauf von Normen einen kleinen Teil zur Finanzierung der Normungsarbeit bei.“ Bei Architekten stößt dies nicht immer auf Verständnis, da Normen oft mit Gesetzen und Verordnungen für die Planung verbindlich werden – aber Kammermitglieder erhalten jetzt immerhin einen stark vergünstigten Zugang zur unentbehrlichen Norminformation.

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