Von H. Henning Irmler
Architektenleistungen oberhalb des derzeitigen Schwellenwertes in Höhe von 221.000 Euro müssen durch öffentliche Auftraggeber im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens nach § 17 Vergabeverordnung (VgV) vergeben werden. Dabei ist der Auftrag im Leistungswettbewerb zu vergeben (§ 76 VgV) und nicht in einem Preiswettbewerb, da die Vergütung aufgrund des verbindlichen Preisrechts der HOAI (weitgehend) vorgegeben ist. Da bei derartigen Verfahren der Preis, nämlich das Architektenhonorar, wegen des zwingenden Preisrechts der HOAI nicht alleiniges Zuschlagskriterium sein darf, verlangen öffentliche Auftraggeber als ein wertendes Zuschlagskriterium häufig das Erarbeiten eines Lösungsvorschlages im Sinne des § 77 VgV. Absatz 2 der Norm schreibt für solche Fälle vor, dass einheitlich für alle Bewerber eine angemessene Vergütung festzusetzen ist. Absatz 3 betont darüber hinaus, dass gesetzliche Gebühren oder Honorarordnungen unberührt bleiben.
Lösungsvorschläge im Sinne des § 77 Abs. 2 VgV sind nach der HOAI zu vergüten, wenn Leistungen verlangt werden, die Grundleistungen der HOAI darstellen. So hat die Vergabekammer (VK) Südbayern mit nunmehr rechtskräftigem Beschluss vom 29. Juni 2017 (Az.: Z3-33104-1-13-04/17) entschieden, den das Oberlandesgericht (OLG) München im Ergebnis in einem Hinweis an die Parteien im zwischenzeitlichen Beschwerdeverfahren bestätigt hat. In dem konkreten Fall verlangte der öffentliche Auftraggeber für die Verhandlungsphase in einem VgV-Verfahren das Fertigen eines Lösungsvorschlages nach bestimmten Vorgaben, wobei es sich um Teilleistungen von Grundleistungen der HOAI handelte. Als Vergütung setzte er einen Betrag in Höhe von jeweils 12.000 Euro fest. Ein Architekt rügte diese Festsetzung als Verstoß gegen die HOAI, da nach seiner Berechnung ein dementsprechendes Honorar mit circa 47.000 Euro netto anzusetzen gewesen wäre. Zwischen den Parteien war unstreitig, dass das festgesetzte Honorar in Höhe von 12.000 Euro nicht dem Honorar nach der HOAI entsprach und erheblich darunterlag, wobei die genaue Höhe streitig blieb. Im Mittelpunkt des Rechtsstreites stand somit die Frage, ob lediglich ein angemessenes Honorar, das nicht der HOAI entspricht, oder aber ein HOAI-gemäßes Honorar nach § 77 Abs. 2 VgV festzusetzen sei.
Der öffentliche Auftraggeber vertrat die Auffassung, nach Wegfall des § 20 Abs. 3 VOF – der die Honorierung von Lösungsvorschlägen nach der HOAI regelte – im Rahmen der 2016 in Kraft getretenen Vergaberechtsmodernisierung führe § 77 Abs. 3 VgV nicht dazu, dass die HOAI auf Lösungsvorschläge im Sinne des Absatzes 2 anzuwenden sei. Die HOAI fände nämlich (nur) dann Anwendung, wenn Architektenleistungen aufgrund eines Vertrages erbracht würden. Bei Verhandlungsverfahren der VgV handele es sich aber um die sogenannte „Akquisephase“ und es bestünde deshalb (noch) gar kein Vertragsverhältnis, da ein solches ja erst durch das Verhandlungsverfahren begründet werden solle.
Vertrag oder Akquise?
Diese Auffassung teilt die VK Südbayern nicht. Auch wenn die Regelung des § 20 Abs. 3 VOF alte Fassung nicht mehr gelte, gäbe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber der VgV die Architekten und Ingenieure bei der Ausarbeitung von verlangten Lösungsvorschlägen, die Teilleistungen der HOAI umfassen, schlechter stellen wollte. Vielmehr könne § 77 Abs. 2 und 3 VgV nur so gelesen werden, dass die jeweils festzusetzende Vergütung für Lösungsvorschläge, die Teilleistungen der HOAI enthalten, nur dann als angemessen anzusehen sind, wenn diese Vergütung den Bestimmungen der HOAI entspricht. Das OLG München hat diese Auffassung in seinem oben angesprochenen Hinweis bestätigt: Zwar könnten der Wortlaut des Absatzes 2 beziehungsweise das Fehlen einer § 20 Abs. 3 VOF (alte Fassung) entsprechenden Regelung vordergründig den Anschein erwecken, dass der Verordnungsgeber nur die Notwendigkeit einer „angemessenen“ Vergütung – unabhängig von der HOAI – bejahen wollte. Eine Auslegung allein nach dem Wortlaut sei aber weder mit der Begründung zur Vergaberechtsmodernisierung noch mit dem Zweck der Verordnung in Einklang zu bringen.
Es erschließt sich schon nicht, welchen Zweck die Vorschrift des § 77 Abs. 3 VgV haben soll, wenn Teilleistungen der HOAI als Lösungsvorschläge verlangt werden, diese aber nicht nach der HOAI berechnet werden. Die Vorschrift würde ins Leere laufen und ein verbleibender Anwendungsbereich wäre nicht zu erkennen.
Dagegen ist § 77 Abs. 2 VgV eine eigenständige „Vergütungsbedeutung“ für solche Leistungen bei Lösungsvorschlägen zuzusprechen, die Grundleistungen der HOAI oder Teilleistungen davon darstellen. Absatz 3 hingegen konkretisiert das Angemessenheitserfordernis des Absatzes 2 für eben solche Leistungen. Werden somit lediglich Lösungsvorschläge verlangt, die keine Grundleistungen der HOAI (oder Teilleistungen davon) erfordern, ist „nur“ auf die Angemessenheit einer Vergütung abzustellen, nicht aber auf die HOAI. Andernfalls ist die Vergütung entsprechend differenziert zu berechnen: Hinsichtlich der Leistungen, die keine Teilleistungen der HOAI darstellen, reicht die „Angemessenheit“ als solche aus und im anderen Fall bestimmt sich die Angemessenheit ausschließlich nach der HOAI.
Hinsichtlich der Frage, ob die HOAI nur beim Vorliegen einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien anzuwenden ist, ist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 16. März 2017 (Az.: VII ZR 35/14) hinzuweisen (vgl. „Wann die Werbephase endet“). Danach endet bei dem Abfordern von Leistungen der HOAI jegliche „Akquisephase“ mit der Festsetzung einer Vergütung. In diesem Fall bestimmt sich das Honorar nur nach der HOAI. Die vom Auftraggeber „ausgelobte“ Vergütung ist als Angebot über eine Vergütungsvereinbarung – im Vorfeld des eigentlichen Architektenvertrages – anzusehen, die mit dem Erbringen des Lösungsvorschlags durch den jeweiligen Bewerber angenommen wird.
Prof. H. Henning Irmler ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht in Schwerin.
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