Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Was tun bei Bauverzögerungen?“ im Deutschen Architektenblatt 09.2024 erschienen.
Stellt ein Bauunternehmen nicht ausreichend Personal oder Material auf der Baustelle zur Verfügung, wird häufig die rechtzeitige Fertigstellung des Bauvorhabens gefährdet. Der Bauherr ist in dieser Situation auf die Unterstützung und Mitwirkung des Architekten angewiesen.
Prognose und Abhilfeverlangen
Der Bauunternehmer muss auf Verlangen des Bauherrn unverzüglich Abhilfe schaffen, wenn Arbeitskräfte, Geräte, Gerüste, Stoffe oder Bauteile (im Folgenden nur als „Produktionsmittel“ bezeichnet) so unzureichend sind, dass die Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können (§ 5 Abs. 3 VOB/B).
Grundlage dafür ist eine Prognoseentscheidung, die der Bauherr mit Unterstützung des Architekten auf der Grundlage des bisherigen Baufortschritts getroffen hat, wobei diese Prognose keiner bestimmten Form bedarf.
Mutmaßungen über Bauverzögerungen reichen nicht aus
Das Abhilfeverlangen sollte der Bauherr schon aus Beweisgründen schriftlich erklären. Dabei genügt es, wenn der Bauherr den Bauunternehmer auffordert, unverzüglich Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Der Bauherr hat allerdings keinen Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme. Wie die Abhilfe zu erfolgen hat, bestimmt vielmehr der Bauunternehmer (§ 4 Abs. 2 VOB/B).
Wie wahrscheinlich eine Nichteinhaltung der Ausführungsfristen ist, kann unterschiedlich beurteilt werden. Einigkeit besteht darüber, dass bloße Mutmaßungen oder allgemeine Befürchtungen des Bauherrn nicht ausreichen. Nach einer aktuellen Entscheidung des Kammergerichts Berlin (Urteil vom 24. Januar 2023, Az.: 2023 – 27 U 154/21) können die Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden, wenn der mit den bisher eingesetzten Produktionsmitteln erreichte Baufortschritt im Verhältnis zur verstrichenen Zeit in einem derartigen Missverhältnis steht, dass nach allgemein anerkannter Erfahrung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Fertigstellung der Bauleistungen bis zum Ablauf der Ausführungstermine nicht zu erwarten ist.
Frist setzen und Kündigungsrecht
Ist dies der Fall und droht eine Terminüberschreitung, ermöglicht § 5 Abs. 3 VOB/B es dem Bauherrn, Rechte geltend zu machen und den Bauunternehmer aufzufordern, Abhilfe zu schaffen. Kommt das Bauunternehmen seiner Verpflichtung zur Abhilfe nicht nach, kann der Bauherr ihm eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung setzen und die Kündigung des Vertrages androhen (§ 5 Abs. 4 Alt. 3 VOB/B). Läuft auch diese Frist ergebnislos ab, kann der Bauherr den Bauvertrag kündigen (§ 8 Abs. 3 VOB/B).
Im Streitfall hat der Bauherr allerdings darzulegen und zu beweisen, dass aufgrund unzureichender Produktionsmittel die Ausführungsfristen offenbar nicht eingehalten werden können. Die drohende Terminüberschreitung muss dem Verantwortungsbereich des Bauunternehmers zuzuordnen sein.
Wer verschuldet Bauablaufstörungen?
Die Gründe für Bauablaufstörungen und daraus resultierende Verzögerungen können sehr unterschiedlich sein. Bauablaufstörungen, durch die der Bauunternehmer in seiner Bauausführung behindert sein kann (§ 6 VOB/B), können unter anderem resultieren aus:
- Witterungsverhältnissen,
- Änderungen des Entwurfs,
- Anordnung zusätzlicher Leistungen,
- fehlenden Leistungen eines Vorunternehmers,
- fehlenden oder fehlerhaften Plänen des Bauherrn oder
- sonst fehlenden Mitwirkungshandlungen des Bauherrn, die für die Bauausführung erforderlich sind, wie etwa die Freigabe von Plänen, Bemusterungen etc.
In diesen Fällen verlängern sich die Ausführungsfristen (§ 6 Abs. 2 VOB/B).
Im Fall vor dem Kammergericht ging es um einen Bauvertrag für Dachdeckung, Dachabdichtung sowie Dachbegrünung für den Neubau eines Laborgebäudes. Der Bauunternehmer hatte geltend gemacht, er sei in der Bauausführung behindert gewesen, weil keine Baufreiheit bestanden habe. Er sei deshalb nicht verpflichtet gewesen, die Baustelle mit weiterem Personal zu besetzen. Dieser Sachverhalt war zwischen den Parteien streitig, weshalb das Gericht Zeugen vernehmen und ein Sachverständigengutachten einholen musste. Im Ergebnis entschied das Gericht, dass das Abhilfeverlangen des Bauherrn berechtigt war und der Bauunternehmer die Abhilfe zu Unrecht verweigert hatte.
Welche Pflichten hat der Architekt bei einem Abhilfeverlangen?
Der Architekt hat bei einer Abhilfeaufforderung mitzuwirken und den Bauherrn zu unterstützen. Werden die vom Architekten vertraglich zu erbringenden Leistungen nach der Anlage 10.1 zu § 34 Abs. 4 HOAI bestimmt, hat der Architekt in der Leistungsphase 8 in erster Linie folgende Grundleistungen zu erbringen:
- d) Aufstellen, Fortschreiben und Überwachen des Ausführungs-Terminplans (Balkendiagramm) und
- e) Dokumentation des Bauablaufs (zum Beispiel Bautagebuch).
Terminplan an tatsächlichen Bauablauf anpassen
Ohne Aufstellen eines hinreichend detaillierten Terminplans für die Bauausführung ist eine sachgerechte Terminsteuerung, wie sie insbesondere durch ein Abhilfeverlangen nach § 5 Abs. 3 VOB/B erfolgt, so gut wie unmöglich. Der Terminplan dient als Kontrollinstrument und ist gerade auch für die nach § 5 Abs. 3 VOB/B zu treffende Prognoseentscheidung ein wichtiges Hilfsmittel.
Überwachen des Terminplans bedeutet auch eine Baufortschrittskontrolle. Treten Bauablaufstörungen beziehungsweise Verzögerungen auf, ist der Terminplan fortzuschreiben, das heißt an den tatsächlichen Bauablauf anzupassen. Der Architekt hat die Auswirkungen auf den tatsächlichen Bauablauf festzustellen und dem Bauherrn geeignete Abhilfemaßnahmen vorzuschlagen. Ist ihm dies bei komplexen Bauprojekten nicht möglich, hat er dem Bauherrn die Hinzuziehung eines Ingenieurbüros für Baubetrieb zu empfehlen.
Ursachen für Störungen dokumentieren
Die Dokumentation ist gerade bei Störungen des Bauablaufs von erheblicher Bedeutung und hat durch den Architekten zeitnah zu erfolgen. Die Dokumentation hat insbesondere den zu geringen Einsatz von Produktionsmitteln des Bauunternehmers, etwaige Behinderungsanzeigen, fehlende Mitwirkungshandlungen des Bauherrn, Terminrückstände des Bauunternehmers sowie etwaige Überschreitungen verbindlicher Einzelfristen zu enthalten. Eine bestimmte Form der Dokumentation ist gesetzlich nicht vorgeschrieben und ergibt sich allenfalls aus dem Architektenvertrag.
Auch die Ursachen der Bauablaufstörungen sind möglichst zu dokumentieren. Die Dokumentation hat nach der Rechtsprechung den Zweck, das Baugeschehen mit allen wesentlichen Einzelheiten zuverlässig und beweiskräftig festzuhalten. Insbesondere darin liegt eine wesentliche Informationsquelle für den Bauherrn, die es ihm ermöglichen soll, zu entscheiden, ob es notwendig ist, den Bauunternehmer nach § 5 Abs. 3 VOB/B aufzufordern, den Einsatz seiner Produktionsmittel zu erhöhen.
Bauherr entscheidet final
Mit der Dokumentation des Architekten soll der Bauherr in die Lage versetzt werden, einerseits Ansprüche des Bauunternehmers aus Bauablaufstörungen abzuwehren und andererseits eigene Ansprüche aus Terminverzug, insbesondere aufgrund unzureichender Produktionsmittel, geltend zu machen. Erfolgt eine solche Dokumentation nicht, stellt dies eine Pflichtverletzung des Architekten dar, die ihn schadensersatzpflichtig machen kann (OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. August 2015, Az.: I-23 U 13/13).
Die Entscheidung, ob eine Abhilfeaufforderung gegenüber dem Bauunternehmer erklärt wird und ob bei Nichtabhilfe, erneuter Fristsetzung und Kündigungsandrohung der Bauvertrag gekündigt wird, obliegt ausschließlich dem Bauherrn.
Unzulässige Rechtsberatung vermeiden
Der Architekt hat darauf zu achten, dass er keine unzulässigen Rechtsdienstleistungen gegenüber dem Bauherrn erbringt, indem er zum Beispiel rechtlich prüft, ob im konkreten Einzelfall die Voraussetzungen von § 5 Abs. 3, 4 VOB/B vorliegen. Dies sollte der Architekt dem Bauherrn oder dessen anwaltlichem Berater überlassen und den Bauherrn hierauf ausdrücklich hinweisen. So handelt es sich zum Beispiel um eine unzulässige Rechtsdienstleistung, wenn der Architekt dem Bauherrn in einer unklaren Vertragssituation den Rat erteilt, eine Vertragskündigung zu erklären (OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 7. Mai 2020, Az.: 3 U 2182/19).
Schäden, die aus einer unerlaubten fehlerhaften Rechtsberatung resultieren, sind nicht von der Berufshaftpflichtversicherung gedeckt. Insoweit haftet der Architekt persönlich (siehe hierzu näher DAB 01–02.2024 „Rechtsdienstleistung mit Folgen“ und DAB 07.2020 „Rote Linien bei der Rechtsberatung“).
Prof. Dr. Oliver Moufang ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei GSK Stockmann & Kollegen in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein
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