Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Eine Kammermitgliedschaft verpflichtet“ im Deutschen Architektenblatt 05.2025 erschienen.
Fall 1: Umbau anders als genehmigt
Ein Architekt schloss mit einer Bauherrin einen Architektenvertrag über die Planung eines Umbaus inklusive Bauausführungsbegleitung beziehungsweise Bauüberwachung. Ziel sollte sein, in einem geerbten Einfamilienhaus der Bauherrin mehrere Wohnungen zu schaffen. Streitig ist, ob bereits von Beginn an drei Wohnungen entstehen sollten oder nur zwei, so wie in der Baueingabe seitens des Architekten dargestellt.
Zwei parallele Planungen
Jedenfalls gab es als Grundlage der Vertragsgespräche zur Ausführungsplanung mehrere Versionen von Bauzeichnungen, die der Architekt anfertigte. Er wies die Bauherrin außerdem darauf hin, dass es wegen des fehlenden Grenzabstandes zum Nachbargrundstück nicht möglich sei, die an das Wohnhaus anschließende Garage vollständig als Wohn- oder Nutzfläche für die Wohnnutzung im Erdgeschoss einzubeziehen.
Im Antrag auf „Umbau, Erweiterung und Sanierung eines vorhandenen Wohnhauses mit Garage“ gab der Architekt dann die Gebäudeklasse 1a und zwei Wohneinheiten an. In der eingereichten Grundrisszeichnung stellte er die Garage weiterhin als für die Kfz-Nutzung dar. Parallel aber fertigte der Architekt eine – nicht zu den Bauantragsunterlagen gehörende – Baustellenzeichnung an, in der drei Wohneinheiten dargestellt waren, davon zwei im Erdgeschoss. Die Fläche der bisherigen Garage war zumindest zum Teil der herzustellenden beziehungsweise umzubauenden Wohnfläche im Erdgeschoss zugewiesen.
Baugenehmigung für zwei Wohnungen, aber drei gebaut
Die Baugenehmigung wurde, wie eingereicht, für zwei Wohneinheiten und die Weiternutzung der Garage als Fahrzeugeinstellplatz erteilt. Dennoch wurden drei Wohnungen geschaffen. Im Erdgeschoss wurden zwei separate Wohneinheiten verwirklicht, teilweise unter den Grenzabstand verletzender Einbeziehung der Garage als Wohnnutzfläche. Der Architekt wies die Bauherrin nicht auf die nun bestehende Grenzabstandsproblematik und die daraus resultierende materielle Baurechtswidrigkeit des tatsächlich geplanten und vollzogenen Umbaus hin.
Verstoß gegen das Architektengesetz
Vor dem Berufsgericht wurde dem Architekten vorgeworfen, die berechtigten Interessen der Bauherrin nicht gewahrt sowie seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt zu haben. Indem der Architekt eine grenzabstandsprivilegierte Garage entgegen dem genehmigten Bauantrag vorsätzlich in Wohnraum umplante und den Umbau überwachte, ohne darauf zu achten, dass die tatsächliche Bauausführung dem öffentlichen Baurecht entsprach, hat er einen Verstoß gegen § 37 Abs. 1 des Niedersächsischen Architektengesetzes (NArchtG) begangen.
Dieser besagt, dass die Pflichtmitglieder ihren Beruf gewissenhaft auszuüben haben, dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen und alles zu unterlassen, was dem Ansehen des Berufsstandes schaden könnte.
Derartige Regelungen gibt es vergleichbar in allen Berufsordnungen, Architekten- oder Baukammergesetzen der jeweiligen Länderkammern beziehungsweise Bundesländer. Insofern ist der Fall übertragbar.
Berufspflichten verletzt
Im Urteil des Architekten-Berufsgerichts Niedersachsen vom 4. August 2023 (Az.: AG 1/22) wird das Verhalten des Architekten als schwerwiegender vorsätzlicher und schuldhafter Verstoß gegen seine Berufspflichten eingestuft. Es will ganz bewusst Signalwirkung entfalten und auf das hohe Gut einer „untadeligen“ Berufsausübung hinweisen.
Das Gericht stellt heraus, dass ein Kernteil dieser so umschriebenen Pflicht der Kammermitglieder zur „untadeligen“ Berufsausübung unter anderem sei, als Entwurfsverfasser gegenüber den Bauaufsichtsbehörden in Anzeige- und Genehmigungsverfahren nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgemäße Angaben über die Art und das Ausmaß der beabsichtigten Baumaßnahmen zu tätigen. Die so erwirkte Genehmigung soll der tatsächlich geplanten Baumaßnahme vollständig entsprechen und materiell rechtmäßig sein.
Bewusst falsche Angaben gemacht
Der Architekt habe hier bewusst und vorsätzlich, so die Überzeugung des Gerichts, falsche Angaben gemacht und absichtlich nur zwei Wohneinheiten im Bauantrag beantragt. Weil von vornherein die Umsetzung der Maßnahme mit drei Wohneinheiten geplant war, hat er gegen die gesetzliche Pflicht verstoßen, dass ein geplantes Bauvorhaben nur innerhalb des genehmigten Rahmens ausgeführt werden darf. Dadurch wiederum hat er auch gegen die ihm obliegende besondere Verantwortung verstoßen, das öffentliche Baurecht einzuhalten.
Dieser Regelungszweck, der in den jeweiligen Bauordnungen verankert ist (hier § 53 Abs. 1 S.1 NBauO und § 72 Abs. 1 S.2 NBauO), werde ad absurdum geführt, wenn der Architekt mit seiner Unterschrift unter den eingereichten Bauunterlagen zum Ausdruck bringe und die Gewähr dafür übernehme, dass der Entwurf für die Baumaßnahme dem öffentlichen Baurecht entspreche, und dann bewusst davon abweiche.
Untadelige Berufsausübung zugunsten aller Beteiligten
Aber nicht nur das öffentliche Interesse und das Vertrauen der Öffentlichkeit werden durch einen derartigen vorsätzlichen und wissentlichen Verstoß des Architekten verletzt – auch gegenüber der Bauherrin werde er seinen Berufspflichten nicht gerecht. Dieser schuldete der Architekt eine dauerhaft genehmigungsfähige Planung. Mit der absichtlich von der Baugenehmigung abweichenden Bauausführung hat er ein materiell baurechtswidriges Werk geschaffen. In diesem Fall droht ein seitens der Behörden angeordneter Rückbau der durchgeführten Änderungen.
Dies hätte dann wiederum zur Folge, dass die Bauherrin den Architekten auf Schadensersatz für den entstandenen immensen finanziellen Verlust in Anspruch nehmen kann. Neben dem großen Vertrauensverlust und Reputationsschaden komme somit auch die Haftung für den dadurch entstandenen Vermögensschaden auf den Architekten zu, der aufgrund der unterstellten Vorsätzlichkeit nicht von dessen Berufshaftpflichtversicherung abgedeckt wäre.
Indem der Architekt auch nach Beginn des nicht von der Baugenehmigung umfassten Umbaus der Bauherrin Möglichkeiten aufzeigte, das Vorhaben nachträglich einer baurechtlichen Legalisierung zuzuführen, hat er seinen Verstoß gegen das Berufsrecht weiter untermauert.
Fall 2: Zu Unrecht als Bauleiter ausgegeben
In einem anderen Verfahren (Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 1. Oktober 2024, Az.: 36 K 6711/24) wurde einem Beratenden Ingenieur zur Last gelegt, eine Verletzung beruflicher Pflichten begangen zu haben, indem er sich auf der Baustelle als Bauleiter ausgab, ohne hierzu vom Bauherrn bevollmächtigt gewesen zu sein. Auch hier hat das Gericht eine schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflichten im Verhältnis zur Bauaufsichtsbehörde festgestellt. Der Verstoß habe ein erhebliches Gewicht, da er Haftungsverhältnisse an der Baustelle verschleiere und dadurch die Durchsetzung des formellen und materiellen Baurechts massiv erschwere.
Durch die vorsätzlich falsche Behauptung, Bauleiter zu sein, liegt demnach ein Verstoß gegen die Kardinalspflichten der Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen vor. Hier ist also parallel zu der oben genannten Entscheidung ebenfalls von einer Verletzung der Berufspflichten auszugehen.
Fazit: Verstoß gegen Berufspflichten kein Kavaliersdelikt
Beide Entscheidungen machen sehr deutlich, dass es sich bei einem Verstoß gegen die Berufspflichten durch Kammermitglieder um alles andere als Kavaliersdelikte handelt. Vielmehr liegt ein schwerwiegendes Versagen im absoluten Kernbereich der Berufspflichten von Architekten und Beratenden Ingenieuren vor.
Das von der Öffentlichkeit gerade in Kammermitglieder als Entwurfsverfasser oder Bauleiter gesetzte Vertrauen, dass sie dieser Verantwortung in ihrer Berufsausübung gerecht werden, untergräbt ein Kammermitglied durch solch bewusste und gewollte Verstöße. Ein solches Fehlverhalten ist damit geeignet, das Ansehen des Berufsstandes in der Öffentlichkeit und das Vertrauen in dessen Integrität ganz erheblich zu beschädigen.
Kündigungsgrund, wenn Bauherr Verstoß gegen Berufspflichten wünscht
In der Praxis kommt es regelmäßig vor, dass von einem Auftraggeber derartige Verstöße gebilligt oder gar verlangt werden (möglicherweise in Unkenntnis der Konsequenzen). In diesen Fällen ist dringend zu einer Beendigung der Zusammenarbeit zu raten, sollte der Auftraggeber an einer Wahrung der Berufspflichten durch den Architekten kein Interesse haben – ein solcher Umstand stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar.
Ausschluss aus Architektenkammer droht
Ansonsten stehen nicht nur Sanktionen nach den jeweiligen Bauordnungen, sondern aufgrund von Verstößen gegen die Berufspflichten auch durch die Berufsgerichtsbarkeit an. Letzteres kann in einem Rügeverfahren mit einem Ordnungsgeld bei der jeweiligen Architektenkammer enden oder aber, bei schwerwiegenden Verstößen, vor dem zuständigen Berufsgericht. Hier droht neben einem Ordnungsgeld je nach Schwere des Falles auch der Ausschluss aus der Architektenkammer.
Kathrin Körner ist Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin) bei der Bayerischen Architektenkammer
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