Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Wichtiges Signal aus Kassel“ im Deutschen Architektenblatt 04.2019 erschienen.
Von Florian Hartmann
Die Richter am Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hatten sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine angestellte Architektin, die in einem Unternehmen als „Sachbearbeiterin für den technischen Einkauf“ arbeitet, zugunsten ihres Versorgungswerkes von der Mitgliedschaft in der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zu befreien ist. Die Richter entschieden zwar nicht in der Sache selbst, sondern verwiesen die Angelegenheit an die Vorinstanz, das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG Ba-Wü), zurück (Beschluss vom 13. Dezember 2018, Az.: B 5 RE 1/18 B). Das BSG gab dem LSG Ba-Wü aber wichtige „Segelanweisungen“ mit auf den Weg, die es bei seiner Entscheidung zu beachten habe und die jeder angestellte Architekt kennen sollte.
Typische Tätigkeiten für Architekten
Der angestellten Architektin erging es wie derzeit vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen: Seit vielen Jahren ist sie als Angestellte Pflichtmitglied ihrer Architektenkammer sowie des dazugehörigen Versorgungswerkes. Dann wechselt sie den Arbeitgeber und muss einen neuen Befreiungsantrag bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) stellen. Diesem Befreiungsantrag legte sie im konkreten Fall einen Arbeitsvertrag als „Sachbearbeiterin für den technischen Einkauf“ und eine Stellenbeschreibung bei. Dort war ihr Aufgabengebiet stichwortartig beschrieben: „Ausschreibung von Nachunternehmerleistungen, Terminplanbearbeitung für die Projektabwicklung, technische Klärung der ausgeschriebenen Leistungen mit den Anbietern, Projektkalkulation einschließlich der Ausarbeitung des kompletten Angebots, Angebotsauswertung und kaufmännische Vorverhandlungen für Nachunternehmerleistungen, Überprüfung der Ausführungspläne und technische Vergabeverhandlungen als Vorbereitung für kaufmännische Vergabeverhandlungen, Bearbeitung von Bestellungen und Abrechnungen für Nachunternehmerleistungen, Pflege der Nachunternehmer- und Preisdatenbank, Erstellung eines Preisspiegels“. Zusammengefasst heißt das: Die technische Einkäuferin ist in den Leistungsphasen 6 und 7 der HOAI berufsspezifisch tätig.
Vermeintliche Randbereiche
Die DRV lehnte den Befreiungsantrag dennoch ab. Die Architektin beschritt den Rechtsweg. Während sie vor dem Sozialgericht Erfolg hatte, verlor sie in der zweiten Instanz beim LSG Ba-Wü. Dieses schloss sich der DRV an und meinte, die technische Einkäuferin arbeite nicht als Architektin. Eine Tätigkeit, die sich auf die Leistungsphasen 6 und 7 beschränke, sei nicht „typisch“ für den Architektenberuf. Vielmehr werde das Berufsbild der Architekten durch das Bauen und das hierüber hinausgehende Schaffen von Architektur geprägt. Das sei der „Kernbereich“ der Architektentätigkeit. Wer lediglich, wie die technische Einkäuferin, ein Projekt wirtschaftlich begleite, sei in einem „Randbereich“ des Berufsbilds tätig. Einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der DRV habe aber nur derjenige, der im Kernbereich der Berufsaufgaben arbeite. Eine Beschäftigung im Randbereich reiche nicht aus.
Hätte diese Entscheidung vor dem BSG Bestand gehabt, wären die Folgen für den Berufsstand fatal gewesen. Tätigkeiten aus dem vermeintlichen „Randbereich“ des Berufsbilds, wie er nach Auffassung der DRV in § 1 Abs. 5 Architektengesetz Baden-Württemberg und vergleichbar auch in anderen Architekten- und Baukammern-gesetzen der Länder niedergelegt ist, wären nicht mehr befreiungsfähig. Angestellten, die als Sachverständige, als Bauprüfer bei den Bauaufsichtsbehörden, im Facilitiy-Management oder als Projekt-steuerer arbeiten, wäre damit faktisch der Weg in ihre Versorgungswerke versperrt. Folgerichtig rief die betroffene Architektin, unterstützt von der Architektenkammer Baden-Württemberg und deren Versorgungswerk, das BSG an.
Mit Erfolg! Die Kasseler Richter hoben die Entscheidung aus Baden-Württemberg auf, verwiesen die Angelegenheit an das LSG zurück und gaben den Stuttgarter Richtern „Segelanweisungen“ mit auf den Weg.
Berufsrecht zählt für Befreiung
Zunächst stellten die Bundesrichter klar: Es ist einzig und allein Sache des Berufsrechts, festzulegen, wer als Architektin arbeitet und wer nicht. Die DRV darf nicht, wie sie es gerne tut, zusätzliche Befreiungsvoraussetzungen „erfinden“. Beispielsweise wäre es unzulässig, eine Befreiung ausschließlich denjenigen Architektinnen und Architekten zu gewähren, die in der Leistungsphase 4, also planerisch, tätig sind. Das Berufsrecht kennt diese Beschränkung nicht.
Weiter wies das BSG auf Folgendes hin: Die Berufsaufgaben der Architektinnen und Architekten sind im Architektengesetz Baden-Württemberg nicht abschließend beschrieben. Schon gar nicht beschränken sie sich, wie das LSG meinte, auf das „Bauen und Schaffen von Architektur“. Vielmehr hat der Landesgesetzgeber in § 1 Abs. 5 Architektengesetz Baden-Württemberg über die unmittelbare Planung und Bauausführung hinausgehende Aufgaben ergänzend in das Gesetz aufgenommen. So wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Bauherren eine umfassende Betreuung ihrer Projekte erwarten, die teilweise weit vor der eigentlichen Planungstätigkeit ansetzt und mitunter auch noch nach Übergabe des Vorhabens fortbestehen kann.
Schließlich macht das BSG deutlich: Das Berufsbild der Architekten kennt keine Randbereiche beziehungsweise Kernbereiche, sondern nur ein einheitliches Berufsbild, das sich, gerade in Zeiten zunehmender Spezialisierung aller freien Berufe, ständig fortentwickelt. Architekt ist also, wer die Leistungsphasen 1 bis 9 abdeckt, aber auch derjenige, der ausschließlich als Sachverständiger, bei der Bauaufsicht oder, wie im entschiedenen Fall, in den Leistungs-phasen 6 und 7 tätig ist.
Der Richterspruch aus Kassel macht Hoffnung. Das BSG hat sich der Argumentation angeschlossen, die der Berufsstand seit jeher vertritt. Euphorie ist jedoch fehl am Platz. Zunächst ist die neue Entscheidung des LSG Ba-Wü in der Sache abzuwarten. Angestellte Architekten, Stadtplaner, Innen- und Landschaftsarchitekten sollten ihre Befreiungsverfahren weiterhin sehr ernst nehmen und frühzeitig das Beratungsangebot der Kammern und Versorgungswerke in Anspruch nehmen.
Zudem haben die Architektenkammern bereits vor einigen Jahren über die Bundesarchitektenkammer eine Projektgruppe zum Thema Befreiungsrecht gegründet, die sich unter der Leitung des Architekten Ernst Uhing (Präsident der AKNW) auch dafür einsetzen wird, dass die Segelanweisungen des BSG allerorts beachtet werden.
Dr. Florian Hartmann ist Geschäftsführer und Justiziar der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
Voraussetzungen für eine Befreiung
Kammermitglieder sind Pflichtmitglieder des berufsständischen Versorgungswerkes. Angestellte Architekten müssen zusätzlich noch Rentenversicherungsbeiträge an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) abführen. Sie können sich aber auf Antrag von der DRV befreien lassen. Die Befreiung setzt zweierlei voraus:
- Pflichtmitgliedschaft in einer Architektenkammer (besteht überall außer in Schleswig-Holstein) und Plicht zur Teilnahme am Versorgungswerk
- Ausübung einer berufsspezifischen Tätigkeit
Das Merkmal der berufsspezifischen Tätigkeit wurde in den Befreiungsverfahren von der DRV häufig sehr eng ausgelegt und war immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Hierzu beraten die Architektenkammer ihre Mitglieder.
Stellenwechsel richtig angehen!
Wer als angestellter Architekt die Stelle wechseln möchte, ist gut beraten, Folgendes zu beachten: Im Befreiungsverfahren verlangt die DRV, zumindest wenn der Arbeitgeber kein Architekturbüro ist, die Vorlage des Arbeitsvertrages, einer Stellen- und Funktionsbeschreibung sowie, falls vorhanden, der Stellenausschreibung. Im Arbeitsvertrag fordert die DRV in der Regel, dass der Stellenwechsler ausdrücklich als „Architekt“ angestellt ist. In der Stellen- und Funktionsbeschreibung ist die Tätigkeit des Betreffenden anhand der Berufsaufgaben des jeweils einschlägigen Architekten- oder Baukammerngesetzes – etwa § 1 BauKaG NRW – und, weil die DRV das regelmäßig gerne so hätte, ergänzend anhand der Leistungsphasen der HOAI detailliert darzustellen. Hilfreich kann es auch sein, auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 13. Dezember 2018 hinzuweisen, wonach es nicht darauf ankommen darf, ob man in einem vermeintlichen „Randbereich“ tätig ist. Insgesamt gilt: Je ausführlicher die Tätigkeit beschrieben wird und je vollständiger die eingereichten Unterlagen von Anfang an sind, desto größer sind die Chancen auf eine Befreiung. Stellenwechsler sollten deshalb sehr frühzeitig mit ihrem neuen Arbeitgeber klären, ob die sozialrechtlichen Anforderungen, auch wie sie die DRV stellt, erfüllt werden können.
Beratung auf dem Weg zur Befreiung können Mitglieder bei ihrer jeweiligen Architektenkammer und ihrem Versorgungswerk erhalten. Gesagt sei aber auch noch einmal: (Noch) völlig unproblematisch ist der Stellenwechsel von einem Architekturbüro in ein anderes oder etwa von einer Stadtverwaltung in ein Architekturbüro. Im Fokus der DRV stehen „nur“ diejenigen Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten oder Stadtplaner, die, wie es die DRV nennt, „nicht klassisch“ beschäftigt sind, also außerhalb eines Architekturbüros angestellt sind.
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