Interview: Roland Stimpel
Die Haftpflichtversicherung ist bei Architekten ein extrem unbeliebtes Thema. Die Prämien steigen und steigen; für manche Kleinbüros sind sie der größte Kostenfaktor.
Auch die Versicherer sind über die Entwicklung der Prämien nicht begeistert. Aber diese steigen ja nicht, weil die Unternehmen mehr verdienen wollen, sondern weil sie immer mehr und größere Schäden begleichen müssen. Sie können an der Entwicklung der Prämien und anderen Vertragsbedingungen die Entwicklung der Bauschäden ablesen. Das Bauen wird immer komplexer und die Qualität nicht unbedingt höher.
Und die Prämie steigt und steigt?
Nicht zwangsläufig. Sie steigt bei Versicherungsanbietern schon mal in Sprüngen, wenn sie nicht rechtzeitig Rückstellungen gebildet haben. Wo das aber vorausschauend geschieht, droht kein schockartiger Anstieg.
Teuer ist es immer. Muss die Versicherung für jeden Architekten Pflicht sein, auch wenn er ganz kleine Projekte hat?
Wenn der Berufsstand sagen würde, er wolle nicht mehr generell versichert sein, dann würden viele Bauherren denken: Aha, die Architekten wollen für ihre Schäden nicht mehr haften. Dann würde eine sehr unglückliche Diskussion losbrechen. Außerdem haften die Architekten in der Regel mit ihrem Privatvermögen. Daher hat eine Haftpflichtversicherung auch eine erhebliche Schutzfunktion für die Architekten.
Soll man die Kosten resigniert hinnehmen?
Natürlich nicht. Ein Teil des Problems ist doch, dass Architekten mit ihrer gesamtschuldnerischen Haftung für die in ihrem Arbeitsgebiet auftretenden Schäden oft für Schäden in Anspruch genommen werden, an denen auch andere beteiligt sind. Architekten zahlen also mit ihrer Prämie auch für die von anderen mitverursachten Fehler. Dieses löst dann häufig das Gefühl aus, für die Schäden anderer haften zu müssen.
Das ruft doch danach, die umfassende Haftung der Architekten zu beschränken.
Es gibt aber auch die Interessen der Bauherren. Sie interessiert in erster Linie, dass ein Schaden beglichen wird – egal, ob ihn ein Bauunternehmen produziert und/oder ein Architekt das Unternehmen nicht ausreichend überwacht hat. Später ist das Unternehmen womöglich insolvent. Der Bauherr würde auf einem Großteil des Schadens sitzen bleiben, wenn dann auch der Architekt nicht mehr für den ganzen Schaden haftet. Das erklärt den Gedanken des Gesetzgebers bei der heutigen Regelung: Warum soll das Problem den Bauherrn treffen, der doch für den Schaden am wenigsten kann? Dann sollte doch besser einer der Beteiligten bzw. Mitverursacher – also am Ende oft der Architekt haften.
Architekten müssen sich pflichtversichern, Baufirmen müssen es nicht.
Aber die Unternehmen haben in der Regel auch eine Betriebshaftpflicht und können darüber hinaus schon heute freiwillig Verträge abschließen, auch für Gewährleistungsschäden. Dieses System kann man weiterentwickeln, bis am Ende ein ganzes Projekt mit seinen umfassenden Risiken versichert ist. Dann könnte die Prämienlast gerechter auf die verschiedenen Baubeteiligten verteilt werden. Praktisch könnte es ähnlich laufen wie heute schon bei der Gewährleistungsversicherung: Ein Unternehmen zahlt die Prämie, aber jedes andere, das sich dann in den Bau einklinkt, übernimmt einen Anteil.
Das klingt gut für die Versicherung. Aber hat dieses System gegenüber der Baulobby eine Chance?
Für seriöse und qualitätsbewusste Baufirmen ist dieses System eine Chance und keine Belastung. Die Versicherung kann auch eine Art Gütesiegel sein. Denn nur Baufirmen könnten sie abschließen, bei denen das Schadensrisiko wegen ihrer Qualifikationen und Erfahrungen eher gering ist. Kann oder will eine Firma sich nicht versichern, können Bauherren das als Warnung sehen. Die Konkurrenz durch Billig-Anbieter wird geringer. Der Wettbewerb würde wieder mehr über die Qualität als über den Preis geführt. Wer versichert ist, wird außerdem das Problem der Gewährleistung los.
Trotzdem ist das Echo aus der Baubranche bisher eher unfreundlich.
Ich weiß, dass Teile der Bauwirtschaft das eher skeptisch betrachten, weil dort viele das Gefühl haben, nicht die Architekten leiden unter den Fehlern von Bauunternehmern, sondern die Unternehmen leiden unter Architekten, die keine vernünftigen Planungs- und Überwachungsleistungen erbringen. Es bringt aber nichts, sich den Schwarzen Peter hin- und herzuschieben. Planer und Ausführende sollten versuchen, die Rahmenbedingungen gemeinsam so abzustecken, dass beide damit leben können. Sie müssen schließlich zusammenarbeiten und haften oft auch gemeinsam.
Bleibt der Geiz vieler Bauherren. Sie wünschen oft die billigsten Firmen – und sie wollen doch wohl keine Versicherung, die letztlich die Baukosten verteuern würde.
Auch bei ihnen dürfte das Qualitätsbewusstsein wachsen, wenn sie sehen: Es gibt gute, versicherte Unternehmen und andere, bei denen das Risiko offenbar viel größer ist. Schon jetzt beobachte ich ein Umdenken in diese Richtung. Verbraucherschutzverbände interessieren sich für das neue System, weil bisher gerade unerfahrene kleinere Bauherren enorme Risiken haben, die sie aus ihrem Privatvermögen nicht abdecken können, und heilfroh über einen solchen Sicherheitsanker sind. Auf jeder Gartenparty hört man doch Geschichten von irgendwelchen Baukatastrophen; es herrscht die Meinung „Beim Bauen geht sowieso alles schief“. Eine Projektversicherung würde genau in diese Lücke stoßen. Man muss das Risiko dem Bauherrn gar nicht mehr erklären; es ist jedem bewusst. Man muss ihm nur noch die Lösung anbieten.
Wenn die Baufirma versichert ist, arbeitet sie womöglich leichtfertiger, als wenn sie selbst haftet oder insolvent geht.
Dann droht ihr aber eine höhere Prämie oder gar die Kündigung der Versicherung. Zudem würden die Versicherer selbst ein System der Qualitätssicherung schaffen oder haben es schon getan, etwa indem sie eigene unabhängige Experten auf die Baustelle schicken. Das würde übrigens auch Architekten bei Überwachungsaufgaben entlasten.
Als Bauunternehmer würde ich an dieser Stelle denken: Die wollen von mir nicht nur eine Versicherungsprämie, sondern sie wollen dann auch noch jeden Schritt auf der Baustelle überwachen. Sonst noch Wünsche?
Ich kenne Bauunternehmen, die sagen: Vielleicht habe ich damit als Qualitätsfirma kein sehr großes Problem – aber meine weniger seriösen Wettbewerber trifft es hart. Dann wird für bessere Unternehmen aus der scheinbaren Last ein Wettbewerbsvorteil.
Auch als Architekt könnte ich mich in meiner Kompetenz und meiner Bauleiter-Ehre beschnitten fühlen.
Er kann es doch genau umgekehrt sagen: Die Versicherung unterstützt mich bei Aufgaben, die ich bisher allein bewältigen musste. Sie soll ja die Bauüberwachung durch den Architekten ergänzen, nicht ersetzen. Außerdem können doch auch diejenigen, die die Qualitätsüberwachung übernehmen, Architekten sein. Hier tut sich ein weitgehend neues Betätigungsfeld auf. Es täte allen gut, wenn das intellektuelle Potenzial von Architekten für den Bau besser genutzt würde; nicht nur in Form von Entwürfen, sondern auch in Form von Organisation und Qualitätssicherung. Das müssen die Architekten aber auch wollen.
Wenn wirklich alle so gut mit Projektversicherungen bedient wären: Warum gibt es sie nicht längst?
Es gibt sie bereits in Form der Gewährleistungsversicherung bei kleineren Baumaßnahmen und in Einzelfällen auch bei etwas größeren Projekten. Aber bisher gibt es solche Versicherungen nicht als flächendeckendes System. Doch viele arbeiten daran. Darüber wird zum Beispiel in der Arbeitsgruppe im Bundesjustizministerium zur Reform des Bauvertragsrechts diskutiert. Auch der Deutsche Baugerichtstag im Mai wird sich mit der Frage beschäftigen, was sogenannte Multi-Risk-Versicherungen leisten könnten.
Warum wollen Sie eine solche Versicherung eigentlich nicht als Pflicht? Für Versicherer ist es doch am bequemsten, wenn alle zu ihnen kommen müssen.
Die Versicherer wollen ja gar nicht jeden. Gäbe es für Unternehmen eine Pflicht, dann könnten die Versicherer ihrerseits nicht ohne Weiteres einen Kunden ablehnen und müssten auch den akzeptieren, der vielleicht nicht qualitätvoll bauen kann. Die finanziellen Folgen müssten dann von der gesamten Versicherungsgemeinschaft getragen werden. Der Vorteil einer Freiwilligkeit liegt hingegen darin, dass ein Versicherer sagen kann: Ich versichere nur gute Unternehmen. Und nur diesen Unternehmen wird damit von den Risiko-Profis der Versicherungen bescheinigt, dass sie professionell und sicher bauen – und die Prämien bleiben in einem vernünftigen Rahmen. Und schließlich: warum soll man wieder den Gesetzgeber rufen, wenn man noch nicht einmal die Möglichkeiten des Marktes ausgelotet hat?
Eine Ungerechtigkeit bliebe: Architekten müssten sich weiter pflichtversichern, die Baufirmen nicht. Wenn ein knickriger oder leichtfertiger Bauherr dann doch einen unversicherten Billigheimer nimmt, muss wieder der Architekt den Schaden ausbaden.
Ich hoffe ja gerade, dass das dann seltener passiert und es weniger kritische Projekte dieser Art gibt. Dann hat man auch als Architekt eher die Option, bei einem solchen Projekt gar nicht erst mitzumachen. Vielleicht lehnt man eine Mitwirkung von vornherein ab, vielleicht sollte man nur bis Phase 4 oder 5 dabei sein. Denkbar ist auch die Vereinbarung eines einseitigen Kündigungsrechts im Architektenvertrag. Dazu sollte man sich aber rechtlich beraten lassen.
Und wenn ein Architekt gerade keinen anderen Auftrag und eine schwache Position hat?
Natürlich ist es zunächst verlockend, die Überwachungsleistung zu übernehmen; sie bringt schließlich 30 Prozent des Gesamthonorars für alle Phasen. Aber es ist auch diejenige, in der die meisten Haftungsfälle auftreten. Und ist es nicht besser, vorher ohne Risiken die Bücher zu schließen, als unter schlechten Vorzeichen in die weiteren Phasen hineinzumarschieren?
Fechten Sie jetzt für die freiwillige Versicherung, auch wenn andere lieber ein Pflichtmodell hätten?
Nach meinem momentanen Meinungsstand ist Freiwilligkeit besser. Aber ich führe Diskussionen immer ergebnisoffen. Man sollte über die Projektversicherung mit allen Marktbeteiligten sprechen, selbstverständlich auch mit Architekten und ihren Kammern. Es wäre doch gut, wenn die wichtigsten Institutionen ein gemeinsames Eckpunktepapier dazu erarbeiten, was so ein Versicherungsmodell zur Qualitätssicherung abdecken und leisten muss. Erst nach der Diskussion sollte man sich wirklich festlegen, auch in der Frage „Pflicht“ oder „freiwillig“.
Solange noch diskutiert wird: Was könnten Architekten im heutigen System tun, um Haftungsfälle zu vermeiden und gemeinsam die Prämien zu senken?
Man sollte seinen Bauherrn von Anfang an mit dem Thema Qualitätssicherung konfrontieren: Wie stellt er sie sich vor? Lässt sie sich schriftlich fixieren? Bauherren sollten früh dafür sensibilisiert werden, wie viel von der Wahl der richtigen Unternehmen abhängt. Wenn es an die Vergabe geht, müssen Architekten den Bauherrn oft an die grundlegendsten Dinge erinnern. Zum Beispiel daran, Empfehlungen einzuholen und – vor allem – bei früheren Bauherren direkt rückzufragen. Später, in der Überwachungsphase, kommt es auf vernünftige Dokumentation und auf permanenten Kontakt mit dem Bauherrn an, auf rechtzeitige Hinweise und Warnungen, die natürlich sauber dokumentiert sein müssen, bis hin zu aufgezeigten Alternativen bei der Lösung. Das verlangt natürlich einen hohen Dokumentationsaufwand vom Architekten. Außerdem ist es wichtig, dass der Architekt den Bauherrn nachdrücklich drängt, bestehende Mängel umgehend beseitigen zu lassen und Gewährleistungsrechte gegenüber Bauunternehmen zügig durchzusetzen.
Sehen Sie Qualitätssicherung auch als Thema innerhalb der Architekturbüros?
Je größer Büros werden, desto mehr müssen sie sich als Unternehmen betrachten und sich über das Thema Gedanken machen, bis hin zum Vier-Augen-Prinzip für alle wichtigen Vorgänge.
Sie beraten eine Versicherung, sind aber kein Versicherungsvertreter. Trotzdem: Welche Versicherungen würden Sie Architekten noch gern verkaufen?
Den Ball möchte ich zurückspielen. Architekten und Planer sollten sich überlegen, für welches Risiko sie gern eine Absicherung hätten – auch wenn es dafür noch keine passende Versicherung gibt. Sie sollten an ihren Bauversicherer herantreten, wenn sie einen Wunsch haben. Das Unternehmen wäre dann aufgefordert, als Dienstleister Angebote zu entwickeln, die den Versicherungskunden helfen würden.
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