Von Lia Möckel
Am 24.01.2019 hat die EU-Kommission ein Aufforderungsschreiben hinsichtlich der Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Deutschland verschickt. Hierbei handelt es sich um die erste von drei Stufen eines Vertragsverletzungsverfahren. Mit einem Vertragsverletzungsverfahren kann die EU-Kommission Verstöße eines Mitgliedstaates gegen das EU-Recht geltend machen. Wenn die Kommission vermutet, dass europäisches Recht nichtfristgemäß, unvollständig oder überhaupt nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, sendet sie zunächst ein Aufforderungsschreiben, in dem sie einen Mitgliedstaat auffordert, innerhalb einer bestimmten Frist zu einem aufgetretenen Problem der Anwendung des Unionsrechts Stellung zu nehmen. Die zweite Stufe ist die mit Gründen versehene Stellungnahme. Hier wird der Mitgliedstaat aufgefordert, den Verstoß innerhalb einer bestimmten Frist abzustellen. Kommt der Mitgliedstaat dem nicht nach, kann die Kommission ein gerichtliches Verfahren vor dem EuGH einleiten.
In dem an Deutschland gerichteten Aufforderungsschreiben wird u.a. § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV beanstandet. In diesem ist geregelt, dass bei Planungsleistungen nur der Wert für Lose gleichartiger Leistungen zusammenzurechnen ist.
Mit der jüngst auf Basis der europäischen Vergaberichtlinien erfolgten Novellierung des Vergaberechts wurde mit § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV die Vorgabe aufgenommen, dass Planungsleistungen im Zuge der Realisierung eines Bauvorhabens nur dann zur Ermittlung des maßgeblichen Auftragswertes für die europaweite öffentliche Vergabe zu addieren seien, wenn es sich um sogenannte „gleichartige Leistungen“ handelt. Diese Regelung entspricht einer seit 1997 für alle freiberuflichen Leistungen geltenden Bestimmung im deutschen Vergaberecht, nunmehr lediglich konzentriert auf Planungsleistungen. Die betreffende Norm wurde von der EU-Kommission nie als angeblich europarechtswidrig dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.
Als „gleichartige Leistungen“ in diesem Sinne gelten – entsprechend der früheren Norm – nach weit verbreitetem Verständnis nur Leistungen derselben Planungsprofession, die sich auf dieselbe Planungsaufgabe beziehen. Grund für diese Vorgabe sind die vollkommen unterschiedlichen Inhalte der verschiedenen Planungsgegenstände, die durch je unterschiedlich ausgebildete und mit gänzlich unterschiedlichem Wissen ausgestattete Berufsgruppen erbracht werden, die schließlich in je eigenständigen Büros/Unternehmen organisiert sind. Beispielsweise werden geotechnische Untersuchungen und die Tragwerksplanung von Fachingenieuren jeweils unterschiedlicher Qualifikationen erbracht, die technische Ausrüstung ebenfalls von Fachingenieuren, unter anderem von Elektroingenieuren, und die Gebäude von Architekten geplant. Zudem gibt es in Europa sehr unterschiedliche Planungskulturen mit sehr verschiedenen Auftragsinhalten und -umfängen. Ein undifferenzierter europaweiter Abgleich ist daher nicht möglich.
Dementsprechend werden aktuell für die Berechnung des maßgeblichen Schwellenwertes für Architektenleistungen beispielsweise nur die Leistungen der Gebäudeplanung angesetzt, nicht jedoch die weiteren gegebenenfalls noch notwendigen Planungsleistungen aus dem Bereich der Tragwerksplanung oder der Haustechnik.
Eine Umstellung dieser Praxis im Sinne der Vorstellungen der EU-Kommission könnte zu erheblichen Umwälzungen in der Vergabepraxis führen.
Vergabestellen müssten auch kleinste Planungsaufträge, zum Beispiel ein geotechnisches Gutachten weit vor der eigentlichen Bauplanung, europaweit ausschreiben, sofern die Gesamtsumme aller voraussichtlichen Planerhonorare den Wert von aktuell 221.000 € übersteigt. Dies würde die Vergabestellen, insbesondere auf kommunaler Seite überfordern, ohne einen konkreten Mehrwert in Form eines größeren Wettbewerbs zu erzielen.
Der Vorstoß der EU-Kommission könnte die bewährte und erfolgreiche Vergabepraxis in Deutschland gefährden. Im Übrigen gab es auch bei den bislang europaweit ausgeschriebenen großen Planungsaufträgen so gut wie kein Interesse ausländischer Planungsbüros. Eine vom Architects Council of Europe in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Cross-border services trade and regulation“ kommt zu dem Ergebnis, dass es im Bereich Architektur nicht viele grenzüberschreitende Dienstleistungen gibt. Dies liegt laut der Studie in erster Linie an den unterschiedlichen Rechtssystemen und fehlenden Sprachkenntnissen. Eine Vorgabe zur EU-weiten Ausschreibung auch bei kleineren Aufträgen würde hieran nichts ändern.
Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, um auf das Aufforderungsschreiben zu reagieren. Die Bundesarchitektenkammer ist bereits im Gespräch mit dem zuständigen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
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