Text: Hubertus Schulte Beerbühl
Liegt der Standort für das Vorhaben im Außenbereich oder im Innenbereich? Diese Frage ist oft für die Genehmigungsfähigkeit eines Bauvorhabens von entscheidender Bedeutung. Denn im Außenbereich sind nur die wenigen Vorhaben zulässig, die in § 35 des Baugesetzbuchs (BauGB) genannt sind. Im Innenbereich hingegen ist Bebauung grundsätzlich zulässig, allerdings nur nach Maßgabe der konkreten bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Vorschriften.
Die Antwort auf die Frage nach der Innenbereichsqualität fällt oft schwer. Denn bei der Entscheidung ist eine Wertung erforderlich, die sich an komplizierten rechtlichen Vorgaben orientieren muss und zudem von persönlichen Einschätzungen abhängig ist. Das birgt das Risiko, dass die Genehmigungsbehörde die Frage anders beantwortet als der Architekt. Und auch die Gerichte sind weder an die Einstufung des Architekten noch die der Behörde gebunden; sie können sogar ein Vorhaben wegen seiner Lage im Außenbereich für unzulässig halten, selbst wenn zuvor alle anderen Beteiligten übereinstimmend eine Innenbereichslage angenommen haben.
Der Bürger mag dem Begriff des Außenbereichs ganz bestimmte Vorstellungsbilder zuordnen, etwa das der „freien Natur“, der „Stadtferne“ oder der „Einsamkeit“. Diese Flächen liegen zwar in einem naturalistisch-geografischen Sinne „außen“. Das wird aber dem Rechtsbegriff des Außenbereichs nicht gerecht. Die Festlegung des Außenbereichs folgt vielmehr aus dem, was er nicht ist. Sein erstes Gegenstück ist der Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, sein zweites der „im Zusammenhang bebaute Ortsteil“ nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Entscheidend ist also, ob ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil vorliegt – und wenn das bejaht werden kann, ob der Vorhabensstandort (noch) innerhalb dessen Bebauungszusammenhangs liegt.
Im Zusammenhang bebaut – oder Splittersiedlung?
Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil muss zunächst einen Bebauungszusammenhang haben: eine aufeinanderfolgende Bebauung, die den Eindruck der Geschlossenheit oder Zusammengehörigkeit vermittelt. Dieser kann auch gegeben sein, wenn es unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke gibt – Baulücken im engeren Sinne.
Im nächsten Schritt ist zu klären, ob der Bebauungszusammenhang nach seinem siedlungsstrukturellen Gewicht die Qualität eines Ortsteils hat. Nach einer in der Rechtsprechung immer wieder verwendeten Definition ist ein Ortsteil „jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist“ – so das Bundesverwaltungsgericht seit seiner noch heute maßgeblichen Entscheidung vom 6. November 1968 (IV C 66). Existiert ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil, ist zu klären, ob die zur Bebauung anstehende Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört.
Nur maßstabsbildende Bauten zählen
Unter den Begriff der Bebauung im Sinn der Definition des Bundesverwaltungsgerichts fallen nur solche Bauten, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind. In den Blick zu nehmen sind ausschließlich bauliche Anlagen, die optisch wahrnehmbar sind, dem Gebiet ein bestimmtes städtebauliches Gewicht geben und die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. August 2001 – 4 B 26.01). Das gilt nicht für ein großes Garten- oder Wochenendhaus, für zahlreiche auf einem Friedhofsgelände vorhandene Mausoleen, für Scheunen oder Ställe.
Allerdings gilt eine Ausnahme bei Anlagen, mit denen sich die zuständige Behörde trotz einer von der erteilten Baugenehmigung abweichenden Nutzung auf Dauer abgefunden hat – in diesem Fall sind solche Anlagen mitzuzählen. Das gilt beispielsweise bei einer bewusst geduldeten kontinuierlichen Wohnnutzung eines Wochenend- oder Ferienhauses.
Eine frühere, mittlerweile beseitigte Anlage kann unter Umständen noch eine Zeit lang berücksichtigt werden. Entscheidend ist dafür, ob das frühere Gebäude noch eine nachwirkende Prägung entfaltet (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. August 2007 – 4 C 5.98). Das wird zu bejahen sein, wenn die Umstände auf eine Wiederbebauung hindeuten.
Die Anzahl allein ist nicht entscheidend
Es gibt keine konkrete Zahl von Bauten, ab der ein Ortsteil besteht. Es kann lediglich gesagt werden, dass eine Ansammlung von ganz wenigen Gebäuden wohl selten das erforderliche Gewicht erreichen kann und andererseits eine Vielzahl von Gebäuden tendenziell eher hierzu in der Lage sein wird. Von Bedeutung können die kommunalen und regionalen Verhältnisse sein. Beispielhaft sei aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 26. März 2013 (6 K 5028/10) zitiert. Eine vorhandene Bebauung mit etwa 14 bis 15 Wohngebäuden, den zwei großen Gewächshäusern, der Gaststätte und einem Gewerbebetrieb habe „bei Weitem“ nicht das städtebauliche Gewicht eines Ortsteils einer mittleren Großstadt im Ruhrgebiet. Für sie sei in der Rechtsprechung eine Zahl von etwa 30 Gebäuden zugrunde gelegt worden.
Die „organische Siedlungsstruktur“
Spätestens bei dem Merkmal „Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur“ wird eine Ansammlung von nur wenigen Gebäuden die Kriterien für einen Ortsteil nicht mehr erfüllen – mit der Folge, dass ihre bloße Anzahl deutlich an Aussagekraft verliert. Die vorhandenen Gebäude müssen für eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung maßstabsbildend sein. Wenn hingegen die vorhandene Bebauung als „eher zufällig“ erscheint, lediglich einen Siedlungssplitter bildet und nicht etwa in sinnvoller und rechtmäßiger Weise auch im Wege einer Bauleitplanung entstanden sein könnte, fehlt es an diesem Merkmal. Es besteht nur dann eine organische Siedlungsstruktur, wenn hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen und der Bauweise eine Regelmäßigkeit oder ein planvolles Vorgehen zu erkennen ist.
Eine Splittersiedlung im Außenbereich
Ob ein Ortsteil besteht, ist ausschließlich nach den aktuellen Verhältnissen zu bestimmen. Auf die Entstehungsgeschichte des Bebauungskomplexes kommt es daher grundsätzlich nicht an (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. April 2007 – 4 B 7.07). Eine historisch gesehen organische Siedlungsentwicklung stellt deshalb nur dann heute noch einen Ortsteil dar, wenn die Gründe für die Entstehung auch für die Zukunft gelten können. Nicht mehr der Fall ist das beispielsweise bei einer historisch gewachsenen, bandartigen Moorsiedlung (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25. März 1986 – 4 B 41.86).
Die Linie zwischen Innen und Außen
Der Innenbereich endet, wie das Bundesverwaltungsgericht mehrfach betont hat, „am letzten Haus“ und hier konkret an der hinteren Gebäudewand. Unter Einbeziehung vorhandener Gebäude auf Nachbargrundstücken ist deshalb eine Linie zu ziehen, die diese hinteren Wände miteinander verbindet. Ist eine bedeutende Fläche zwischen den „letzten Häusern“ unbebaut und deshalb der Abstand zwischen diesen Gebäuden zu groß, muss die Linie eventuell weit zurückspringen – bis zu dem letzten zurückliegenden Gebäude, das noch zum Ortsteil gehört, unter Umständen sogar über die Straße hinweg, die die Gebäude erschließt.
Auch in diesem Zusammenhang sind nur solche Gebäude in den Blick zu nehmen, die zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind. Stehen die Häuser am Ortsrand (mehr oder weniger) in einer Reihe, dann sind solche baulichen Anlagen auszublenden, die sich jenseits der Linie befinden, die entlang der hinteren Gebäudeseite verläuft. Das gilt für Gartenhäuser, Schuppen, Stellplätze und erst recht für Zäune. Ein hinter dem Haus liegendes Gartenland ist also in bauplanungsrechtlicher Sicht ebenso Außenbereich wie eine sich daran anschließende Wiese oder ein Acker.
Ist jenseits der Linie, die entlang vorhandener Bebauung gezogen ist, noch weitere Bebauung vorhanden, dann gehört unter Umständen eine dazwischen liegende Fläche in den Bebauungszusammenhang. Wenn allerdings die Entfernung zu groß ist und deshalb der Bebauungszusammenhang unterbrochen ist, liegt die Fläche im Außenbereich. Die dargestellten Grundsätze dürfen jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht allzu starr angewendet werden (Urteil vom 12. Dezember 1990 – 4 C 40/87).
Selbst eine Freifläche, die ringsum von Bebauung umgeben ist, stellt sich nicht zwingend als Teil des Innenbereichs dar; auch innerhalb eines vorhandenen Bebauungszusammenhangs kann es einen Außenbereich geben. Das ist dann der Fall, wenn die Freifläche so groß ist, dass sich ihre Bebauung nicht mehr als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufdrängt. Bei größeren Parkanlagen oder ähnlichen Freiflächen ist ein Außenbereich im Innenbereich zweifellos anzunehmen. Andererseits ist sicherlich ein einziges noch unbebautes Grundstück an einer ansonsten vollständig bebauten, in einem Ortsteil gelegenen Straße eine bebaubare Baulücke – eventuell gilt dies auch für zwei unbebaute Nachbargrundstücke.
Dr. Hubertus Schulte Beerbühl ist Richter am Verwaltungsgericht Münster.
Eine ausführliche Fassung des Textes mit zusätzlichen Karten, Details, Hintergründen und einschlägigen Urteilen finden Sie hier.
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