Eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans für ein ansonsten nicht zulässiges Vorhaben darf nur unter strengen Voraussetzungen erteilt werden. Dazu zählt insbesondere, dass die Grundzüge der Planung durch das Vorhaben nicht beeinträchtigt werden dürfen. Genau das hatte aber eine Nachbarin geltend gemacht, als sie sich gegen eine Befreiung für eine Kindertagesstätte in einem reinen Wohngebiet wandte. Im Zeitpunkt der Entscheidung waren zwar Kindertagesstätten als Anlagen für soziale Zwecke in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig – und sind es heute sogar regelmäßig. Da der Bebauungsplan aus dem Jahr 1968 stammte, war nach dem sogenannten Grundsatz der dynamischen Verweisung auf die seinerzeit geltende Fassung der BauNVO 1962 abzustellen, die diese Genehmigungsmöglichkeit noch nicht bot. Deshalb wäre die Genehmigung ohne die Befreiung rechtswidrig gewesen und die Klägerin hätte die Errichtung verhindern können. Ob die Grundzüge der Planung durch eine Befreiung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab, wie sie in dem konkreten Bebauungsplan zum Ausdruck kommt. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Weg der (Um-)Planung möglich ist. Abweichungen von minderem Gewicht, die die Planungskonzeption des Bebauungsplans unangetastet lassen, berühren die Grundzüge der Planung dagegen nicht. Ob eine Abweichung in diesem Sinn von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden planerischen Willen der Gemeinde. Im vorliegenden Fall ließ sich erkennen, dass mit der Baugebietsausweisung kein spezielles städtebauliches Konzept verfolgt wurde, das der Zulassung eines nach heutiger Rechtslage in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässigen Vorhabens strikt entgegenstehen würde. Eine Kindertagesstätte müsse nicht notwendig ein größeres Störpotenzial in Bezug auf eine benachbarte Wohnnutzung aufweisen als die nach § 3 Abs. 3 BauNVO 1962 ausnahmsweise zulässigen Nutzungen. Weiter spreche die geringe Größe der Kindertagesstätte mit 36 Plätzen dagegen, dass sie ein atypisches Störpotenzial hervorrufe. Auch dass nach aktueller Rechtslage die Anlage nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1990 zugelassen werden könne, rechtfertige es, die Abweichung als von geringerem Gewicht einzustufen. Weil auch die übrigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung vorlagen, war die Nachbarklage erfolglos.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 18. Dezember 2012 – 2 CS 12.1962 –
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