Von Sebastian Schattenfroh
Schon in den vergangenen Monaten hat sich eine heftige Diskussion entwickelt, welche Auswirkungen das EuGH-Urteil, wenn es vorliegt, auf schon erhobene Honorarklagen hat. Gibt es Vertrauensschutz? Oder ist es ab sofort unzulässig, Mindestsatzhonorare per Urteil zuzusprechen?
- Nach einer Auffassung in der Fachliteratur ändert sich zunächst einmal gar nichts. Urteile des EuGH hätten nun einmal bekanntermaßen keine unmittelbare Auswirkung auf das nationale Recht. Erst wenn der Bund reagiert habe und die HOAI-Regelungen sich geändert hätten, würde dann – für die Zukunft – neues Recht gelten. Bis dahin bleibe alles beim Alten.
- Eine zweite Auffassung vertritt das komplette Gegenteil: Die EU-Mitgliedsstaaten seien verpflichtet, Urteilen des EuGH und der betroffenen Richtlinie (Dienstleistungsrichtlinie) sofort Geltung zu verschaffen, auch in der Schwebephase bis zur Rechtsänderung. Das bedeute, dass staatliche Gerichte sogar in schon laufenden Klageverfahren keine Befugnis mehr hätten, den Mindestsatz der HOAI zuzusprechen. Nach dieser zweiten Auffassung soll es also keinerlei Vertrauensschutz geben.
- Zu einer Sonderkonstellation gibt es ein erstes Gerichtsurteil des LG Hamburg, das einen ganz anderen Weg gegangen ist, mit einem auf den ersten Blick überraschenden, aber gut vertretbaren Ergebnis. Dazu unten mehr.
Dieser Diskussionsstand lässt sich auf mehrere Fallgruppen von Honorarklagen anwenden:
Reine Mindestsatzklagen
Dort, wo sich die Klage ausschließlich auf den Mehrbetrag bezieht, der durch das Mindestsatzgebot entsteht, droht nun im schlimmsten Fall der Totalverlust. Beispiel: Es wird ein Pauschalhonorar von 50.000 Euro vereinbart; der gesetzliche Mindestsatz beträgt aber 150.000 Euro; das Planungsbüro klagt 100.000 Euro ein und stützt das allein auf den gesetzlichen Mindestsatz. In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass die Gerichte ab sofort dem Mindestsatz keine Verbindlichkeit mehr beimessen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich bei solchen Prozessen die obige zweite Auffassung durchsetzt. Außerdem dauern solche Verfahren Jahre, und spätestens im nächsten Jahr wird es keinen gesetzlichen Mindestsatz mehr in der HOAI geben. Die Gerichte müssen aber nach der Rechtslage urteilen, die am Ende des Verfahrens gilt. Ob die Gerichte im Einzelfall für schon erhobene Klagen Vertrauensschutz gewähren werden, ist sehr fraglich. Dem Urteil des EuGH ist dazu nichts zu entnehmen.
Klagen mit komplexeren Honorarforderungen
Setzen sich Klageforderungen hingegen zusammen a) aus einem Resthonorar gemäß Vertrag und b) einem darüber hinausgehenden Mindesthonoraranteil, so muss das Gericht jedenfalls das vertragliche Honorar unverändert klären, denn das hat mit dem EuGH-Urteil nichts zu tun. Das kann zum Beispiel das frei vereinbarte Honorar für Besondere Leistungen oder das für Planungs- und Bauzeitverlängerungen betreffen. Solche Ansprüche müssen unverändert geklärt werden und können auch berechtigt sein.
Sonderfall: Formal fehlerhafte Honorarvereinbarungen
Schließlich kann es aufgrund des erwähnten Urteils des Landgerichts Hamburg zu einer dritten Fallgruppe kommen. Nach dieser Entscheidung (Urteil vom 23. Mai 2019, Az.: 321 O 288/17 – nicht rechtskräftig) kann man in bestimmten Konstellationen trotz des EuGH-Urteils den HOAI-Mindestsatz verlangen. Die Begründung ist auf den ersten Blick überraschend, letztlich aber stringent und sehr gut vertretbar:
§ 7 HOAI fordert seit jeher – völlig unabhängig vom EuGH-Urteil und vom EU-Recht – dass Honorarvereinbarungen „schriftlich“ und „bei Auftragserteilung“ geschlossen werden. „Schriftlich“ heißt: zwei Unterschriften auf einem Dokument; ein reines Auftragsschreiben genügt dafür nicht; auch eine Beauftragung per E-Mail oder Fax genügt nicht als „Schriftform“ im Sinne von § 7 HOAI. „Bei Auftragserteilung“ wiederum heißt: in dem Moment, in dem eine wirksame Einigung über die Erbringung von Leistungen vorliegt; das kann eine mündliche Beauftragung sein. Wenn die schriftliche Honorarvereinbarung dann erst Wochen oder gar Monate später unterschrieben wird, kommt sie zu spät (vgl. DAB 12.15: Mehr Honorar versprochen – legal gebrochen).
Liegt auch nur einer dieser formalen Fehler vor, so ist die Honorarvereinbarung definitiv unwirksam, und zwar völlig unabhängig vom EuGH-Urteil. Fehlt es aber an einer Honorarvereinbarung, dann gilt nur das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). § 632 BGB regelt für den Fall einer gänzlich fehlenden oder wie hier unwirksamen Honorarvereinbarung, dass der Auftragnehmer Anspruch auf die „übliche“ Vergütung habe. Und „üblich“ sei nun einmal – so das LG Hamburg – jedenfalls derzeit (2019) immer noch die Abrechnung nach HOAI-Mindestsatz – und das ganz unabhängig davon, dass die Verbindlichkeit der HOAI-Mindestsätze für europarechtswidrig erklärt wurde. Deswegen hat der auf sein Honorar klagende Architekt in dem entschiedenen Fall das Mindestsatzhonorar zugesprochen bekommen. Im Urteil heißt es ausdrücklich, dass es auf die Europarechtswidrigkeit gar nicht ankomme.
Diese Lösung funktioniert aber wie gesagt nur in den Fällen, in denen die Honorarvereinbarung formale Mängel hat und wohl auch da, wo es gar keine Vereinbarung gab.
Dr. Sebastian Schattenfroh ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Justiziar der Brandenburgischen Architektenkammer und des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten
Weitere wichtige Informationen rund um das Urteil des EuGH finden Sie hier
sowie auf der Seite der BAK, dort auch das Urteil im Original
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