Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Nach Widerruf: Honorarverlust trotz Leistung“ im Deutschen Architektenblatt 05.2024 erschienen.
Von Sinah Marx
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stärkt das ohnehin schon starke Verbraucherschutzrecht (Urteil vom 17. Mai 2023, Az.: Rs. C-97/22). Dieses besteht aus einer Vielzahl von Regelungen und soll unerfahrene Teilnehmer am Geschäftsleben, also „Nicht-Profis“, zum Beispiel davor schützen, übereilte und unüberlegte Entscheidungen zu treffen. Dabei hat das Verbraucherschutzrecht ein Bild von Verbrauchern, das diesen wenig zutraut. Ein Bestandteil des europäischen Verbraucherrechts ist die sogenannte Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011), die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in deutsches Recht umgesetzt wurde.
Wer ist Verbraucher?
Verbraucher ist nach dem BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.
Diese Personen können Verträge widerrufen, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen wurden, also im Falle von Planungsbüros alle Verträge, die nicht beim Architekten, sondern zum Beispiel auf einer Baustelle, in einem Restaurant oder bei dem Verbraucherbauherrn zu Hause abgeschlossen wurden. Außerdem muss der Architekt einen Verbraucher vor Vertragsschluss über eine Vielzahl von Dingen informieren. Architekten selbst sind in der Ausübung ihres Berufs keine Verbraucher.
Widerrufsrecht für Verbraucher
Widerruft ein Verbraucher den Vertrag, muss er Leistungen, die er erhalten hat, nicht vergüten. Ein Widerruf ist grundsätzlich nur bis zu 14 Tage nach dem Vertragsschluss möglich – allerdings gilt diese relativ kurze Frist nur dann, wenn der Auftraggeber den Vertragspartner, der Verbraucher ist, vor Vertragsschluss über dieses Widerrufsrecht und seine Details aufgeklärt hat. Informiert er den Verbraucher bei einem außerhalb seiner Geschäftsräume geschlossenen Vertrag nicht über das Widerrufsrecht, besteht dieses sogar zwölf Monate und 14 Tage (für weitere Informationen siehe auch DAB 05.2019, „Vorsicht mit Verbrauchern“).
Leistung erbracht, dann Widerruf
Der Fall, über den der EuGH kürzlich entschieden hat, handelt von einem Bauunternehmen, lässt sich aber auch auf ein Architekturbüro übertragen. Ein Bauunternehmen und ein Verbraucher hatten mündlich und außerhalb der Geschäftsräume einen Vertrag über die Erbringung von Elektroinstallationen geschlossen. Der Bauunternehmer hatte den Verbraucher dabei nicht über sein Widerrufsrecht informiert, führte die Leistungen aber vollständig aus. Anstatt die Rechnung zu begleichen, widerrief der Verbraucher den Vertrag und zahlte nichts.
Das Bauunternehmen erhob daraufhin Klage auf Vergütung seiner Leistungen und berief sich darauf, dass der Ausschluss seines kompletten Zahlungsanspruchs aufgrund der Verletzung der ihm obliegenden Informationspflicht eine „unverhältnismäßige Sanktion“ darstelle. Das sei ein Verstoß gegen den 57. Erwägungsgrund der Verbraucherrechterichtlinie, wonach die EU-Mitgliedstaaten Sanktionen für Verstöße gegen die Verbraucherrechterichtlinie festlegen müssen, die zwar wirksam und abschreckend, aber auch verhältnismäßig sein sollen.
Zunächst war ein deutsches Gericht zuständig für die Entscheidung dieses Rechtsstreits. Weil es aber die Auslegung europäischen Rechts für maßgeblich hielt, legte es sinngemäß folgende Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor: Ist jeglicher Anspruch des Unternehmers auf einen irgendwie gearteten „Wertersatz“ auch dann ausgeschlossen, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht erst nach (vollständiger) Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags ausgeübt hat?
Einseitiger Vermögenszuwachs dank Widerruf
Das deutsche Gericht irritierte daran vor allem, dass der Verbraucher einen Vermögenszuwachs erlangt, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Das könne unberechtigt sein. Der EuGH entschied im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens dann aber – bedauerlich, wenn auch wenig überraschend –, dass ein Verbraucher, wenn er vorvertraglich nicht ausreichend über sein Widerrufsrecht informiert wurde, nicht verpflichtet sei, die erbrachten Leistungen des Unternehmers zu vergüten oder diesem Ersatz für das Erlangte zu gewähren.
Das gelte auch dann, wenn die Leistungen vor dem Widerruf schon vollständig erfüllt wurden. Der dadurch eintretende einseitige Vermögenszuwachs des Verbrauchers widerspreche nicht dem Grundsatz des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung. Vielmehr sei ein möglichst starkes, europaweit einheitliches Verbraucherschutzrecht ausdrücklich gewollt.
Praxishinweis: Besser im Büro als im „Fernabsatz“
Das Urteil verdeutlicht nochmals, dass bei Vertragsschlüssen mit Verbrauchern besondere Vorsicht geboten ist. Um zu verhindern, dass man als Unternehmer, also als Architekt, infolge eines Widerrufs trotz Leistung kein Geld sieht, sollte man Verträge bestenfalls im eigenen Architekturbüro schließen.
Eine Alternative dazu könnte das Hin- und Herschicken oder -mailen des Vertrags sein. Allerdings muss der Unternehmer hierbei aufpassen, dass er nicht in eine weitere „Widerrufsfalle“ tappt: Bei einem sogenannten Fernabsatzgeschäft steht Verbrauchern nämlich ebenfalls ein Widerrufsrecht zu.
Architektenvertrag per Fernabsatz
Ein Fernabsatzgeschäft kann vorliegen, wenn der Unternehmer (oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person) und ein Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet haben. Wenn der Unternehmer aber für den Vertragsschluss kein extra für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem, sondern den Post- oder E-Mail-Weg verwendet, ist kein Fernabsatzgeschäft anzunehmen.
Bei Architekten kommen solche Vertriebssysteme erfahrungsgemäß selten vor. Ein aktueller Fall, den das Landgericht Frankfurt am Main kürzlich zu entscheiden hatte, zeigt aber, dass auch Architekturbüros betroffen sein können. Er veranschaulicht, was ein solches System sein kann: Ein Architekturbüro hatte auf seiner Internetseite folgendes Angebot formuliert: „Sie kontaktieren das Team von ### über die Website oder telefonisch. Mithilfe Ihrer ersten Angaben können wir einschätzen, welcher unserer Partnerarchitekten für Sie infrage kommt. (….) Bei einem Telefongespräch oder Videocall lernen Sie den vorgeschlagenen Architekten oder Fachplaner persönlich kennen.“
Daran las das Gericht ab, „dass das Geschäftsmodell der Beklagten geradezu auf den Abschluss der Verträge per Fernkommunikationsmittel ausgerichtet“ sei und bestätigte, dass der auftraggebende Verbraucher ein Widerrufsrecht habe (Urteil vom 26. Juni 2023, Az.: 2-26 O 144/22). Von diesem Recht hatte der Verbraucher Gebrauch gemacht und den Widerruf erklärt, nachdem das Architekturbüro bereits Leistungen erbracht hatte, die zum Teil als Abschläge auch schon bezahlt worden waren.
Infolgedessen mussten die Architekten dem Verbraucher 23.102,13 Euro nebst Zinsen zurückzahlen und konnten weitere gut 11.000 Euro nicht mehr verlangen. Und das alles trotz erbrachter Leistung!
Honorarverlust vorbeugen!
Bei einem Vertragsschluss per E-Mail sollte also immer darauf geachtet werden, dass möglichst nicht ausschließlich Fernkommunikationsmittel Verwendung finden, vor allem aber keine Vertriebs- oder Dienstleistungssysteme zum Einsatz kommen.
Sollte der Vertragsschluss trotz aller oben stehenden Warnrufe beim Auftraggeber, auf der Baustelle oder sonst außerhalb der Büroräume des Architekten erfolgen oder unter Verwendung eines Vertriebs- oder Dienstleistungssystems, sind dringend die gesetzlichen (vorvertraglichen) Informationspflichten über das Widerrufsrecht belegbar einzuhalten.
Formulierungshilfen zum Widerrufsrecht
Die Kammern halten Informationsmaterialien über die Regelungen zum Verbraucherschutz bereit. Die Unterlagen beantworten die wichtigsten Fragen, helfen beim Erfüllen aller vorvertraglichen Informationspflichten und geben praktische Formulierungshilfen an die Hand: zum Beispiel das Formular zur Belehrung über das Widerrufsrecht. Das Material erhalten Sie auf der Website Ihrer Architektenkammer oder auf Anfrage dort.
Sinah Marx ist stellvertretende Justiziarin und stellvertretende Geschäftsführerin bei der Hamburgischen Architektenkammer. Sie leitet die Redaktionsgruppe Recht beim DAB
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