Von Werner Seifert
Eine Durchführung von Baumaßnahmen ohne Nachtragsangebote der Unternehmer (z. B. nach § 2 VOB/B) gibt es heute kaum noch. Gehen Nachtragsangebote bei einem Bauherrn ein, reicht er diese im Allgemeinen mit der Bitte um Prüfung an seinen Architekten weiter. Insbesondere öffentliche Auftraggeber fordern bei Nachtragsangeboten der Unternehmer die Vorlage von entsprechenden Kalkulationsblättern. Auf dieser Grundlage ist dann die Prüfung der Nachtragsangebote vorzunehmen. Diese sollen differenziert nach Stoff- und Lohnkosten überprüft werden. Vielfach sollen Architekten dabei auch feststellen, ob die Zuschläge für Lohnneben- und Lohnzusatzkosten sowie die kalkulatorischen Basiswerte für Baustellengemeinkosten, allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis- und Gewinnanteil stimmen.
Neben der sachlichen Prüfung sollen Architekten den Unternehmern mitunter auch vermitteln, welche „Formvorlagen“ der Bauherr wünscht und deren Einhaltungen bewirken. Umstritten ist jedoch, ob eine solche detaillierte Überprüfung von Nachtragsangeboten Teil der Grundleistungen nach der HOAI ist oder zu den Besonderen Leistungen gehört. Die folgende Analyse kommt zu dem Schluss: Es handelt sich um eine Besondere Leistung, für die das Honorar frei vereinbart werden kann.
Definition von Grundleistungen und Besonderen Leistungen
Bei der Abgrenzungsfrage von Grundleistungen und Besonderen Leistungen i.S. von Anlage 11 der HOAI 2009 müssen zunächst die jeweiligen Definitionen beachtet werden. Leistungen (ehemals „Grundleistungen“) sind nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der HOAI 2009 wie folgt definiert:
„Leistungen, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags im Allgemeinen erforderlich sind, sind in Leistungsbildern erfasst.“
Besondere Leistungen sind nach § 3 Abs. 3 der HOAI 2009 wie folgt definiert:
„Besondere Leistungen sind in der Anlage 2 aufgeführt, die Aufzählung ist nicht abschließend. Die Honorare für Besondere Leistungen können frei vereinbart werden.“
Abschließende Aufzählung von Grundleistungen bzw. Leistungen
Bei der Abgrenzungsfrage, ob eine bestimmte Tätigkeit des Architekten von den Grundleistungen des Anlage 11 HOAI erfasst ist, ist zunächst festzuhalten, dass die Grundleistungen der HOAI nach absolut herrschender Meinung als abschließend aufgezählt anzusehen sind. Das gilt auch für die Neufassung der HOAI. Denn für ein preisrechtlich bestimmtes Honorar muss es als Äquivalenz auch einen abgegrenzten Leistungsumfang geben. Andernfalls wäre das Preisrecht in der Frage unbestimmt, was mit einem bestimmten Honorar bezahlt werden soll.
Grundleistungen und Besondere Leistungen sind darüber hinaus systematisch strikt voneinander zu trennen. Grundleistungen können niemals Besondere Leistungen werden. Grundleistungen und Besondere Leistungen schließen sich nach der Definition des § 2 Abs. 2 und Abs. 3 der früheren HOAI begrifflich aus. Daran hat sich auch mit der Neufassung der HOAI nichts geändert.
Einordnung der Leistung
„Prüfen von Nachtragsangeboten“
Aufgrund des Umstandes, dass ein Unternehmer bereits mit Bauleistungen beauftragt ist, diese bereits vielfach auch schon ausgeführt werden und das Nachtragsangebot in einem solchen Kontext erstellt wird, gehen die Beteiligten oft davon aus, dass die Behandlung von Nachtragsangeboten der Leistungsphase 8, also der Objektüberwachung zuzuordnen sei. Die Leistungsphase 8 enthält aber keine Grundleistung, die auch nur annähernd eine Nachtragsbehandlung implizieren könnte.
Im Rahmen von Grundleistungen könnte die Prüfung von Nachtragsangeboten also allenfalls Gegenstand der Leistungsphase 7, Mitwirken bei der Vergabe, sein. Dort kommt folgende Leistung in Betracht: „Prüfen und Werten der Angebote einschließlich Aufstellen eines Preisspiegels nach Teilleistungen“
Man könnte zu dem Schluss kommen, Nachtragsangebote seien letztlich auch nur Angebote, die im Rahmen dieser Grundleistung bzw. Leistung in der Leistungsphase 7 zu prüfen und zu werten seien. Nach dem HOAI-Kommentar von Locher/Koeble/Frik geht es bei dieser Grundleistung um folgende Leistungsinhalte: „Das Prüfen der Angebote umfasst die Kontrolle auf Vollständigkeit, richtiges Ausfüllen der Angebote und ihren rechnerischen Inhalt. Die Wertung der Angebote bezieht sich in erster Linie auf die Einzelpreise, ihre Vergleichbarkeit mit anderen Angeboten und sonstige Preisansätze, wobei festzustellen ist, ob diese in einem vernünftigen und günstigen Verhältnis zur geforderten Leistung stehen.“ (Locher/Koeble/Frik 9. Aufl., § 15 Rdn. 160 bzw. 10. Aufl., § 3 Rdn. 192)
Diese Angebotsprüfung ist allerdings eine Grundleistung und muss in einem engen Gesamtzusammenhang mit den anderen, davor und danach liegenden Grundleistungen sowie der davor liegenden Leistungsphase 6 (Vorbereitung der Vergabe) gesehen werden: In der Leistungsphase 6 werden Leistungsbeschreibungen formuliert und Mengen ermittelt. In der Leistungsphase 7 werden auf dieser Grundlage dann die Verdingungsunterlagen (Vergabeunterlagen) zusammengestellt und Angebote eingeholt. Liegen die Angebote vor, erfolgt deren Prüfung durch den Architekten, mit Aufstellung eines Preisspiegels.
Gegenstand einer solchen Prüfung sind aber gerade nicht die Unterlagen einer „Urkalkulation“ des Unternehmers. Diese liegt dem Auftraggeber mit dem Angebot auch nicht vor. Der Unternehmer wäre zu deren Vorlage auch kaum verpflichtet.
Festzuhalten ist also, dass als Grundleistung in der Leistungsphase 7 gerade nicht die Überprüfung der Urkalkulation des Unternehmers bezahlt wird, sondern nur die Überprüfung des Angebots, das der Unternehmer auf der Basis des vom Architekten erstellten Leistungsverzeichnisses unterbreitet. Die Prüfungsergebnisse zu den verschiedenen Unternehmerangeboten sind als Grundleistung in der Leistungsphase 7 zu werten und über einen Preisspiegel miteinander zu vergleichen.
Demgegenüber und ergänzend ist bei Anlage 2 Abschnitt 2.6.7 HOAI ausdrücklich folgende Besondere Leistungen bestimmt: „Aufstellen, Prüfen und Werten von Preisspiegeln nach besonderen Anforderungen“
Im Sinne von § 2 Abs. 3 der alten HOAI handelt es sich dabei um eine Besondere Leistung, weil damit „besondere Anforderungen an die Ausführung des Auftrags gestellt werden, die über die allgemeinen Leistungen hinausgehen“. Das gilt auch für die Neufassung der HOAI.
Die Überprüfung von Nachtragsangeboten stellt zweifellos ein Überprüfen „nach besonderen Anforderungen“ dar und gehört daher nicht mehr zu den (in der HOAI abschließend aufgezählten) Grundleistungen. Sie geschieht z.B. nach bestimmten Kalkulationsblättern mit differenzierten Untersuchungen nach Stoff- und Lohnkosten, unter Berücksichtigung von Lohnneben- und Lohnzusatzkosten sowie den kalkulatorischen Basiswerten für Baustellengemeinkosten, allgemeine Geschäftskosten usw. und schließlich als eine kalkulatorische Untersuchung der Nachtragsangebote nach Wagnis- und Gewinnanteil. Bei einer solchen differenzierten Überprüfung geht es im Grunde also nicht um die Prüfung eines Unternehmerangebots, sondern um die Überprüfung der Baupreiskalkulation eines Unternehmers. Eine solche Überprüfung ist im Sinne der HOAI eine Besondere Leistung, die über die Grundleistungen bzw. Leistungen deutlich hinausgeht.
Überprüfung von Baupreisen als Sachverständigentätigkeit
Dass es dabei auch inhaltlich um eine hochqualifizierte Tätigkeit geht, ist schon daran erkennbar, dass es sich um ein Spezialgebiet von Sachverständigen handelt. Denn eine derartige Überprüfung ist eine baubetriebliche Leistung, die von Sachverständigen erbracht wird, die von einer Bestellungskörperschaft (z.B. von einer Kammer) aufgrund ihrer besonderen Sachkunde für „Baupreisfragen“, „Baupreisermittlung“, „Abrechnung im Hochbau“ usw. öffentlich bestellt und vereidigt sind. Dafür bedarf es auch einer entsprechenden baubetrieblichen Ausbildung und einer besonderen Sachkunde auf diesem Fachgebiet.
Fraglich ist auch, ob eine solche baubetriebliche Überprüfung von Nachtragsangeboten über die reguläre Architektenversicherung abgedeckt ist. Ohne besondere Sachkunde in baubetrieblichen Fragen könnte sich ein Architekt jedenfalls einem erheblichen Haftungsrisiko aussetzen, für das er möglicherweise zusätzlichen Versicherungsschutz benötigt.
Honorierung als Besondere Leistung
Hinsichtlich der Abrechnung von Besonderen Leistungen ergibt sich aus der Neufassung des § 3 Abs. 3 Satz 2 HOAI eine wesentliche Änderung gegenüber der bisherigen Fassung der HOAI. Denn mit der HOAI 2009 kann das Honorar für Besondere Leistungen frei vereinbart werden. Einige Voraussetzungen für ein Zusatzhonorar im Sinne der restriktiven Vorschrift des § 5 Abs. 4 der alten HOAI sind entfallen, so dass es jetzt also insbesondere nicht mehr auf eine schriftliche Honorarvereinbarung ankommt. Für den Architekten genügt es, wenn er eine – auch mündliche oder schlüssige – Beauftragung nachweisen kann.
Liegt keine Honorarvereinbarung vor, kann der Architekt im Zweifel die übliche Vergütung verlangen (§ 632 Abs. 2 BGB). Was darunter im Einzelfall zu verstehen ist, wird bei Gericht allerdings durch Sachverständigengutachten zu klären sein. Daher muss jetzt auch der Bauherr ein großes Interesse daran haben, möglichst scharfe vertragliche Vereinbarungen zu Leistungsumfang und Vergütung von Besonderen Leistungen zu treffen, z.B. bei einer differenzierten Prüfung von Nachtragsangeboten.
Sonderfall: Grundleistungshonorar für den separaten Objektüberwacher
Gerade bei mittleren und größeren Baumaßnahmen beauftragen Bauherrn gelegentlich unterschiedliche Büros mit Architekten- bzw. Ingenieurleistungen: zum einen ein Büro mit der Ausschreibung und Vergabe (Leistungsphasen 6 und 7) und zum andern ein zweites Büro mit der Objektüberwachung (Leistungsphase 8).
Eine Abgrenzung der Frage, in welche Leistungsphase eine Überprüfung von Nachtragangeboten systematisch gehört, ist vor allem dann von großer Bedeutung, wenn es nicht um komplexe Untersuchungen von so genannten „Urkalkulationen“ und dgl. geht, weil dann jeder Beteiligte ein besonderes Honorar vereinbaren bzw. verlangen kann. Soweit aber eine „einfache“ Überprüfung eines Nachtragsangebots (noch) als Grundleistung nach der HOAI einzuordnen ist, ergeben sich erhebliche Honorarunterschiede, je nachdem, welchem der beteiligten Architekten der Auftrag für die Prüfung von Nachtragsangeboten übertragen wird, auch und gerade wenn eine solche Tätigkeit dann mit dem Grundleistungshonorar als abgegolten angesehen werden kann. Wird dem isoliert mit der Leistungsphase 8 beauftragten Architekt die Aufgabe übertragen, die Nachtragsangebote der Unternehmer „einfach“ zu überprüfen, erhält er einen Zusatzauftrag mit Grundleistungen der Leistungsphase 7.
Werner Seifert ist Architekt und Honorarsachverständiger in Würzburg.
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