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Neues zum Nachbarschutz

Aktuelle Urteile zu Flüchtlingsunterkünften, Verschattung, Kleinvieh und einem Therapiezentrum.

01.12.20169 Min. Kommentar schreiben

Von Hubertus Schulte Beerbühl

Flüchtlingsunterkunft im Wohngebiet: mobil ja, dauerhaft nicht

Kaum eine Nutzungsart beschäftigt die Verwaltungsgerichte in baunachbarrechtlichen Streitigkeiten derzeit so stark wie Unterkünfte für Asylbewerber und Flüchtlinge. Dabei geht die Rechtsprechung inzwischen einhellig davon aus, dass die Nutzung der Grundstücke für diesen Zweck nicht „Wohnen“ ist, sondern die Gebäude „Anlagen für soziale Zwecke“ darstellen. Maßgeblich hierfür ist der Umstand, dass die Nutzer dort nicht ihren Lebensmittelpunkt begründen und sich zudem aufgrund einer behördlichen Zuweisung dort aufhalten. In einem reinen Wohngebiet kann die Unterbringung einer solchen Nutzung als Ausnahme zugelassen werden, sofern der Gebietscharakter erhalten bleibt. Mit § 246 Abs. 11 BauGB hat der Gesetzgeber diese ausnahmsweise Zulassungsmöglichkeit vorübergehend erweitert, indem er bestimmt, dass – unter weiteren Voraussetzungen – dort bis zum 31. Dezember 2019 Aufnahmeeinrichtungen in der Regel zugelassen werden sollen. Das war in dem vom OVG Hamburg entschiedenen Fall allerdings rechtlich zweifelhaft. Denn nach Verwirklichung des Vorhabens würden zwei Drittel der Fläche des Baugebiets nicht mehr dem allgemein zulässigen Wohnen in Wohngebäuden dienen, sondern der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Dann würde die Ausnahme den Gebietscharakter prägen, was unzulässig ist. Deshalb sah das Gericht die Voraussetzungen für eine Ausnahme als nicht gegeben an. Dennoch konnte der Nachbar aus dem Wohngebiet das Vorhaben nicht abwehren. Denn die Behörde hatte eine rechtmäßige Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB erteilt. Danach kann unter anderem bis zum 31. Dezember 2019 für die Errichtung mobiler Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Um eine solche mobile Unterkunft, deren charakteristisches Merkmal die Wiederverwendbarkeit an anderer Stelle nach einem Rückbau ist, handelte es sich hier. Ob die Befreiung den Grundzügen der Planung zuwider lief, war unerheblich, weil der Gesetzgeber mit der Bestimmung eine Sonderregelung zur erleichterten Zulassung solcher Vorhaben schaffen wollte.

OVG Hamburg, Beschluss vom 14.4.2016 (Az. 2 BS 29/16)

Zu viel Kleinvieh für ein Wohngebiet

In festgesetzten und faktischen Baugebieten sind Nebenanlagen für Kleintierhaltung (einschließlich der Kleintiererhaltungszucht) nur dann zulässig, wenn sie untergeordnet sind, dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und seiner Eigenart nicht widersprechen und nicht im Bebauungsplan die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt oder ausgeschlossen worden ist (§ 14 Baunutzungsverordnung). Ob eine Nutzung untergeordnet ist, kann sich unter anderem aus einem Vergleich der Grundflächen von Nebenanlage und Hauptnutzung ergeben. In dem vom OVG Münster entschiedenen Fall betrugen die Grundfläche des Hundehauses und der Vogelvoliere insgesamt etwa 85 Quadratmeter und damit deutlich mehr als die Hälfte der Grundfläche des Wohnhauses (130 Quadratmeter). Das war erheblich zu viel, als dass noch von einer Unterordnung der Nebenanlage gesprochen werden könnte. Der VGH München bestätigte mit seinem Beschluss die Untersagung der Nutzung eines Grundstücks „zur Haltung von mehr als 40 Stück Geflügel“ in einem allgemeinen Wohngebiet , wo jemand 120 Stück hielt. Da allgemeine Wohngebiete vorwiegend dem Wohnen dienten, sei die freizeitgemäße Kleintierhaltung nur in einem den Wohnbedürfnissen gerecht werdenden Umfang gebietsverträglich. Die Haltung von Kleintieren (auch) im Freien und die damit einhergehenden Geruchs- und Geräuschbelästigungen könnten dem Interesse an einem möglichst störungsfreien Wohnen zuwiderlaufen. Die Haltung von Geflügel im Wohngebiet habe sich auf wenige Stück zu beschränken.

OVG Münster, Beschluss vom 17.12.2015 (Az. 10 B 1150/15), VGH München, Beschluss vom 28.4.2016 (Az. 9 CS 15.2118).

Nachbarschutz greift, wenn vom B-Plan gewollt

Die in einem Bebauungsplan getroffene Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung hat generell nachbarschützenden Charakter. Deshalb ist ein Nachbar innerhalb des Baugebiets bei einem Verstoß stets in seinen subjektiven Rechten verletzt. Dagegen kann er nicht die Verletzung von subjektiven Rechten geltend machen, wenn eine Baugenehmigung sonstige Vorschriften des Bebauungsplans missachtet – etwa das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise, die überbaubare Grundfläche oder eine Gestaltungsvorschrift. Denn diese Festsetzungen haben, so die ständige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, keinen nachbarschützenden Charakter; in diesen Fällen hilft dem Nachbarn nur das relativ stumpfe Schwert des Rücksichtnahmegebotes.

Etwas anderes ist allerdings dann anzunehmen, wenn diesen Festsetzungen gewissermaßen eine nachbarschützende Wirkung verliehen worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht Köln in einer Entscheidung zur Festsetzung der höchstzulässigen Zahl der Vollgeschosse bejaht. In der Planbegründung zu dem betroffenen Bereich, der schon zuvor von massiver Bebauung umgeben war, hatte der Satzungsgeber ausgeführt, weitergehende bauliche Verdichtungen, insbesondere in den Bereichen angrenzend an die Straßenräume, seien nicht mehr tragbar und nicht vereinbar mit den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Daraus werde, so das Gericht, deutlich, dass der Satzungsgeber die Nachbarn des Vorhabengrundstücks im Blick hatte, in deren Interesse die ausgewiesene Fläche mit ihren Freiräumen erhalten bleiben sollte.

Auch der VGH München nahm bei einer Festsetzung von eingeschossigen Flachdach-Wohnhäusern einen nachbarschützenden Charakter an: Im Rahmen des Aufstellungsverfahrens hatte der Erste Bürgermeister einem Einwender geschrieben, mit Rücksicht auf die Geländeform könne eine andere Bebauung nicht zugelassen werden; insbesondere dürfe der Ausblick in das Wertachtal und in Richtung auf die Nachbarstadt nicht durch Dachaufbauten genommen werden. Zweigeschossigen Wohnhäusern mit Dachaufbauten könne daher nicht zugestimmt werden. Daran hielt man sich, und die Praxis wurde, wie das Münchener Gericht formulierte, seit mittlerweile mehr als vier Jahrzehnten zu einer „gelebten Überzeugung“. Ein Verstoß dagegen verletze den Nachbarn in dessen Eigentumsrecht.

VG Köln, Urteil vom 25.8.2015 (Az. 2 K 6969/14), VGH München, Urteil vom 24.11.2015 (Az. 15 B 13.2414)

Bauprojekt senkt Nachbar-Umsatz? Rücksicht nicht geboten

Wollen Nachbarn ein störendes Vorhaben verhindern, versuchen sie oftmals, vor Gericht das allgemeine Rücksichtnahmegebot als eine Art letzter Rettungsanker einzusetzen. Soweit sie aber geltend machen, die Verwirklichung des Vorhabens werde zu einem Umsatzrückgang bei dem eigenen Betrieb führen, ist dies kein berücksichtigungsfähiger Belang und das Vorhaben nicht aus diesem Grund baurechtlich rücksichtslos. In dem vom VGH München entschiedenen Fall ging es um ein Therapiezentrum, das chronisch, krebs- und schwerstkranken Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie deren Familien Unterstützung anbieten soll. Dagegen klagte eine Nachbarin, die im Außenbereich eine Hotel- und Gaststättennutzung ausübte. Für eine unzumutbare Belastung der Klägerin bestanden aber nach Ansicht des Gerichts keine konkreten Anhaltspunkte.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt dem Gebot der Rücksichtnahme drittschützende Wirkung nur zu, „soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“. Rücksicht zu nehmen ist indes nur auf solche Individualinteressen, die wehrfähig sind, weil sie nach der gesetzgeberischen Wertung, die im materiellen Recht ihren Niederschlag gefunden hat, schützenswert sind. Der jeweils betroffene Nachbar kann sich dabei nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht.

Nicht schutzwürdig in diesem Sinn ist das Interesse eines Grundeigentümers an der Erhaltung einer gegebenen Situation, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht. Wenn sich die Nachbarbebauung negativ auf den Wert der umliegenden Bebauung auswirkt, etwa weil ihr Hinzukommen die Attraktivität eines bestehenden Betriebs und damit dessen Umsatzerwartungen schmälert – wie die Klägerin behauptet hatte – gilt nichts anderes. Da jede – auch eine legale – Nachbarbebauung den Wert der umliegenden Grundstücke beeinflussen kann, kommt einer Wertminderung allenfalls eine Indizwirkung für die Interessenabwägung zu. Ein Abwehranspruch folgt daraus aber nur, wenn die Wertminderung die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks ist. Davon war in diesem Fall nichts erkennbar.

VGH München, Beschluss vom 14.10.2015 (Az. 15 ZB 14.1037)

Schutzanspruch nur im eigenen Baugebiet

Kann die Eigentümerin eines Grundstücks sich dagegen wehren, dass in einem benachbarten Baugebiet ein Vorhaben zugelassen wird, das der Art der baulichen Nutzung nach dort nicht zugelassen werden kann? In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Eigentümer von Grundstücken innerhalb desselben Baugebiets einen Anspruch darauf haben, dass in ihrem Gebiet keine Nutzungen ausgeübt werden, die nach der Baunutzungsverordnung dort nicht zulässig sind und auch nicht als Ausnahme oder im Wege einer Befreiung zugelassen werden können. Dasselbe gilt für ein faktisches Baugebiet, das aufgrund des Vorhandenen den Charakter eines Baugebiets nach der Baunutzungsverordnung hat. Dieser sogenannte Gebietserhaltungsanspruch (oder Gebietsbewahrungs- oder Gebietsgewährleistungsanspruch) ist unabhängig von tatsächlichen und spürbaren Beeinträchtigungen; bereits die materielle Rechtswidrigkeit führt zu einem subjektiven Abwehrrecht. Der Anspruch besteht aber, wie der VGH Baden-Württemberg nun betont hat, nicht baugebietsübergreifend, das heißt, wenn das Grundstück des Betroffenen und die störende Nutzung nicht im selben Baugebiet liegen. Auch die Zugehörigkeit zum selben Bebauungsplan verleiht dieses Abwehrrecht im Falle einer rechtswidrigen Genehmigung nicht, wenn die festgesetzten Baugebiete andere sind. Dies hat das Gericht sogar für zwei Sondergebiete im selben Bebauungsplan entschieden. Denn Bauherr und Nachbar seien „durch die Lage ihrer Anwesen nicht zu einer Gemeinschaft verbunden, bei jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist“. Ihre Rechte und Pflichten, bezogen auf die Art der baulichen Nutzung, unterschieden sich nämlich deutlich.

Im Sondergebiet 1, in dem das Grundstück der Klägerin liegt, sind zulässig: „Kliniken, Sanatorien u. ä. einschl. aller dazugehörenden Nebenanlagen, Personalwohnungen bzw. -häuser, Stallungen, Therapie-Reithalle einschl. aller dazugehörenden Nebenanlagen, die erforderlichen Parkplätze bzw. Tiefgaragen“. Im Sondergebiet 2, in dem das Vorhabengrundstück liegt, ist dagegen eine gänzlich andere Art der baulichen Nutzung allgemein ­zulässig, nämlich „Einrichtungen für den Fremdenverkehr wie Gästezimmer, Ferienwohnungen u. a. einschl. aller dazugehörenden Nebeneinrichtungen, Schank- und Speisewirtschaften“. Ausnahmsweise zulässig sind: „Wohngebäude, private Krankenanstalt, Kurklinik u. ä. einschl. dazugehörenden Nebeneinrichtungen“. Ein Abwehrrecht gegen eine materiell illegale Genehmigung einer unzulässigen Art der baulichen Nutzung im Sondergebiet 2 steht wegen der unterschiedlichen Rechte und Duldungspflichten der Klägerin nicht zu.

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.6.2016 (Az. 5 S 634/16)

Dr. Hubertus Schulte Beerbühl ist Richter am Verwaltungsgericht Münster.

 

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