Hans Christian Schwenker
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 24. Juli 2008 (VII ZR 55/07) entschieden, dass die einzelnen Klauseln der VOB/B bei der Verwendung gegenüber Verbrauchern auch dann einer sogenannten Inhaltskontrolle unterliegen, wenn sie als Ganzes vereinbart ist. Inhaltskontrolle bedeutet: Einzelne Klauseln können von Gerichten für unwirksam erklärt werden, wenn sie den Vertragspartner unangemessen benachteiligen.
Ist der Vertragspartner ein so genannter „Verbraucher“ (typischerweise: Der Bauherr eines selbst genutzten Einfamilienhauses), sind zahlreiche Regelungen der VOB/B nach diesem Urteil rechtlich unakzeptabel. Die Bedeutung dieser Entscheidung kann nur erfasst werden, wenn man sich einige grundlegende Punkte vor Augen hält:
1. VOB/B als AGB
Die VOB/B ist keine Rechtsnorm, sondern eine Allgemeine Geschäftsbedingung. Ihre Geltung für den Bauvertrag muss daher in jedem Einzelfall vereinbart werden. Ferner unterliegt die VOB/B wie jede AGB der richterlichen Inhaltskontrolle. Diese soll verhindern, dass der Verwender von AGB einseitig auf Kosten seines Vertragspartners seine Interessen durchsetzt. Stellt ein Richter fest, dass dies der Fall ist, erklärt er die AGB für unwirksam. Stattdessen gilt die entsprechende gesetzliche Regelung. Auf die Unwirksamkeit einer AGB-Klausel kann sich aber immer nur der Vertragspartner des Verwenders berufen. Letzterer selbst muss sich an unwirksamen Klauseln festhalten lassen.
Üblicherweise werden die AGB von einer Vertragspartei gestaltet und der anderen gestellt. Die Besonderheit der VOB/B besteht darin, dass diese von einem Gremium entwickelt und fortgebildet wird, in dem sowohl Vertreter von Auftraggebern als auch von Auftragnehmern vertreten sind, dem Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss (DAV). Deshalb setzt die VOB/B nicht einseitig Auftraggeber- oder Auftragnehmerinteressen durch. Vielmehr nimmt sie für sich in Anspruch, ausgewogen zu sein, sofern sie als Ganzes vereinbart wird.
2. Privilegierung der VOB/B
Dies hat den Gesetzgeber bewogen, für die VOB/B eine Sonderregelung vorzusehen, als 1976 erstmals das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch ein Gesetz (AGBG) geregelt wurde. Unter der Überschrift „Sachlicher Anwendungsbereich“ sah § 23 Abs. 2
Nr. 5 vor, dass zwei dort genannte Vorschrif-ten des AGBG keine Anwendung finden „für Leistungen, für die die Verdingungsordnung
für Bauleistungen (VOB) Vertragsgrundlage
ist“. Aufgeführt waren die formularmäßigen Verkürzungen von Gewährleistungsfristen und fiktive Erklärungen. Durch diese Ausnahme waren die kürzere Verjährungsfrist der VOB/B
(§ 13 Nr. 4 VOB/B) und die fiktive Abnahme
(§ 12 Nr. 5 VOB/B) weiter zulässig.
Die Rechtsprechung hat in der Folge die Regelung im AGBG dahin verstanden, dass sämtliche Klauseln der VOB/B von der Inhaltskontrolle ausgeschlossen sein sollten, sofern die VOB/B als Ganzes vereinbart wird (sog. Privilegierung). Damit hat sie zum einen die Ausnahmeregelung des AGBG ausgedehnt und zum anderen eingeengt. Die Einengung durch die Privilegierung nur bei Vereinbarung der „VOB/B als Ganzes“ hat der BGH zuletzt sehr streng gesehen. Jede Einschränkung der VOB/B durch Abänderungen oder Erweiterungen führt dazu, dass die VOB/B nicht mehr als Ganzes vereinbart ist.
Mit der Schuldrechtsreform zum 1.1.2002 ist das AGBG in das BGB integriert worden. Der Gesetzgeber hat aber die Vorschrift des AGBG über den Anwendungsbereich nicht übernommen, sondern unmittelbar bei den einschlägigen Klauselverboten – Verkürzung von Verjährungsfristen und Verbot von Fiktionen – geregelt, dass diese nicht für Verträge gelten, „in die Teil B der Verdingungsordnung für Bauleis tungen insgesamt einbezogen ist“. Ob damit die VOB/B weiter privilegiert sein sollte, war seitdem Gegenstand intensiver Diskussionen.
3. Verbraucherverträge
Die überwiegende Meinung ging dahin, dass jedenfalls für Verbraucherverträge von einer Privilegierung der VOB/B auch bei Vereinbarung „als Ganzes“ nicht mehr ausgegangen werden könne, zumal die europäische Klauselrichtlinie eine Privilegierung nicht vorsieht.
Um dies zu klären, haben Verbraucherschützer ein Unterlassungsklageverfahren eingeleitet. Sie verlangten vom DVA, mehrere in der VOB/B enthaltene Klauseln nicht mehr zur Verwendung gegenüber Verbrauchern zu empfehlen. Nachdem die Vorinstanzen von einer weiteren Privilegierung der VOB/B auch in Verbraucherverträgen ausgegangen waren, hat der BGH nunmehr dieser Auffassung eine Absage erteilt. Er begründet dies damit, dass Verbraucher nicht im DVA vertreten sind und daher ihre Interessen bei der Gestaltung der VOB/B nicht durchsetzen können.
4. Problematische Klauseln
Für eine Vielzahl von Klauseln hatte der BGH bereits in der Vergangenheit festgestellt, dass sie einer Inhaltskontrolle nicht standhalten. Zu diesen Klauseln gehören unter anderem die verkürzte Gewährleistungsfrist sowie die Regelungen über die fiktive Abnahme. Weitere Klauseln sind in Rn. 30 des Urteils nachzulesen.
Allerdings scheidet die isolierte Angreifbarkeit einzelner Klauseln dann aus, wenn die VOB/B insgesamt (d. h. ohne Abweichungen) als Ganzes vereinbart wurde. Der BGH hat aber bislang noch nicht alle in Betracht kommenden Klauseln der VOB/B durchgeprüft, etwa auch nicht das unbegrenzte Änderungsrecht des Auftraggebers nach § 1 Nr. 3 VOB/B.
5. Neue Rechtslage
Die aktuelle Entscheidung des BGH betrifft auch Verträge, die vor dem Bekanntwerden dieser Entscheidung geschlossen worden sind. Zudem wird (voraussichtlich) am 1. Januar 2009 das Forderungssicherungsgesetz in Kraft treten, das für Unternehmerbauverträge eine Inhaltskontrolle ausschließt, sofern die VOB/B „in der jeweils zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist“. Gleichzeitig werden die beiden Ausnahmen von der Inhaltskontrolle bei den Vorschriften über Verjährungsfristverkürzungen und bei fiktiven Erklärungen gestrichen. Für ab 1.1.2009 mit Verbrauchern geschlossene Verträge wird eine vollständige Inhaltskontrolle stattfinden.
6. Konsequenzen für die Beratung
Architekten, die von ihren Bauherren um die Empfehlung von Bauverträgen gebeten werden, stehen vor einem Dilemma. Stellt der Bauherr selbst Vertragsbedingungen, könnte er sich im Einzelfall nicht auf die Unwirksamkeit dieser Klauseln berufen. Der Bauunternehmer allerdings, der diese Klauseln unterzeichnet, könnte sich zu seinen Gunsten auf die Unwirksamkeit einzelner Vertragsbedingungen berufen. Aus Sicht des Bauherrn ist es daher klüger, die vom Bauunternehmer formulierten Vertragsbedingungen entgegenzunehmen und ihnen nicht zu widersprechen. Auf diese Weise erhält der Bauherr die Möglichkeit, sich in einem späteren Streitfall auf die Unwirksamkeit ihn benachteiligender Klauseln zu berufen. Dass er den Bauvertrag selbst unterschrieben hat, spielt dabei aus Rechtsgründen keine Rolle.
Hans Christian Schwenker ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in Celle.
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