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Unter Brüdern

Ein Architekt gewann einen Wettbewerb, in dessen Preisgericht sein Bruder saß. Laut VOF durfte er gar nicht teilnehmen – nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München durfte er doch

30.09.20135 Min. Kommentar schreiben

Text: Axel Plankemann

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts München muss ein Architekt nicht zwangsläufig von der Teilnahme an einem Wettbewerb ausgeschlossen werden, in dem Angehörige von ihm zu den ausgewählten Preisrichtern gehören. Vielmehr müsse der Nachweis möglich sein, dass sich diese Fallkonstellation „nicht auf den Wettbewerb ausgewirkt“ habe (Beschluss vom 11.4.2013, Verg 2/13).

Dem Beschluss lag ein Fall zugrunde, in dem ein Architekt am Wettbewerb teilnahm, obwohl sein Bruder bekanntermaßen im Preisgericht saß. Zwar sind nach § 16 Absatz 2 VOF sowie nach dem wortgleichen § 4 Abs. 2 der RPW 2008 Personen grundsätzlich vom Wettbewerb ausgeschlossen, „die sich durch Angehörige … einen Vorteil oder Einfluss verschaffen können“. Doch der Architekt gab an, ein solches „Teilnahmehindernis“ bestehe für ihn nicht. Im Wettbewerb erhielt er den 1. Preis. Sein jurierender Bruder erfuhr nach eigenen Angaben erst bei der anschließenden Aufhebung der Anonymität, dass sein Bruder gewonnen hatte. Daraufhin wurde der eben noch zum Sieger Gekürte gemäß § 16 Absatz 2 VOF vom weiteren Verfahren ausgeschlossen.

Das focht er an – zunächst erfolglos vor der Vergabekammer Südbayern. Doch das Oberlandesgericht München bestätigte vor Kurzem überraschend die Position des Architekten. Nach Auffassung des Gerichts führt der Umstand, dass der Angehörige eines Wettbewerbteilnehmers zu den ausgewählten Preisrichtern gehört, nicht zwangsläufig dazu, den Teilnehmer vom Verfahren auszuschließen. Vielmehr müsse der Nachweis möglich sein, dass sich diese Fallkonstellation „nicht auf den Wettbewerb ausgewirkt“ habe. Der Teilnehmer und spätere Preisträger sei nicht verpflichtet gewesen, die Teilnahme seines Bruders als Preisrichter zu rügen oder auf eine andere Besetzung des Preisgerichts hinzuwirken. Im ­Übrigen sei er von der Vergabekammer zu Unrecht vom weiteren Verfahren ausgeschlossen worden.

Das Ausschlussgebot des § 16 Abs. 2 VOF ist nach dem Beschluss des OLG München nicht wörtlich zu nehmen, sondern konform zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2005 zur sogenannten „Projektantenproblematik“ auszulegen. Der EuGH hatte entschieden, dass möglicherweise bevorzugte Personen Gelegenheit zum Nachweis erhalten müssen, dass trotzdem keine Beeinträchtigung des Wettbewerbs stattgefunden hat – zum Beispiel weil der Auslober sämtlichen Bewerbern alle einschlägigen Informationen offengelegt und damit den Kenntnisvorsprung des einen ausgeglichen hat.

Klare Regel in der VOF

Darum ging es allerdings in dem Fall gar nicht, der dem OLG München vorlag. Der Sachverhalt einer möglichen Bevorzugung durch Verwandtschaft entspricht vielmehr der Regelung von Befangenheiten und Mitwirkungsverboten aus familiären Gründen in anderen Rechtsbereichen (vgl. z. B. § 20 Verwaltungsverfahrensgesetz). Zu einer Konstellation wie der mit den beiden Brüdern hat sich der Europäische Gerichtshof bislang gar nicht geäußert – und damit auch keinen Anlass für das OLG München gegeben, eine Lösung ausdrücklich gegen den Wortlaut der VOF zu suchen.

§ 16 Abs. 2 Satz 2 VOF ordnet den Ausschluss von Wettbewerbsteilnehmern zwingend an, wenn sich diese durch Angehörige einen entsprechenden Vorteil oder Einfluss bei der Vergabeentscheidung verschaffen „können“. Ob tatsächlich ein wettbewerbswidriges Zusammenwirken im Wettbewerb stattgefunden hat, ist dabei ohne Bedeutung. Bereits die Gefahr einer sachwidrigen Entscheidung kann in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen werden. Letztlich lässt sich der Beweis auch gar nicht führen, ob und in welchem Umfang durch Mitwirkung im Preisgericht (und nicht nur bei der Stimmabgabe) ein Verwandter Einfluss auf die Entscheidung nehmen konnte oder womöglich tatsächlich genommen hat. Deshalb hätte auch der teilnehmende Architekt nach Lektüre der Auslobung und Kenntnisnahme von der Zusammensetzung des Preisgerichts ohne Weiteres davon ausgehen müssen, dass ein gravierendes Teilnahmehindernis im Sinne des § 16 Abs. 2 VOF vorliegt.

Wenig überzeugend ist daher die Argumentation des Gerichts, die Wettbewerbsarbeiten seien anonym präsentiert worden und außerdem hätten beide Brüder glaubhaft bekundet, wegen eines beruflichen Zerwürfnisses keinen größeren privaten Kontakt zu pflegen. Insoweit ebenfalls nicht überzeugend sind die Hinweise auf fehlende Anhaltspunkte in der Vergabeakte, der Entwurf des Bruders sei bevorzugt worden, sowie Hinweise auf die üblichen Versicherungen der Mitglieder des Preisgerichts zur Wahrung der Anonymität. Vielmehr besteht bei Konstellationen der vorliegenden Art regelmäßig die durch Fakten kaum zu widerlegende schwerwiegende Besorgnis einer möglichen Beeinflussung des Auswahlverfahrens. Aus diesen Gründen verlangt § 16 Abs. 5 VOF die Unabhängigkeit des Preisgerichts von den Teilnehmern des Wettbewerbs. Es hätte daher näher gelegen, § 16 Abs. 2 Satz 2 und § 16 Abs. 5 VOF als sich wechselseitig ergänzende Regelungen zu erkennen, um zu der Feststellung zu gelangen, dass das vorliegende Vergabeverfahren den Grundsatz der Chancengleichheit in einem fairen Wettbewerb verletzt.

Fatal für künftige Verfahren

Es ist kaum vorstellbar, dass zum Beispiel bei einem Gerichtsverfahren eine Partei oder ein mit ihr verwandter Richter eine Befangenheit mit der Argumentation in Abrede stellen könnten, sie würden keinen größeren privaten Kontakt pflegen. Auch wenn dies eine andere rechtliche Materie betrifft, ist die Gefahr einer sachwidrigen Beeinflussung in einem auf Neutralität angelegten Entscheidungsprozess im Prinzip vergleichbar. Daher ist die Entscheidung des OLG München nicht nur rechtlich schwer nachvollziehbar, sondern zugleich im Hinblick auf zukünftige Vergabeverfahren fatal.

Axel Plankemann ist Rechtsanwalt in Hannover.

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