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Urheberrecht 21

Das Interesse der Bahn an einer neuen Station ist höher zu bewerten als das Urheberrecht der Architekten-Erben, entschied das Oberlandesgericht Stuttgart

20.12.20104 Min. Kommentar schreiben
Bahnhofs-Nordflügel: Weder Protest noch Urheberrechtsverfahren bremsten den Abriss

Von Michael Göger

Fast zeitgleich mit den politischen Demonstrationen gegen das ­Projekt Stuttgart 21 lief ein Urheberrechtsstreit, den Erben des 1956 verstor­benen Architekten Paul Bonatz angestrengt hatten. Sie scheiterten in zwei Instanzen: Das Landgericht und schließlich das Oberlandesgericht Stuttgart (Urteil vom 6.10.2010, Az: 4 U 106/10) entschieden, dass das Interesse der Bahn an einer neuen Station vorgehe – und dass die Bahn nicht verpflichtet sei, sich um städtebauliche Fragen zu kümmern.

Die Erben sind der Meinung, die geplante Umgestaltung führe zu einer Verstümmelung und Entstellung, das Gesamtbauwerk werde „amputiert“; es verbleibe ein Torso. Sie verklagten die Deutsche Bahn AG daher unter Berufung auf das Urheberrechtsgesetz, insbesondere den Abbruch der Flügelbauten zu unterlassen. Demgegenüber berief sich die Deutsche Bahn auf öffentliche und städtebauliche Allgemeininteressen sowie auf ihre Verpflichtung, eine moderne, sichere und ausreichend dimensionierte Verkehrsinfrastruktur zu errichten. Nachdem die Kläger bereits in erster Instanz vor dem Landgericht Stuttgart gescheitert waren, wies auch das OLG Stuttgart die Klage auf Unterlassung ab.

In den Entscheidungsgründen lässt das Gericht zunächst keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei der Bahnhofshalle um ein bedeutendes Werk der Baukunst handelt. Da der Urheberschutz eines Werkes der Baukunst erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt, können sich auch die Erben von Paul Bonatz darauf berufen, dass die Bahnhofshalle der Mit- und Nachwelt in ihrer unveränderten Gestalt zugänglich gemacht wird. Allerdings gelten die Belange des Urhebers nie absolut, sondern seien stets gegen die Interessen des Eigentümers an einer Veränderung des Werkes abzuwägen. Der Vorrang des einen oder anderen Rechts findet sich erst im Wege der Interessenabwägung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung nimmt das Gericht zu den von der Deutschen Bahn geltend gemachten öffentlichen Interessen eine differenzierende Betrachtungsweise ein: Grundsätzlich bejaht der Senat die Möglichkeit, Allgemeininteressen in die Interessenabwägung einzustellen. Voraussetzung sei ­allerdings immer, dass der Eigentümer selbst unmittelbar rechtlich verpflichtet sei, die jeweiligen öffentlichen Belange zu berücksichtigen. Eine solche Verpflichtung der Beklagten zur Beachtung von städtebaulichen Belangen sieht das Oberlandesgericht bei der Neugestaltung der Bahnhofshalle nicht. Das Gericht führt aus, dass städtebauliche Interessen allenfalls die Landeshauptstadt Stuttgart verfolge, nicht aber die Deutsche Bahn.

Demgegenüber ist nach Auffassung des Gerichts die Schaffung einer modernen und funktionsfähigen Verkehrsinfrastruktur sehr wohl eine originäre Pflicht der Beklagten. Nach den ausdrücklichen Regelungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes hat die Deutsche Bahn die Eisenbahninfrastruktur sicher zu bauen und in einem betriebssicheren Zustand zu erhalten. Diese öffentliche Verpflichtung, die die Deutsche Bahn unmittelbar trifft, ist demnach auch im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Und eben diese Verpflichtung ist es, die nach Auffassung des Gerichts dazu führt, dass den Interessen des Eigentümers trotz der erheblichen Schöpfungshöhe des Bahnhofs vor dem Bestands- und Integritätsinteresse des Urhebers der Vorrang einzuräumen ist. Letztlich, so das OLG, ist der Bahnhof ein Zweck- und Verkehrsbau und der Abriss der Flügelbauten für die konkret geplante Ausführung zwingend erforderlich.

Die vom Gericht vorgenommene Differenzierung zwischen allgemeinen öffentlichen Interessen und öffentlichen Interessen, die den Eigentümer unmittelbar binden, entwickelt die bisherige Rechtsprechung (BGH GRUR 1974, 675 [677] Schulerweiterung) konsequent weiter. Die Entscheidung stellt klar, dass ohne eine entsprechende unmittelbare Verpflichtung des Eigentümers Allgemeininteressen in der Interessenabwägung nicht zu berücksichtigen sind. Auch wenn im vorliegenden Rechtsstreit die Interessen des Architekten schließlich zurückstanden, sind diese vom OLG gesetzten Leitlinien letztlich auch aus Urhebersicht zu begrüßen. Allgemeine öffentliche Belange oder andere abstrakte Interessen Dritter können danach auch nicht gegen Urheber schützenswerter Werke ins Feld geführt werden.

Michael Göger ist Rechtsanwalt in Berlin.

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