Von Tillman Prinz
Immer wieder geschieht es, dass Architekten nach Jahren oder Jahrzehnten an den von ihnen geschaffenen Bauwerken vorbeikommen und erschreckt feststellen, dass diese verändert, verunstaltet oder sogar vollkommen entstellt wurden. Auf damals modernen Flachbauten sitzen jetzt Giebeldächer, bewusst gestaltete Lochfassaden sind riesigen Glasflächen gewichen oder ganze, womöglich sogar prämierte Gebäude sind durch An- und Umbauten kaum noch zu erkennen. Treue Leser des Deutschen Architektenblattes erinnern sich in diesen Fällen schnell daran, dass ihnen als Urheber dieser ursprünglichen Bauwerke doch Rechte zustehen können, denn neben dem Sacheigentum des Gebäudeeigentümers kann auch ein geistiges Eigentum an dem Gebäude für den Architekten bestehen.
Um aber als Urheber einen urheberrechtlichen Anspruch erfolgreich durchzusetzen, müssen zumindest drei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Es handelt sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk, das heißt, es muss sich um ein Bauwerk von herausragender architektonischer Qualität handeln, das sich deutlich von dem alltäglichen Schaffen eines Architekten abhebt (sogenannte Schöpfungs-, Gestaltungs- oder auch Werkhöhe),
- die Urheberrechte sind verletzt, beispielsweise das Recht auf unveränderten Erhalt des Werkes, und
- in der Abwägung sind diese Erhaltungsinteressen des Urhebers höher zu bewerten als die Veränderungsinteressen des Bauwerkeigentümers.
Schutz gegen Veränderung, kein Schutz gegen Vernichtung
In der über hundertjährigen Geschichte des Urheberrechts galt bislang, dass eine vollständige Vernichtung des Bauwerks gerade nicht als urheberrechtlich relevante Veränderung oder Entstellung gesehen wurde, obwohl sie vom Urheber als massivster Eingriff empfunden werden dürfte. Denn während ein bestehendes, aber verändertes Bauwerk dem Urheber fälschlicherweise zugerechnet werden und damit sein Ansehen erheblich schädigen kann, ist dieses nicht der Fall, wenn gar kein Bauwerk mehr da ist. Zwar war diese Auffassung von jeher umstritten und auch der Autor dieses Beitrags hat sich immer dafür ausgesprochen, die Vernichtung eines Bauwerks als schärfste Form der urheberrechtlichen Beeinträchtigung zu sehen (Prinz, T.: Urheberrecht für Ingenieure und Architekten – Arbeitshilfen zur Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche einschließlich ausführlicher Rechtsprechungsübersicht, Düsseldorf 2001), aber die höchstrichterliche Rechtsprechung war dem bislang nicht gefolgt.
Das hat sich mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 21. Februar 2019 grundlegend geändert (Az.: ZR 98/17). In dem Urteil zum Umbau der Kunsthalle Mannheim ging es nicht darum, ein Gebäude abzureißen, sondern darum, das Raumkunstwerk „HHole (for Mannheim)“ der Künstlerin Nathalie Braun Barends zugunsten einer Veränderung des Bestandsbaus zu entfernen. Die Arbeit von 2006 bestand aus multimedialen Installationen auf sieben Etagen, die durch Löcher in den Geschossdecken interagierten. Sie waren also mit dem Gebäude fest verbunden.
Paradigmenwechsel
Der durch das Urteil erfolgte Paradigmenwechsel, dass auch die vollständige Entfernung eines urheberrechtlich geschützten Werkes die berechtigten Interessen des Urhebers beeinträchtigen kann, gilt gleichermaßen für die Werke der Baukunst.
Interessant ist dabei die Begründung, die zu diesem Meinungswandel des BGH führte. Denn bislang galt unter Hinweis auf § 14 UrhG, dass das Interesse des Urhebers am Fortbestand des unverfälschten Werks als solchem geschützt werde, nicht aber das Interesse des Urhebers an der Existenz des Werks. Heute wertet der BGH die Vernichtung eines Werkoriginals hingegen als schärfste Form der Beeinträchtigung im Sinne des § 14 UrhG, „weil sie das Interesse des Urhebers verletze, durch sein Werk auf den kulturellen oder gesellschaftlichen Kommunikationsprozess einzuwirken und im Werk fortzuleben“. Der BGH weiter: „Durch die Vernichtung wird das geistige Band zwischen dem Urheber und seinem Werk durchschnitten.“ Richtig so! Denn die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit betrifft eben nicht nur den Schaffensprozess des Urhebers („Werkbereich“), sondern auch den sogenannten „Wirkbereich“, also die Möglichkeit, auch das Werk der Baukunst überhaupt erst wahrnehmen zu können.
Für Architekten besonders relevant sind die Überlegungen des BGH zu der Frage, wie lange der Bauwerkseigentümer daran gebunden ist, urheberrechtlich geschützte Werke erhalten zu müssen. Hierbei ging es nicht um den rechtlich geregelten Urheberschutz, der 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers endet. Vielmehr ging es um die Frage, inwieweit ein Bauwerkseigentümer gebunden ist, Änderungen oder den Abriss eines urheberrechtlich geschützten Werkes oder Werkteiles zu unterlassen, wenn, wie in diesem Fall, vertraglich geregelt ist, dass das Kunstwerk „permanent“, also dauerhaft im Gebäude sichtbar sein soll.
Von den sogenannten „fliegenden Bauten“ einmal abgesehen, sind Bauwerke üblicherweise auf Dauer angelegt, sodass der Bauwerkseigentümer eigentlich über Jahre hinweg keine unzulässigen Veränderungen vornehmen darf. Der BGH hat aber nachvollziehbar und praxisnah ausgeführt, dass auch das Wort „permanent“ keine Aussage darüber enthält, wann und unter welchen Voraussetzungen der Dauerzustand beendet werden kann. Nach dem BGH kann somit im allgemeinen Sprachgebrauch auch ein permanenter Zustand zu einem späteren Zeitpunkt beendet werden, denn der Gebäude- oder Grundstückseigentümer habe bei der Installation des Kunstwerkes typischerweise nicht in eine so umfassende und sehr weit in die Zukunft reichende Beschränkung seiner Eigentümerbefugnisse eingewilligt.
Sacheigentümer versus geistiger Eigentümer
Und damit sind wir in der im Urheberrecht üblichen und komplexen Abwägung zwischen den Interessen des Bauwerkseigentümers am Umbau oder Abriss und den Interessen des Urhebers am unveränderten Erhalt oder zumindest an der architektonisch verträglichen Änderung. Im Falle der Kunsthalle Mannheim wertete der BGH beispielsweise zugunsten der Urheberin, dass es sich bei dem vernichteten Werk um das einzige Vervielfältigungsstück des Werks handelte und keine weiteren Vervielfältigungsstücke von dem Werk existierten. Auch war entscheidend, ob der Eigentümer der Urheberin Gelegenheit gegeben hatte, das Werk zurückzunehmen oder – wenn dies aufgrund der Beschaffenheit des Werks nicht möglich ist – Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen. Beide Argumente sprechen gerade bei Bauwerken oder Bauwerksteilen regelmäßig für die Erhaltungsinteressen des Architekten. Allerdings retteten diese Argumente auch hier die Urheberin nicht vor dem Abriss ihres Werkes.
Denn dem Interesse der Urheberin am Erhalt des einzigen Werkexemplars stand auch in diesem Fall das Interesse der Bauwerkseigentümerin (die Stadt Mannheim) gegenüber, Gebäude und Ausstellungsflächen der Kunsthalle an den aktuellen Stand der Museumstechnik anzupassen und die zur Verfügung stehenden Flächen von Zeit zu Zeit für die Präsentation anderer Kunstwerke zu nutzen. Hier wurde zulasten der Urheberin auch der besonders raumgreifende Charakter des Werks berücksichtigt, der es der Bauwerkseigentümerin unmöglich machte, notwendige bauliche Änderungen vorzunehmen, ohne das Kunstwerk zu beschädigen. Auch die zusätzlichen brandschutzrechtlichen Anforderungen, die bei Erhalt des Kunstwerkes erforderlich gewesen wären, haben im Ergebnis dazu geführt, dass das Gericht die Interessen der Bauwerkseigentümerin an der Vernichtung des Kunstwerkes höher wertete als die Erhaltungsinteressen der Künstlerin.
Trotz Abriss ist diese Entscheidung dennoch ein Erfolg für alle Urheber, denn bislang kam es bei der vollständigen Vernichtung eines urheberrechtlich geschützten Werkes gar nicht erst dazu, dass das Gericht die Interessen von Sacheigentümer und geistigem Eigentümer gegeneinander abwog. In weiteren Fällen dieser Art muss also der Bauwerkseigentümer zukünftig gut begründen, warum ein Abriss gerechtfertigt ist.
Auch in diesem Fall hätte aber eine außergerichtliche Streitbeilegung möglicherweise die Interessen von Bauwerkseigentümerin und Urheberin besser in Einklang bringen können, beispielsweise durch eine deutlichere Würdigung des Kunstwerkes mit Ausstellung, Katalog etc. (siehe auch Prinz, T.: „Interessenabwägung im Urheberrecht. Eine Aufgabe für Mediation“, München 2009). Allerdings wäre der Fall dann nicht vom BGH entschieden worden und hätte uns die lange überfällige Erkenntnis durch die höchstrichterliche Rechtsprechung vorenthalten, dass eben auch die Vernichtung eines urheberrechtlich geschützten Werkes die berechtigten Interessen des Urhebers verletzen kann.
Auch wenn das Urteil auf den ersten Blick so erscheinen mag, als sei eine vollständige Entfernung urheberrechtlich geschützter Werke rechtmäßig, hat der BGH damit die Urheberrechte auch für Architekten wesentlich gestärkt.
Dr. Tillman Prinz ist Rechtsanwalt und Bundesgeschäftsführer der Bundesarchitektenkammer
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Guten Tag! Wir nehmen an, dass das Urheberrecht auch für einen Landschaftsarchitekten geltend gemacht werden kann? Es geht konkret um einen urbanen Garten, der vor 3o Jahren im Innenhof eines historischen Gebäudeensembles geplant und umgesetzt wurde. Finanziert mit 90.000 Mark aus einem Hofbegrünungsprogramm. Er ist damals mit interessanter Entsiegelung visionär als Schwammstadt-Projekt angelegt worden, als es das Wort noch gar nicht gab. Heute wirbt die Umweltsenatsverwaltung mit diesem und weiteren Schwamnstadtprojekten.
Durch Eigentümerwechsel des Grundstücks ist dieser Garten plus umgebende Gebäude bedroht: Alles soll abgerissen und bebaut werden.
Kann der Planer des Gartens durch einen urheberrechtlichen Zivilprozess einen Beitrag zum Erhalt des Kulturhofs Koloniestrasse10 in Berlin leisten? Wäre der Geschäftsführer der Bundesarchitektenkammer Herr Prinz ggf. ansprechbar für einen Prozess oder können Sie uns ähnlich kompetente engagierte Rechtsanwälte empfehlen?
Für ein Feedback wären wir dankbar.
Mit freundlichem Gruss
Elfi Witten
Unterstützerkreis Kulturhof Kolonie10
Aufsichtsrat Genossenschaft Prinzenallee58 e.G.
M: 017680428380
Elfi.witten@posteo.de