Thomas Ziegler
Der Bundesgerichtshof fällte kürzlich ein Urteil (VII ZR 45/06 vom 14.6.2007, www.bundesgerichtshof.de), aus dem sich bei genauerem Hinsehen ergibt, dass beim Schallschutz eine Regel der Technik keine Regel der Technik ist.
Der dem Urteil zugrunde liegende Fall: Ein Erwerber einer Doppelhaushälfte behauptet, der Schallschutz des Gebäudes sei nicht in Ordnung, nimmt den Bauträger auf Nachbesserung in Anspruch und verlangt, dass entweder die im Beiblatt 2 zu DIN 4109 vorgegebenen Werte für den erhöhten Schallschutz eingehalten werden oder die Doppelhaushälften durch die Erstellung einer durchgehenden, drei Zentimeter starken Fuge getrennt werden und die Fuge mit einer mineralischen Faserdämmplatte nach DIN 18165 oder gleichwertigem Schalldämmmaterial versehen wird.
Zwar war hier ein Bauträger der Beklagte. Es könnte aber auch der Architekt sein, der für die Bauherren oder den Bauträger die Doppelhaushälften geplant hat. Dieser würde allerdings unmittelbar auf Schadensersatz haften. Den Anspruch darauf kann der Architekt nur teilweise durch den Verweis auf „Sowiesokosten“ mindern – in diesem Fall Schallschutzkosten, die der Bauherr auch ohne den behaupteten Planungsfehler hätte tragen müssen. Denn Mehrkosten fallen bei nachträglicher Verbesserung des Schallschutzes allemal an.
Viele Architekten meinen, sie könn-ten das Haftungsrisiko durch die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik (aRdT) ausschalten. Was aber sind die aRdT beim Schallschutz? Der entschiedene Fall spielt in Nordrhein-Westfalen, und der sich sorgfältig wähnende Architekt könnte sich deshalb an das Gesetz, besonders die Bauordnung, halten. Nach § 3 Abs. 3 BauONRW „gelten als allgemein anerkannte Regeln der Technik auch die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln“. Die DIN 4109 und ihr Beiblatt 1 sind in NRW als allgemeine technische Baubestimmung eingeführt und gelten damit als aRdT.
Aus dem Urteil des BGH ergibt sich allerdings, dass diese Sorgfalt nicht ausreicht. Der BGH führt aus, dass es verfehlt wäre, „in der DIN 4109 formulierte Schallschutzanforderungen … unabhängig von den zur Verfügung stehenden Bauweisen als anerkannte Regeln der Technik zu bewerten“. Die DIN-Normen seien „keine Rechtsnormen, sondern nur private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter, die die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben oder hinter ihnen zurückbleiben können“.
Hier scheint ein Widerspruch vorzuliegen: Die Bauordnung in NRW regelt, dass die DIN 4109 als aRdT gilt und ist deshalb mehr als eine private technische Regelung mit Empfehlungscharakter. Der BGH aber sagt, dass sie nur das ist. Für den Juristen löst sich dieser Widerspruch ganz einfach: Die eine Aussage betrifft das öffentliche Recht, die andere das Zivilrecht.
Für den Architekten allerdings fangen mit dieser Erkenntnis die Schwierigkeiten erst an: Er muss beide Regeln der Technik kennen und einhalten, um sich einerseits als dem öffentlichen Recht verpflichteter Entwurfsverfasser nicht ordnungswidrig zu verhalten und ein Bußgeld zu riskieren, andererseits als zivilrechtlicher Auftragnehmer ein mangelfreies Werk abzuliefern. Es stellt sich die Frage: Wie kann er herausfinden, was zivilrechtlich als aRdT gilt?
In dem jetzt entschiedenen Fall ging es im Kern nicht darum, mit welcher Ausführung ein bestimmtes Schalldämmmaß erreicht wird (also die Ausführungsvorgabe), sondern darum, welches Schalldämmmaß der Auftraggeber erwarten kann (das sogenannte Funktionssoll). Entschieden hat der BGH den Unterschied zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem zivilrechtlichen Funktionssoll. Nicht entschieden, für den Architekten aber durchaus haftungsträchtig, sind die Ausführungsvorgaben. Für ihn geht es um die „Regeln der Planung“, also die Frage, welche professionellen vorausschauenden Nachweismethoden es gibt, dass das Geplante auch funktioniert, und letztlich kommt es darauf an, was die „richtige“ Nachweismethode für den erreichten Schallschutz ist.
Regel der Technik als Funktionssoll
Was das öffentliche Recht als Schalldämmmaß für verschiedene Arten von Gebäuden verlangt, ergibt sich aus der DIN 4109 als Mindestmaß. Ein besserer Schallschutz ist aber nicht verboten. Welches Schalldämmmaß der Auftraggeber für sein Gebäude will, ist an sich keine technische Frage, sondern abhängig von seinen Wünschen und finanziellen Möglichkeiten. Hier wie bei anderen Arten von Funktionen des Bauwerks muss der Architekt durch Beratung eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für den Auftraggeber herstellen. Der Beratungsbedarf für einen Bauherrn im sozialen Wohnungsbau ist dabei ein anderer als für den einer Doppelhaushälfte: So muss der Architekt beim sozialen Wohnungsbau darauf hinweisen, dass die Kosten eines erhöhten Schallschutzes nicht gefördert werden. Beim Doppelhaus muss er darauf hinweisen, dass man bei dem Schalldämmmaß der Bauordnung möglicherweise keine „Ruhe findet“. Dafür muss er andere Möglichkeiten und deren Preise aufzeigen. Das sind wichtige und aufwendige Beratungsleistungen, deren Fehlen zu einer Haftung führen kann, deren Erbringung aber durch die HOAI nicht in der heute notwendigen Weise vergütet wird.
Wenn die Beratung und Entscheidung des Bauherrn fehlt, muss nachträglich festgestellt werden, was dieser erwarten konnte. Der BGH stellt in seinem Urteil die Vermutung auf, das zu erwartende Funktionssoll des Schalldämmmaßes bei Doppelhäusern habe schon im Jahr 1997 bei 67 dB, also bei einem erhöhten Schallschutz, gelegen. Es ist diese nachträgliche Feststellung eines Gerichts, die der Architekt unbedingt vermeiden sollte.
Regel der Technik als Ausführungsvorgabe
Die DIN 4109 und ihr Beiblatt 1, die bauordnungsrechtlich als Regel der Technik gelten, machen auch Ausführungsvorgaben. Diese gelten in NRW, da bauaufsichtlich eingeführt, als anerkannte Regeln der Technik.
Wird nach Einzelgewerken ausgeschrieben, ist es denkbar, dass jedes Gewerk die ihm nach den ATV eingeräumten Toleranzen gerade noch einhält und deshalb das unter idealen Voraussetzungen mögliche Schalldämmmaß nicht erreicht werden kann. Dann hat zwar jedes Einzelgewerk im Rahmen seiner vertraglichen Vereinbarung mangelfrei gearbeitet, das Funktionssoll wird aber nicht eintreten.
In der DIN 4109 als aRdT kommen Toleranzen nicht vor. Dennoch dürfte der Architekt verpflichtet sein, gerade dieses Risiko zu bedenken. Es gibt im Einzelfall sicher verschiedene Möglichkeiten, diesem baulichen Risiko zu begegnen. Das planerische Risiko liegt darin, mangels ausreichender Beratung womöglich zu haften.
Regel der Technik als Nachprüfungsmethode
Was die Rechtsprechung leider nicht behandelt, ist die Frage der Nachprüfung der Schalldämmung am fertigen Objekt. Gerade die jetzige Entscheidung des BGH, bei der die Werte wohl eher knapp verfehlt waren, hätte diese Problematik in das Blickfeld rücken können. Hier gibt es, wie das Beiblatt 3 zur DIN 4109 aus dem Jahr 1996 zeigt, eine Gemengelage aus deutscher und europäischer Normung. Wie jeder weiß, können unterschiedliche Untersuchungsmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dass es nicht nur deshalb grundsätzlichen Erneuerungsbedarf auch für die Beiblätter der DIN 4109 gibt, hatte der Normgeber bereits im Jahr 2000 erkannt und mit der grundsätzlichen Überarbeitung begonnen. Im Januar 2001 hat der DIN e.V. allerdings bekannt gegeben, dass auf eine Neuausgabe der DIN 4109 zum damaligen Zeitpunkt verzichtet werde, „um eine Verwirrung der Öffentlichkeit zu vermeiden“.
Was tun?
Zur Verwirrung führt gerade die undifferenzierte Verwendung des Begriffs der aRdT. Einerseits wird der Architekt die öffentlich-rechtlich niedergelegten Regeln der Technik beachten müssen, weil dies ja auch der Bauherr muss. Andererseits muss der Architekt den zivilrechtlichen Begriff, so wie ihn der BGH im Bereich des Funktionssolls versteht, als Handlungsanweisung verstehen: Er soll den Auftraggeber beraten und ihm Entscheidungen abverlangen. Gerade im Bereich des Funktionssolls darf der Architekt den Auftraggeber nicht bevormunden.
Auch im Bereich der Ausführungsvorgaben wird es meist Alternativen geben, die sich in Preis, Aussehen, Erprobtheit und Dauerhaftigkeit unterscheiden. Auch hierzu muss der Architekt den Auftraggeber möglichst nachprüfbar beraten und seinen Willen beachten. Der notwendige Beratungsaufwand ist je nach Bauaufgabe und Person des Auftraggebers höchst unterschiedlich. Die Tatsache, dass das Honorar aufgrund des Preisrechts oft nicht in Relation zum notwendigen Beratungsaufwand steigt, ist nur für den Auftraggeber erfreulich.
Thomas Ziegler ist Rechtsanwalt in Berlin.
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: