Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Bauleiter müssen nicht alles leiten“ im Deutschen Architektenblatt 02.2022 erschienen.
Von Jörg von Albedyll
Ein Fall zum Einstieg: Die Baurechtsbehörde hatte zusammen mit der Baugenehmigung die Auflage erteilt, dass ein neu errichtetes Gebäude erst nach einer behördlichen Abnahme bezogen werden dürfe. Der Bauherr hielt sich nicht daran und zog schon Monate vorher ein. Der Bauleiter hatte dies geschehen lassen und nicht dem Bauamt mitgeteilt. Daraufhin schickte das Bauamt dem Bauleiter einen Bußgeldbescheid über 5.000 Euro. Der Vorwurf: Der nach § 45 LBauO Baden-Württemberg bestellte Bauleiter habe tatenlos zugesehen, wie sein Bauherr gegen die Auflage in der Baugenehmigung verstoßen habe. Dieser vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedene Fall (Urteil vom 14. September 2016, Az.: 2 (7) SsBs 397/16) gibt Anlass, die Reichweite der dem Bauleiter obliegenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen in den Blick zu nehmen.
Bauleitung nach der Bauordnung
Wer baut, schafft Gefahrenquellen: für Menschen auf dem Baugrundstück, in der Nachbarschaft und sonstige Dritte. Die jeweilige Bauordnung weist die Überwachung dieser Quellen grundsätzlich dem Bauherrn zu. Der Bauherr – in der Regel selbst nicht sachkundig – bedient sich des Bauleiters, um diese Überwachungsfunktion auszuüben. Entgegen dem Gesetzeswortlaut hat der Bauleiter nur überwachende Aufgaben wahrzunehmen, keine „leitenden“ Aufgaben. Er kann keine Anweisungen geben, wenn er auf der Baustelle Missstände vorfindet: Sein Recht (aber auch seine Pflicht!) beschränkt sich in den meisten Bundesländern darauf, die Baubeteiligten zur Beseitigung der Missstände aufzufordern. Außer in Bayern ist die Bestellung eines Bauleiters nach den Landesbauordnungen in allen Ländern grundsätzlich erforderlich.
Bauleitung nach der HOAI
Neben dem Bauleiter im öffentlich-rechtlichen Sinn gibt es den zivilrechtlichen Bauleiter. Er wird im Rahmen eines Architektenvertrages tätig, leitet eine Baustelle oder Teile einer Baustelle und ist verantwortlich für die ordnungsgemäße Ausführung der Bauarbeiten. So kennt auch § 34 HOAI die Position des Bauleiters. Oft werden beide Aufgaben auch von der gleichen Person wahrgenommen. In beiden Fällen muss der Bauleiter darauf achten, dass die Bauausführung den öffentlich-rechtlichen Vorschriften und den Entwürfen des Entwurfsverfassers entspricht. Der nach § 45 LBauO beauftragte Bauleiter hat jedoch nur Sicherheitsaufgaben wahrzunehmen. Dem nach Architektenvertrag tätigen Bauleiter obliegen weitergehende leitende Aufgaben und regelmäßig die Berücksichtigung von wirtschaftlichen Belangen des Bauherrn.
Die Person des Bauleiters
Die Bauordnungen schreiben keine bestimmte Berufsqualifikation für die Person des Bauleiters vor; es gibt keine förmliche Zulassung oder Anerkennung durch die Baurechtsbehörde. Entscheidend ist allein die Eignung (Sachkunde und Erfahrung). Seine Qualifikation richtet sich nach seiner Funktion als Kontrollorgan; je komplexer die von ihm zu überwachenden Vorgänge auf der Baustelle sind, umso mehr Spezialkenntnisse und Erfahrung werden gefordert. In der Regel wird eine Person, die bauvorlageberechtigt ist, auch die erforderliche Eignung aufweisen. Bauleiter kann nur eine natürliche Person sein, mithin keine GmbH oder BGB-Gesellschaft. Sind mehrere Bauleiter bestellt, muss streng darauf geachtet werden, wie die jeweilige Verantwortlichkeit gegeneinander abgegrenzt ist.
Überwachung der Bauausführung
Jeder Unternehmer ist selbst für die Beachtung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften verantwortlich. Daran knüpft die Pflicht des Bauleiters an: Der Bauleiter hat zu überwachen, ob der Unternehmer diese Pflicht einhält. Das beinhaltet auch die Kontrolle, ob die Entwürfe des Entwurfsverfassers eingehalten werden. Überwacht werden müssen alle am Bau beteiligten Unternehmer; erst wenn der gesamte Bau fertiggestellt ist, endet diese Überwachungspflicht.
Kein Weisungsrecht des Bauherrn
Die in der jeweiligen Bauordnung geregelten Pflichten des Bauleiters bestehen ausschließlich gegenüber der Baurechtsbehörde und sind zwingende öffentlich-rechtliche Pflichten. Der Bauherr kann diese Pflichten nicht durch Vertrag erweitern oder einschränken. Der Bauleiter im Sinne des öffentlichen Rechts ist gegenüber dem Bauherrn unabhängig.
Keine gesetzlichen Regelungen zur Art und Weise der Überwachung
Wie der Bauleiter Überwachungspflichten ordnungsgemäß erfüllt, ist in den Bauordnungen nicht geregelt. Als Maßstab kann dabei in der Regel der Grad der Gefährlichkeit und der Schwierigkeit der Arbeiten herangezogen werden: Je höher die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr oder einer Abweichung der Bauausführung von den Ausführungsunterlagen, umso mehr muss der Bauleiter persönlich auf der Baustelle anwesend sein und kontrollieren.
Keine allumfassende Verantwortung
Dem Bauleiter kommt auch die Aufgabe zu, auf den sicheren bautechnischen Betrieb der Baustelle zu achten. Diese Pflicht hat aber Grenzen: Soweit verschiedene Unternehmer bei ihren Arbeiten ineinandergreifen, obliegt es dem Bauleiter, dafür zu sorgen, dass auf der Baustelle keine (zusätzlichen) Gefahren entstehen. Er muss aber nicht kontrollieren, ob die Gewerke auch reibungslos ineinander verzahnt sind. Er muss auch nicht die Maschinen und Geräte auf der Baustelle auf einen sicheren Betrieb überwachen. Die Verantwortlichkeit für Gerätschaften, wie etwa Bagger, Kräne, Sägen, liegt bei den Unternehmen, die die Geräte einsetzen.
Eine wesentliche Beschränkung der Überwachungsaufgaben auf der Baustelle liegt darin, dass ihm diese Kontrollfunktion nur „im Rahmen der Überwachung der Bauausführung“ vom Gesetz übertragen worden ist. Beispielsweise muss der Bauleiter nach der jeweiligen Bauordnung daher nicht einen gesonderten Baustellentermin zur Kontrolle der ordnungsgemäßen Errichtung eines Gerüsts einplanen. Wenn er jedoch zum Beispiel anlässlich eines Baustellenbesuchs zur Überprüfung der genehmigten Gebäudehöhe feststellt, dass dem Baugerüst die vorgeschriebenen Fangnetze fehlen, muss er handeln.
Der Bauleiter muss keine besonderen, zusätzlichen Anstrengungen zur Überwachung der Baustelle übernehmen; er darf jedoch seine Augen nicht vor Defiziten insbesondere im Sicherheitsbereich verschließen.
Handlungsoptionen bei der Bauleitung
In Baden-Württemberg haben Bauleiter nicht das Recht, den anderen Baubeteiligten Weisungen zu erteilen oder Vorgaben zu machen (§ 45 LBauO BW). In Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern ist das jedoch der Fall (zum Beispiel § 56 Abs. 1 S. 1 BauO NRW). Er ist auch nicht der „verlängerte Arm des Bauamtes“. Ihm stehen keinerlei hoheitliche Kompetenzen zu. Ihm ist damit auch das Recht verwehrt, die Baustelle einzustellen.
Beispielsweise kann der Bauleiter nicht die Einhaltung von bestimmten Vorgaben der CoronaVO erzwingen; er kann Mitarbeiter von Bauunternehmen, die Symptome zeigen, nicht von der Baustelle verweisen.
Dennoch hat der Bauleiter Befugnisse: Zunächst muss er darauf hinwirken, dass Verstöße (gegen die Bauausführung oder gegen den sicheren bautechnischen Betrieb der Baustelle) beseitigt werden. Das heißt, er muss auf die Unternehmer zugehen, die Defizite ansprechen und eine Abstellung der Missstände fordern. Sein Druckmittel ist die jederzeitige Möglichkeit, die Baurechtsbehörde von dem Verstoß in Kenntnis zu setzen. Die Baurechtsbehörde kann dann einschreiten und durch Verfügungen die Vorschriften durchsetzen.
Auch wenn die gesetzliche Vorschrift von einer „unverzüglichen“ Weitergabe von Verstößen an die Baurechtsbehörde spricht, muss nicht jeder Bagatellverstoß sofort gemeldet werden. Der Bauleiter muss abwägen, welches Gewicht der Verstoß gegen die ordnungsgemäße Bauausführung hat und ob die Sicherheit auf der Baustelle konkret gefährdet ist. Nur für den Fall eines gravierenden Verstoßes wird man dem Bauleiter zumuten, sofort die Baurechtsbehörde zu informieren. In allen anderen Fällen reicht es, zunächst den Unternehmer in die Pflicht zu nehmen.
Zurück zum Ausgangsfall
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hob den Bußgeldbescheid gegen den Bauleiter auf, dem man vorgeworfen hatte, nichts gegen den vorzeitigen Einzug seines Bauherrn unternommen zu haben. Neben formalen Fehlern im Bußgeldbescheid führte das OLG aus, dass es nicht zu den Pflichten des Bauleiters gehört, den Bauherrn von einem vorzeitigen Bezug abzuhalten.
Jörg von Albedyll ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht sowie für Verwaltungsrecht bei GRÉUS Rechtsanwälte, Heidelberg
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Hier wird nicht so klar mit den Begriffen „Bauleiter“, „Bauüberwacher“ und „Si-Ge-Koordinator/Planer“ umgegangen. Bin verwirrt. Als Architekt in Bayern kann/will ich nur Bauüberwacher sein. Die HOAI kennt doch nur diesen Begriff zur Lph 8. Wäre für einen weiteren Artikel sehr dankbar.
Vielen Dank für den Hinweis. Der Artikel richtet sich in seinem Schwerpunkt an den Bauleiter gemäß § 45 LBauO Baden-Württemberg und befasst sich mit den öffentlich-rechtlichen Pflichten. Der Hinweis auf § 34 HOAI /Leistungsphase 8 dient in diesem Artikel nur der Abgrenzung zu den zivilrechtlichen Pflichten.
Als Bauunternehmer finde ich diesen Artikel äußerst aufschlussreich. Er verdeutlicht die Rolle und Verantwortlichkeiten eines Bauleiters auf der Baustelle. Es ist wichtig zu wissen, dass der Bauleiter keine hoheitlichen Befugnisse hat, sondern vielmehr darauf hinwirken sollte, Verstöße gegen die Bauordnung und Sicherheitsvorschriften zu beseitigen. Die klare Unterscheidung zwischen verschiedenen Bundesländern in Bezug auf die Befugnisse des Bauleiters ist ebenfalls hilfreich. Es zeigt, dass wir uns bewusst sein müssen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen in unserer Region gelten. Zusammenfassend ermutigt mich dieser Artikel dazu, eng mit meinen Bauleitern zusammenzuarbeiten und sicherzustellen, dass die Baustellen sicher und ordnungsgemäß betrieben werden.
Als Bauüberwachender der TGA und Vorsitzender der tgabar fände ich eine Abgrenzung zur Fachbauleitung gem. LBO sehr interessant.
Ich erkenne hier große Unterschiede zwischen HOAI und LBO, insbesondere was das „sichere ineinandergreifen der Arbeiten der Unternehmer“ angeht. Die tgabar.de grenzt sich mittlerweile deutlich von der Fachbauleitung ab und empfiehlt TGA-Planenden, diese nicht anzubieten.