Text: Hubertus Schulte Beerbühl
Leerstandsfolgen: Gerichte im Widerspruch
Oftmals wird eine vor langer Zeit genehmigte Nutzung einer baulichen Anlage aufgegeben, ohne dass eine Nachfolgenutzung aufgenommen wird. Welche Folgen ein solcher Leerstand für den Bestand der Baugenehmigung und gegebenenfalls den Bestandsschutz hat, ist nach widersprüchlichen Urteilen nur schwer abzuschätzen. Einerseits hat das Bundesverwaltungsgericht ein Zeitmodell entwickelt, das Aufschluss über den Untergang des Bestandsschutzes geben soll, andererseits wollen die Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte dem nicht folgen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechne die Verkehrsauffassung im ersten Jahr nach der Aufgabe einer Nutzung stets mit deren Wiederaufnahme; eine Einzelfallprüfung erübrige sich. Der Bestandsschutz gelte stets fort. Im zweiten Jahr nach der Nutzungsaufgabe spreche für die Annahme, dass die Verkehrsauffassung eine Wiederaufnahme erwarte, eine Regelvermutung, die im Einzelfall jedoch entkräftet werden könne, wenn Anhaltspunkte für das Gegenteil vorhanden seien. Nach Ablauf von zwei Jahren kehre sich diese Vermutung um. Jetzt habe der Bauherr besondere Gründe dafür darzulegen, dass die Aufgabe der Nutzung des Gebäudes noch keinen als endgültig erscheinenden Zustand herbeigeführt habe. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen haben nun dieses Zeitmodell als nicht maßgeblich angesehen. Beide wenden das Verwaltungsverfahrensrecht ihrer Länder an, das einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht entzogen ist. Im bayerischen Fall ging es um einen mehrere Jahre dauernden Leerstand eines Milchviehstalls, den der Eigentümer anschließend wieder in Betrieb nahm. Dagegen legte ein Nachbar Widerspruch ein – jedoch ohne Erfolg.
Laut Bayerischem Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 6.2.2014, Az.: 1 ZB 11.1675) war entscheidend, dass der Landwirt nicht zu erkennen gegeben hat, dass er von der Baugenehmigung keinen Gebrauch mehr machen will. Er habe die Rinderhaltung nie aufgegeben und den Stall nie einer anderen Nutzung zugeführt.
Ähnlich war es im nordrhein-westfälischen Fall. Dort war die Nutzung von Räumen im Obergeschoss eines Wohn- und Geschäftshauses als Spielcasino vor sechseinhalb Jahren aufgegeben worden. Als die Nutzung nun wieder aufgenommen wurde, verlangte ein Nachbar das Einschreiten der Bauaufsicht, da eine solche Nutzung in dem Baugebiet unzulässig sei – was zutraf. Das Oberverwaltungsgericht erklärte aber, die ursprüngliche Genehmigung habe trotz der Nutzungsunterbrechung ihre Gültigkeit behalten (Beschluss vom 9.8.2013, Az: 2 A 2520/12). Es lägen nämlich keine Umstände vor, aus denen sich schließen lasse, dass der Bauherr auf Dauer von der Genehmigung keinen Gebrauch mehr machen wolle.
Neubau-Anspruch nach dem Abriss
§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB gewährt für Außenbereichsvorhaben so genannten überwirkenden Bestandsschutz. Nach der Bestimmung besteht unter den dort genannten Voraussetzungen ein Genehmigungsanspruch für die Neuerrichtung eines Wohnhauses auch dann, wenn der Altbau vollständig beseitigt wird. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 6.2.2015, Az.: 2 A 1394/13) hat nun die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm zusammenfassend und ergänzend beschrieben: Wenn zu Beginn der Bauarbeiten das vorhandene Gebäude noch existiert, handelt es sich bei dem Ersatzbauvorhaben um die „Neuerrichtung eines vorhandenen Gebäudes“. Vorhergehender Abriss und Neuerrichtung müssen einen einheitlichen Lebenssachverhalt bilden; zwischen beiden darf keine zeitliche Zäsur eintreten.
Zudem muss der Altbestand „zulässigerweise errichtet worden“ sein. Das ist auch der Fall, wenn – wie in dem entschiedenen Fall – seinerzeit keine Genehmigung erteilt worden war, aber damals oder später die Genehmigungsvoraussetzungen objektiv vorlagen.
Ferner muss das neue Gebäude dem alten „gleichartig“ sein. Das bedeutet Gleichartigkeit im Standort, im Bauvolumen, in der Nutzung und in der Funktion. Sie ist nicht gegeben, wenn sich durch hinzukommende Wohneinheiten die Belastung des Außenbereichs verstärkt, etwa indem die natürliche Eigenart der Landschaft zusätzlich beeinträchtigt oder der Verfestigung einer Splittersiedlung Vorschub geleistet wird. Entscheidend für die Gleichartigkeit ist nicht das quantitative Verhältnis zwischen dem ursprünglich vorhanden gewesenen Gebäude und dem Ersatzbau, sondern vielmehr, wie sich die Erweiterung auf die vom Ersatzbau betroffenen öffentlichen Belange auswirkt.
Ein weiteres Kriterium, um einen Ersatzbau zu genehmigen, sind „Missstände und Mängel“ des vorhandenen Gebäudes. Es weist diese auf, wenn die bauliche Anlage nicht den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse entspricht, insbesondere wenn durch Abnutzung, Alterung, Witterungseinflüsse oder Einwirkung Dritter die bestimmungsgemäße Nutzung der baulichen Anlage nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird, die bauliche Anlage nach ihrer äußeren Beschaffenheit das Straßen- oder Ortsbild nicht unerheblich beeinträchtigt oder die bauliche Anlage erneuerungsbedürftig ist und wegen ihrer städtebaulichen, insbesondere geschichtlichen oder künstlerischen Bedeutung erhalten bleiben soll.
Damit der Neubau zulässig ist, muss das bisherige Gebäude „seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt“ worden sein. Dafür genügt es nicht, dass das vorhandene Gebäude lediglich seit längerer Zeit im Eigentum des Bauherrn steht. Erforderlich ist eine Kontinuität der Eigennutzung. Denn die Erleichterung des Lebens im Neubau soll denjenigen zugutekommen, die sich längere Zeit mit den beengten Wohnverhältnissen abgefunden und damit unter Beweis gestellt haben, dass dieses Wohnhaus für sie im Familienleben eine bedeutende Rolle spielt.
Wohnen über einen „längeren Zeitraum“ bedeutet, dass ein Aufkaufen alter Gebäude zum Zweck des alsbaldigen Abrisses ausgeschlossen ist und dies auch nicht durch ein vorübergehendes Bewohnen umgangen wird; ein Eigennutzungszeitraum von weniger als zwei Jahren ist zu kurz. Bei der Frage nach der künftigen Eigenbedarfsnutzung des Ersatzgebäudes handelt es sich um eine Prognoseentscheidung. Besteht begründeter Verdacht, dass der Neubau veräußert oder an familienfremde Personen vermietet werden soll, muss der Bauherr dartun, dass er das Gebäude für den Eigenbedarf oder für seine Familie benutzen wird. Gegebenenfalls kann der Baugenehmigung eine Nebenbestimmung beigefügt werden, dass das Ersatzgebäude auch in Zukunft von dem Eigentümer selbst genutzt werden muss. Dr. Hubertus Schulte Beerbühl ist Richter am Verwaltungsgericht Münster.
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DES RECHTSTEILS
Redaktionsgruppe des BAK-Rechtsausschusses: Ass. iur. Sinah Marx (M. A.; Koordinatorin), RA Fabian Blomeyer, RA Dr. Florian Hartmann, RA Dr. Holger Matuschak, RA Markus Prause.
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