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Widerspruch oder Ergänzung?

Arbeitsstättenrecht und Bauordnungsrecht werden teilweise als widersprüchlich wahrgenommen. Dennoch können beide Rechtsgebiete in Einklang gebracht werden. Was man dazu wissen muss

30.11.201910 Min. Kommentar schreiben

Von Jutta Heinkelmann

Plant man eine Arbeitsstätte, gilt es viele Anforderungen zu beachten. Mit an vorderster Stelle stehen das Bauordnungsrecht und das Arbeitsstättenrecht. Hierbei handelt es sich um zwei jeweils unabhängig voneinander geltende Rechtsgebiete, die jedoch in der baulichen Anlage verknüpft sind.

Das Arbeitsstättenrecht ist dem Sozialrecht zugeordnet und gilt bundesweit einheitlich. Das Bauordnungsrecht hingegen ist Sache der Länder. Verantwortlich für die Einhaltung des Arbeitsstättenrechts ist der Betreiber einer Arbeitsstätte beziehungsweise der Arbeitgeber. Er hat dafür zu sorgen, dass die Arbeitsstätte so eingerichtet und betrieben wird, dass Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten „möglichst vermieden“ und verbleibende Gefährdungen „möglichst gering gehalten“ werden (§ 3 a Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung – ArbStättV).

Das Bauordnungsrecht gilt für bauliche Anlagen. „Bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und der Beseitigung von Anlagen sind der Bauherr und im Rahmen ihres Wirkungskreises die anderen am Bau Beteiligten dafür verantwortlich, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden“, heißt es etwa in § 52 Musterbauordnung (MBO) und so oder so ähnlich in den Landesbauordnungen, die sich alle an dem Muster orientieren. Die Anforderungen des Arbeitsstättenrechts stehen also neben denen der Bauordnung. Es ergeben sich Schnittstellen, Ergänzungen und auf den ersten Blick auch Widersprüche. Wobei ein von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) beauftragtes umfangreiches Rechtsgutachten zu diesem Thema aus dem Jahr 2018 zum Schluss gelangt, dass die „Rechtsnormen sich in der Regel ergänzen und nicht widersprechen“.

Allerdings sieht das Gutachten Probleme in den Bundesländern, in denen das Arbeitsstättenrecht nicht präventiv im Baugenehmigungsverfahren geprüft wird. Das sollte geändert werden, um Bauherren und Planern von Anfang an Rechtssicherheit zu geben.

Grundsatz: Höheres Schutzniveau gilt

Zunehmend entfallen in beiden Rechtsgebieten konkrete Vorgaben zugunsten einer Schutzzielsystematik. Nahezu alle planungsrelevanten Elemente der Arbeitsstätte unterliegen einer solchen schutzzielorientierten Bewertung. Dies kann als Chance begriffen werden, auf den Einzelfall hin optimierte Lösungen planen und umsetzen zu können. Auch werden hierdurch funktionale Veränderungen während der Betriebsphase erleichtert. Grundlage der schutzzielorientierten Bewertung einer Arbeitsstätte ist die Gefährdungsbeurteilung, deren Erstellung Pflicht und Verantwortung des Arbeitgebers ist. Die Planer haben die dort benannten Vorgaben und Qualitäten umzusetzen. Oft führen jedoch fehlende konkrete Vorgaben zu Unsicherheiten bei den Arbeitgebern beziehungsweise Betreibern einer Arbeitsstätte und somit auch bei der Planung.

In der Regel liegen die Anforderungen aus dem Arbeitsstättenrecht über den in den Bauordnungen definierten Mindestanforderungen. § 3 a Abs. 4 ArbStättV stellt zudem ein eindeutiges Rangverhältnis klar: „Anforderungen in anderen Rechtsvorschriften, insbesondere im Bauordnungsrecht der Länder, gelten vorrangig, soweit sie über die Anforderungen dieser Verordnung hinausgehen.“ Es gilt somit immer das jeweils höhere Schutzniveau.

Die Arbeitsstättenverordnung wird durch die Technischen Regeln für Arbeitsstätten, kurz ASR, konkretisiert. Wird diesen Regeln entsprochen, so besteht eine Vermutungswirkung zugunsten des Arbeitgebers, dass die in der Arbeitsstättenverordnung definierten Anforderungen erfüllt sind. Ein Arbeitgeber kann aber auch andere Maßnahmen treffen. Ausschlaggebend ist jedoch, dass auch mit diesen die gleiche Sicherheit und der gleiche Schutz der Beschäftigten erreicht werden.

Das Bauordnungsrecht wird über die Technischen Baubestimmungen konkretisiert. Auch von diesen könne abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die bauordnungsrechtlichen Anforderungen erfüllt werden und in der Technischen Baubestimmung eine Abweichung nicht ausgeschlossen sei, so das Gutachten der baua.

Beispiel: Umwehrungen

Betrachtet man die Höhen von Umwehrungen, so stößt man scheinbar auf Widersprüche. Nach MBO muss ein Geländer bis zu einer Absturzhöhe von zwölf Metern 90 Zentimeter hoch sein, darüber hinaus 110 Zentimeter. Nach ASR A2.1 müssen Umwehrungen in Arbeitsstätten jedoch grundsätzlich eine Höhe von einem Meter aufweisen, über zwölf Meter 1,10 Meter. Diese Maße nimmt auch die DIN 18065, die als Technische Baubestimmung die Bauordnung konkretisiert, auf. Vergleicht man MBO und ArbStättV, so liegt bei einer Absturzhöhe unter zwölf Metern das Anforderungsniveau des Arbeitsstättenrechts über dem der Bauordnung. Nach dem in § 3 a ArbStättV definierten Vorrangverhältnis gilt daher die Vorgabe des Arbeitsstättenrechts. Die Bayerische Bauordnung hat diesen Widerspruch insofern aufgelöst, indem sie lediglich das Schutzziel definiert, wonach Geländer ausreichend hoch und fest sein müssen (Art.  36 Abs. 2 BayBO), und die Konkretisierung der Technischen Baubestimmung DIN 18065 überlässt.

Beispiel: Barrierefreiheit

Nach § 50 MBO müssen unter anderem Büro- und Verwaltungsgebäude, die öffentlich zugänglich sind, in Bereichen mit Besucher- und Benutzerverkehr barrierefrei sein. Eine vergleichbare Regelung findet sich im Arbeitsstättenrecht nicht. Erst wenn ein Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen beschäftigt, hat er die Arbeitsstätte so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit berücksichtigt werden (§ 3 a Abs. 2 ArbStättV). Im Fokus des Arbeitsstättenrechts stehen hier also nicht allgemeine Bedürfnisse, sondern die ganz individuellen des betroffenen Arbeitnehmers. Die Regelungen des Arbeitsstättenrechts müssen hier also ergänzend zu denen aus der MBO berücksichtigt werden, wobei es durchaus Sinn macht, bereits bei der Erstellung eines Gebäudes entsprechende Überlegungen anzustellen, da eine nachträgliche Anpassung teuer beziehungsweise sogar unmöglich ist, denkt man zum Beispiel an einen barrierefreien Zugang, notwendige Bewegungsflächen oder rollstuhlgerechte Toiletten.

Beispiel: Abmessungen von Räumen

Betrachtet man die erforderlichen Abmessungen von Räumen allgemein, so schreibt die MBO keine bestimmte Mindestgrundfläche vor. Die lichte Höhe muss nach § 47 Abs. 1 MBO mindestens 2,40 Meter betragen. Die ASR A1.2 fordert als Schutzziel grundsätzlich: „Arbeitsräume müssen eine ausreichende Grundfläche und Höhe sowie einen ausreichenden Luftraum aufweisen“ (Abschnitt 4 Abs. 1). Die Grundflächen von Arbeitsräumen setzen sich aus verschiedenen in der ASR genannten Flächen zusammen, Beispiele sind in den Anhängen 1 und 2 dargestellt. Mindestvoraussetzung ist, dass als Arbeitsräume nur Räume genutzt werden dürfen, deren Grundflächen mindestens acht Quadratmeter für einen Arbeitsplatz zuzüglich mindestens sechs Quadratmeter für jeden weiteren Arbeitsplatz betragen (Abschnitt 5 Abs. 3). In Abhängigkeit von der Grundfläche wird die mindestens erforderliche lichte Höhe definiert, zum Beispiel bei bis zu 50 Quadratmetern mindestens 2,50 Meter (Punkt 6 Abs. 2). Hier geht also das Niveau nach Arbeitsstättenrecht über das der Bauordnung hinaus, die ja ihrerseits auch nur Mindestanforderungen definiert und definieren kann.

Beispiel: Verkehrs- und Rettungswege

Nach ASR A1.8 und A2.3 beträgt die Mindestbreite von Verkehrs- beziehungsweise Fluchtwegen für bis zu fünf Personen 0,875 Meter, bis 20 Personen einen Meter, bis 200 Personen 1,20 Meter, bis 300 Personen 1,80 Meter und bis 400 Personen 2,40 Meter, ergänzt um die Feststellung: „Tür-, Flur- und Treppenbreiten sind aufeinander abzustimmen“ (ASR A2.3, Abschnitt 5 Absatz 3). Die MBO stellt unter § 36 Abs. 2 lediglich das Schutzziel auf, dass notwendige Flure so breit sein müssen, dass sie für den größten zu erwartenden Verkehr ausreichen. In einschlägigen Kommentierungen, wie zum Beispiel der von Molodovsky, Famers, Waldmann zur Bayerischen Bauordnung, wird vorgeschlagen, einen Meter Flurbreite je 150 der auf den Flur oder den Flurabschnitt angewiesenen Personen vorzusehen beziehungsweise das 60-cm-Modulsystem der Versammlungsstättenverordnung (VStättV) anzuwenden. Nach Muster-VStättV sind 90 Zentimeter Rettungswegbreite bei Versammlungsräumen mit nicht mehr als 200 Besucherplätzen vorzusehen, ansonsten eine Mindestbreite von 1,20 Meter je 200 Personen und bei Sportstätten 1,20 Meter je 600 Personen, wobei Zwischenwerte nach Kommentierung zulässig sind (§ 7 Abs. 3 Muster-VStättV). Was auf den ersten Blick wie eine Textaufgabe in der Grundschule anmutet, verdeutlicht das Dilemma der Planer: Auch wenn die unterschiedlichen Vorgaben nicht weit voneinander entfernt sind, unterscheiden sie sich dennoch.

Beispiel: Kennzeichnung und Bruchsicherheit von Wänden

Nach Arbeitsstättenrecht sind durchsichtige oder lichtdurchlässige Wände – und insbesondere Ganzglaswände – in Arbeitsräumen oder im Bereich von Verkehrswegen deutlich zu kennzeichnen. Sie müssen aus bruchsicherem Werkstoff bestehen oder entsprechend abgeschirmt sein (Anhang 1.4 ArbStättV). Durchsichtige Türen müssen in Augenhöhe gekennzeichnet sein (Anhang 1.7 Arb-StättV). Das Bauordnungsrecht regelt in § 37 Abs. 2 MBO, dass Glastüren und andere Glasflächen, die bis zum Fußboden allgemein zugänglicher Verkehrsflächen herabreichen, so zu kennzeichnen sind, dass sie leicht erkannt werden können. Weitere Schutzmaßnahmen sind für größere Glasflächen vorzusehen, wenn dies die Verkehrssicherheit erfordert. Auch hier reicht das Arbeitsstättenrecht weiter als das Bauordnungsrecht. Zudem konkretisiert es die Forderung nach Verkehrssicherheit.

Beispiel: Aufschlagrichtung von Notausgangstüren

Die Musterbauordnung enthält keine Vorschriften zur Aufschlagrichtung von Türen in Rettungswegen. Die ASR A2.3 (Punkt 9 Abs. 1) verlangt, dass manuell betätigte Türen in Notausgängen in Fluchtrichtung aufschlagen müssen. Die Aufschlagrichtung von sonstigen Türen im Verlauf von Fluchtwegen hängt vom Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung ab. Auch hier definiert das Arbeitsstättenrecht über das Bauordnungsrecht hinausreichende Anforderungen, die regelmäßig in der Planung zu Diskussionen führen, da eine nach außen aufschlagende Tür beispielsweise durch Schnee blockiert sein kann und im Übrigen dem Einbruchschutz schlechter entsprochen werden kann.

Regeln zum Einrichten und Betreiben

Ein großer Teil der Regelungen in der Arbeitsstättenverordnung betrifft das Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten und hat keine unmittelbare bauordnungsrechtliche, sondern lediglich eine bauliche Relevanz, zum Beispiel die Einrichtung von Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräumen oder auch Erste-Hilfe-Räumen. Bei einem anderen Teil der Maßnahmen, beispielsweise bei Anforderungen an Raumhöhen, Fluchtwege oder Notausgänge, kommt es zu Überschneidungen, die sich jedoch mithilfe des in § 3 a Abs. 4 ArbStättV definierten Rangverhältnisses lösen lassen. Weitere Regelungen konkretisieren das Baurecht, wie zum Beispiel den Aspekt der Verkehrssicherheit, oder gehen über die dort definierten Mindestanforderungen hinaus, was jedoch erst mal keinen Widerspruch, sondern eine Differenzierung darstellt. Sollte tatsächlich aufgrund einer Anforderung aus dem Arbeitsstättenrecht einer bauordnungsrechtlichen Vorgabe nicht entsprochen werden können, so bedarf es einer Abweichung nach Bauordnungsrecht.

Auch wenn die Arbeitsstättenverordnung primär auf das Einrichten und Betreiben einer Arbeitsstätte Anwendung findet und nicht auf die Errichtung abzielt, sind Bauherren gut beraten, bereits bei der Errichtung mögliche bauliche Anforderungen der ArbStättV zu berücksichtigen. Eine Nachrüstung ist in der Regel mit funktionalen Beeinträchtigungen und erheblichen Mehrkosten verbunden oder gar nicht möglich. Die Folge ist, dass die bauliche Einrichtung später dann nicht im geplanten Umfang als Arbeitsstätte genutzt werden kann oder sich als unflexibel erweist.

Weil die Anforderungen des Arbeitsschutzes sich an Arbeitgeber richten, ist bei der Planung einer Arbeitsstätte eine intensive Abstimmung mit diesen erforderlich, insbesondere dann, wenn die sich aus der ArbStättV ergebenden Spielräume weitgehend ausgenutzt werden sollen. Ist diese Abstimmung nicht im erforderlichen Umfang möglich oder sind die konkreten Rahmenbedingungen des späteren Betriebes oder gar die späteren Nutzer beziehungsweise Arbeitgeber noch nicht bekannt, meint das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales in seinem Merkblatt zum Absturzschutz auf Flachdächern von Arbeitsstätten, dass unabhängig von einer gleichlautenden Grundsatzanforderung des Arbeitsschutzgesetzes ein möglichst hohes Schutzniveau realisiert werden sollte. Diese Ansicht kann vor dem Hintergrund der Verpflichtung zur ökonomischen Planung sicherlich kontrovers diskutiert werden und macht letztendlich das Dilemma, in dem die Planer stehen, sehr deutlich.

Grundsätzlich würde es die Planung sicherlich erleichtern und zu mehr Planungssicherheit beitragen, wenn die Anforderungen des Arbeitsschutzes sich enger an denen des Bauordnungsrechts orientieren würden. Dem steht jedoch systematisch entgegen, dass das Bauordnungsrecht der Gefahrenabwehr und dem Gesundheitsschutz verpflichtet ist, wohingegen der Arbeitsschutz auch Gefährdungen und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer im Blick hat und aus diesem Grunde über das Niveau der reinen Gefahrenabwehr hinausreicht.

Jutta Heinkelmann ist Architektin und Stadtplanerin sowie Referentin für Normung und Innovation bei der Bayerischen Architektenkammer

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