Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Zielfindungsphase erhält Konturen“ im Deutschen Architektenblatt 08.2022 erschienen.
Von Volker Schnepel
Nicht immer sind die Vorstellungen von Bauherren zu einem angedachten Projekt hinreichend konkret. Wesentliche Rahmendaten fehlen. Dann benötigt der Bauherr zunächst eine fachkundige Hilfestellung, um seinem Vorhaben die notwendigen Konturen geben zu können. Für solche Konstellationen hat der Gesetzgeber im Rahmen der BGB-Novelle 2018 § 650 p Abs. 2 BGB eingeführt.
Sofern wesentliche Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind, hat der Architekt nach dieser Vorschrift zunächst eine Planungsgrundlage zu erstellen, diese mit einer sogenannten Kosteneinschätzung zu verbinden und dem Bauherrn zur Zustimmung vorzulegen. Hierdurch soll der Bauherr in die Lage versetzt werden, zu beurteilen, ob er sein Vorhaben tatsächlich durchführen möchte und kann oder nicht – zum Beispiel wegen abweichender Vorstellungen über die Kosten. Für letzteren Fall hat der Gesetzgeber ein Sonderkündigungsrecht des Bauherrn eingeführt (§ 650 r BGB). Dieser Zeitabschnitt, zumeist als „Zielfindungsphase“ bezeichnet, ist somit unter anderem ein wichtiges Instrument, um künftigen Auseinandersetzungen im Vorfeld zu begegnen.
Zielfindungsphase vereinbart: ja oder nein?
Dass allerdings die Zielfindungsphase beziehungsweise die Frage ihrer Beendigung selbst Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen sein kann, zeigt eine jüngst ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt (Urteil vom 16. Mai 2022, Az.: 29 U 94/21). Im Vordergrund stand hierbei die Frage, ob eine Zielfindungsphase überhaupt vereinbart wurde, und wenn ja, ob das Vertragsverhältnis nach Beendigung der Zielfindungsphase wirksam fortgesetzt wurde oder nicht. Im konkreten Fall hat das Gericht Ersteres bejaht, Letzteres verneint. Die Klage des Architekten auf eine über die Zielfindungsphase hinausgehende Vergütung wurde daher abgewiesen. Die Revision wurde allerdings zugelassen.
Streitig war zwischen den Parteien zunächst, ob überhaupt eine Zielfindungsphase vereinbart worden war oder nicht. Der Vertrag enthielt bereits ein Planungsziel dahin gehend, dass eine Scheune zu einem Mehrfamilienhaus umgebaut werden sollte. Das OLG hielt es aber für ausreichend, dass der Architektenvertrag die ausdrückliche Vereinbarung einer Zielfindungsphase enthielt. Vor allen Dingen betont das Gericht, dass die Zielfindungsphase in Fällen der unklaren Planungs- und Realisierungsmöglichkeiten zur Prüfung diene, ob das Projekt unter den örtlichen Bedingungen nach den Vorstellungen des Auftraggebers mit dem gegebenen Finanzrahmen realisiert werden kann oder nicht. Hierzu bedürfe es neben der Planungsgrundlage einer Kosteneinschätzung.
Planungsgrundlage: vertragliche Vereinbarung maßgebend
Welche Anforderungen generell an eine Planungsgrundlage zu stellen sind, lässt das OLG offen. Dies war im vorliegenden Fall schon deshalb möglich, weil die Parteien zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben die Ausführung der Leistungsphase 1 sowie der Leistungsphase 2 a) und b) vereinbart hatten. Bei umfassender Beauftragung der Leistungsphase 1 gehöre es dann aber auch zu den Pflichten des Architekten, sich bereits in der Zielfindungsphase nach dem Budget des Auftraggebers zu erkundigen.
Kosteneinschätzung: überschlägige Kostenschätzung oder doch mehr?
Das OLG führt zunächst zu Recht aus, dass die Kosteneinschätzung nicht mit der Kostenschätzung nach DIN 276 gleichzusetzen ist. Diese Grundleistung der Leistungsphase 2 g) gehört damit unstreitig nicht mehr zur Zielfindungsphase. Vielmehr bestätigt das Gericht die überwiegende juristische Auffassung, wonach es sich um eine nur überschlägige Kostenschätzung handelt. Auch bei diesen „herabgesetzten Anforderungen“ wird aber beanstandet, dass bei der genannten Summe weder die Herleitung noch die Einordnung als Brutto- oder Nettobetrag erkennbar seien. Ebenso wenig lasse sie erkennen, wie sie sich zusammensetzt oder worauf sie sich bezieht. Das Gericht verlangt für die Kosteneinschätzung im Ergebnis eine Gliederung wie bei einem Kostenrahmen gemäß DIN 276 (1. Gliederungsebene), wobei aus dem Urteil nicht ganz eindeutig zu ersehen ist, ob dies als genereller Maßstab zu verstehen ist oder auf einer gegebenenfalls dahin gehenden ausdrücklichen Vereinbarung beruht.
Zustimmung des Auftraggebers erfordert Vorlage der Zielfindungsergebnisse
Nach § 650 p Abs. 2 Satz 2 BGB legt der Architekt dem Besteller die Planungsgrundlage zusammen mit der Kosteneinschätzung zur Zustimmung vor. Diese Voraussetzung sah das OLG nicht als erfüllt an. Schon aus diesem Grund hält es das Gericht für ausgeschlossen, dass der Bauherr den Ergebnissen der Zielfindungsphase zugestimmt haben kann, weder ausdrücklich noch konkludent (durch schlüssiges Handeln). Ohne Zustimmung ist der Vertrag zwar nicht automatisch beendet, weil es eines zusätzlichen Beendigungsaktes bedarf. Für die Vergütung vorzeitig, also ohne vorherige Zustimmung, erbrachter Planungsleistungen des insoweit „vorpreschenden“ Architekten besteht nach Auffassung des OLG aber gleichwohl kein Anspruch.
Sonderkündigungsrecht und Aufklärungspflicht bei Verbraucher-Bauherren
Als gesetzlicher Regelfall für die Beendigung der Zielfindungsphase ist das Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers nach § 650 r Abs. 1 Satz 1 BGB vorgesehen. Vorliegend wurde dieses Recht allerdings nicht formwirksam ausgeübt, da der Auftraggeber mit einer E-Mail dem Schriftformerfordernis der §§ 650 q Abs. 1 und 650 h BGB nicht gerecht geworden ist. Das Kündigungsrecht erlischt zwei Wochen nach Vorlage der Unterlagen (§ 650 r Abs. 1 Satz 2 BGB), bei Verbraucher-Bauherren allerdings nur, wenn der Architekt in Textform über das Kündigungsrecht, die Frist sowie die Rechtsfolgen der Kündigung aufklärt. Dies hatte der Architekt versäumt. Allerdings hatten die Parteien den Architektenvertrag nach Ausspruch der formunwirksamen Kündigung einvernehmlich aufgehoben.
Fazit
Das Urteil des OLG Frankfurt ist, soweit ersichtlich, der erste Fall, in dem sich ein Obergericht mit der Zielfindungsphase auseinandersetzt. Es wird daher entsprechende Beachtung finden. Auch wenn die Entscheidung zum großen Teil auf einzelfallbezogenen Feststellungen beruht, sind einzelne grundsätzliche Ausführungen bemerkenswert. Hervorzuheben ist insbesondere die Bedeutung der vertraglich festgelegten Pflichten, die auch dann zu erfüllen sind, wenn und soweit sie über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen. Die Architektenkammern stellen auf Anfrage Orientierungshilfen auch für Verträge mit vorgeschalteter Zielfindungsphase zur Verfügung.
Abzuwarten bleibt, welche Anforderungen die weitere Rechtsprechung an die Kosteneinschätzung stellen wird. Eine Anknüpfung an den Kostenrahmen nach DIN 276 dürfte hierbei grundsätzlich angemessen und gerechtfertigt sein, allerdings nicht als Mindestanforderung, sondern nur als Orientierungsrahmen „nach oben“. Mit Blick auf die anderenfalls unbegrenzte Dauer des Sonderkündigungsrechts ist bei Verbraucher-Bauherren unbedingt auf die frühzeitige Aufklärung zu achten. Auch hierzu enthalten die Orientierungshilfen Mustervorschläge.
Im Übrigen zeigt das Urteil, wie kompliziert die Regelungen zur Zielfindungsphase geraten sind. Die Begründungsansätze des OLG Frankfurt zur Abweisung der Honorarklage scheinen stellenweise zu verschwimmen. Mal wird auf die fehlende Zustimmung des Bestellers abgestellt, dann wieder auf die (unwirksame) Ausübung des Sonderkündigungsrechts und die einvernehmliche Vertragsaufhebung. Schon aus diesem Grund wäre es wünschenswert, wenn sich der Bundesgerichtshof in einem Revisionsverfahren mit dem Fall befassen würde.
Dr. Volker Schnepel ist Leiter der Rechtsabteilung und stellvertretender Bundesgeschäftsführer der Bundesarchitektenkammer
Genauer nachlesen
Mehr über die Zielfindungsphase schreibt Volker Schnepel im „BKI Kommentar zum neuen Architektenvertragsrecht“. Auf 146 Seiten kommentieren er und weitere Juristen der Architektenkammern das seit 2018 geltende neue Architektenvertragsrecht, thematisieren verschiedene Vertragsformen und Begrifflichkeiten wie gesamtschuldnerische Haftung, Teilabnahme oder Sonderkündigungspflicht (Martin Kraushaar, Eric Zimmermann (Hg.), Rudolf Müller Verlag, 2017, 49 Euro).
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